Ein schönes hat das fest angestellt sein ja doch: wer sich nicht langweilen will, muss sich nicht langweilen. Es hat sich doch tatsächlich super kurzfristig ergeben, dass ich nach nur sieben Tagen daheim wieder losschippern darf, dieses Mal über die Kanaren, um dort die Kollegen zu unterstützen, denen ein-zwei Scouts abhanden gekommen sind.
Endlich zurück in einer Sprache, die ich besser kenne als
Portugiesisch – und dann ist Spanien ja auch noch so schön! Die blu fährt nur
einen spanischen Festlandhafen an, der Rest sind alles Inseln der Kanaren, die
ja eigentlich sehr viel näher am afrikanischen Kontinent liegen als am
europäischen. Aber bin ich dann jetzt in Europa oder in Afrika?
Ich stehe ja generell total auf Inseln. Man kommt an, hat
ein paar Stunden und kann dann eigentlich schon sagen, dass man, wenn schon
nicht alles, dann doch wenigstens von allem ein bisschen was gesehen hat. Aber
auch mit ein paar Grad wärmer und ein bisschen weniger Wind wäre das hier bei
weitem keine Karibik und keine Südsee…aber man kann halt nicht alles haben.
Seegang ist erst, wenn der Horizont keine grade Linie mehr
ist. Wenn die Abflussrohre so einen Schub von unten bekommen, dass das Wasser
aus dem Abfluss der Dusche blubbert. Wenn die Wellen im Wassertank unter meiner
Kabine so sehr brechen, dass es mein Bett erschüttert. Wenn mitten in der Nacht
die Schubladen mit einem Rumms plötzlich offen stehen und sobald man schaut,
mit einem Rumms schon wieder zugefallen sind. Wenn dir die Badezimmertür
zuwinkt. Und wenn das Schiff so verbaut ist, dass du abends nicht nur in den
Schlaf geschaukelt sondern auch geknarzt wirst.
Es heißt, dass der Canal Grande wie ein Fragezeichen durch
die Stadt fließt, um die Besucher jederzeit zu fragen „Wie lang wird es Venedig
so noch geben?“ Der Boden, aus dem Venedigs Inseln bestehen, ist ganz weich und
morastig, und ähnlich wie in Amsterdam stehen die Gebäude nur, weil unter ihren
Fundamenten Abertausende von Holzpfählen in den Boden gerieben wurden, um
irgendeine Art festen Grund zu schaffen.
Nachdem unser Auslaufen aus Venedig sich verspätet hatte,
musste der nächste geplante Hafen Split in Kroatien ausfallen. Schade, da soll
es sehr schön sein, aber was soll man machen? Kroatien fiel ja nicht ganz aus,
denn Dubrovnik stand danach auf dem Plan und wir konnten extra langsam
losschippern um dorthin zu kommen und waren so gar nicht unter Zeitdruck. Ganz
seltsam, so plötzlich einen unverhofften Seetag zu haben. Die Hälfte der
Besatzung war im Riesenstress, noch irgendein Programm für den Seetag auf die
Beine zu stellen, der Rest von uns wusste irgendwie so gar nichts mit unserer
Zeit anzufangen.
Während der Muezzin vom nächsten Minarett ruft, betet am
Wegrand jemand mit einem Rosenkranz in der Hand und vorbei laufen kleine Jungen
mit Schläfenlocken. Verrückte Welt, könnte man meinen, wo sich die ganze Welt
bekriegt, weil Muslime, Christen und Juden sich einfach nicht verstehen können.
Hier scheint es irgendwie zu funktionieren und nicht umsonst heißt Jerusalem
auch „Stadt der drei Religionen“.
Vor einigen Jahren ließ ich mich breitschlagen zum Fernsehen
mit Mama, denn es lief „Lawrence von Arabien“ und laut Mama ist das ein
episches Werk filmerischer Meisterleistung oder so…ganz genau weiß ich es nicht
mehr. Ich erinnere mich aber noch dran, dass der Film unglaublich lang ging und
sich extrem zog während Lawrence durch die arabische Wüste reitet. Die
Landschaft hinter ihm war aber schon ziemlich fantastisch.
Der große Plan war ja eigentlich, dreißig Länder besucht zu
haben bis ich dreißig bin. Den Plan musste ich schon vor über einem Jahr
aufgeben, als wir auf unserer Transreise aus der Karibik zurück Richtung Europa
in Dominica Halt machten. Das war Land Nummer 30 und seither hat sich meine
Weltkarte im Kopf doch noch ein ganz schönes Stück weit gefüllt. Dank einer
kleinen feinen Excel-Liste, die die Tanja’sche Reisegeschichte seit April 1991
festhält, weiß ich immer genau bei welcher Nummer ich grade bin – und wann es
Grund zu feiern gibt. Wie zum Beispiel am vergangenen Montag: Land Nummer 50!
Seit über 180 Jahren gibt es keine Sklaverei mehr auf
Mauritius, die letzten Reste davon sieht man aber noch heute. Die Geschichte
der Insel ist geprägt von so vielen verschiedenen Einflüssen, dass man heute
nicht mehr wirklich identifizieren kann, was von wem stammt. Der Linksverkehr
ist eindeutig übrig geblieben aus der britischen Phase, die Gesetze und Regeln
aus der französischen Kolonialzeit, die Hautfarbe zu großen Teilen von den
afrikanischen Sklaven, die im 18. und 19. Jahrhundert Mauritius zu Reichtum
verhalfen.
So richtig hatte ich irgendwie gar nicht auf dem Schirm,
dass mein neues Fahrtgebiet in Afrika ist. Afrika war immer diese riesige
Landmasse da irgendwo im Süden, wo man vielleicht irgendwann mal hinfliegt um
eine Safari zu machen. Dass die ganzen Inseln im Indischen Ozean geographisch
gesehen auch zu Afrika gehören, kam mir gar nicht wirklich in den Sinn, bis ich
dann wirklich hier war.
Für mich war Madagaskar immer Natur pur. Ich habe immer nur an
die Chamäleons und Lemuren gedacht, so wie eben im Film Madagaskar. Hätte ich
mehr drüber nachgedacht, wäre mir vermutlich auch bewusst geworden, dass es
keine Insel ist, auf der nur Chamäleons und Lemuren leben, denn es ist
schließlich die viertgrößte Insel der Welt. Madagaskar ist halt irgendwie bei
den meisten Europäern nicht so präsent auf der Weltkarte im Kopf, sondern eben
diese Insel da unten vor Afrika, wo man sowieso nie hinkommen wird.
Zurück in der Zivilisation und zurück vor allem in der
Europäischen Union – und das so plötzlich und so weit weg von zu Hause! La
Réunion ist ein sogenanntes Département d’Autremer, ein französisches
Überseegebiet. Früher war das wie üblich eine französische Kolonie, nur ist es
eben nie wieder unfranzösisch geworden wie die anderen Inseln. Vor einigen
Jahren gab es eine Volksabstimmung, bei der die Mehrheit der Einheimischen ihre
Stimme dafür abgab, in der EU und damit in Frankreich zu bleiben. Wir europäische
Crewmitglieder freuen uns über den Ausgang dieser Abstimmung sehr, denn endlich
– endlich! – gibt es wieder freies Handynetz!
Die madagassische Natur ist einfach atemberaubend. Schlau
wie ich bin hatte ich direkt zu Beginn unserer regulären Indik-Route
angekündigt, dass man mir keine Freude macht, wenn man mich auf die
Strandtransfers schickt. Also durfte ich tolle Ausflüge begleiten, die wirklich
in die Natur raus gingen und da gibt es ja so viel zu entdecken!
Tourismus ist für die meisten Madagassen ein Fremdwort.
Noch, jedenfalls. Solche tollen Menschen wie unser Hafenagent Alessandro
investieren viel Zeit und Geld in den Ausbau einzelner Regionen um das Land auf
Vordermann zu brauchen, was es auch dringend braucht. Politisch war die
Situation lange Zeit nicht wirklich prickelnd, besonders nachdem Frankreich
sich als Kolonialmacht zurückgezogen hatte und Madagaskar unabhängig wurde.
Sogar an Halloween und am Valentinstag werden unsere Schiffe
richtig schön geschmückt und an Fasching rennt die halbe Crew verkleidet rum.
Deswegen hatte ich mich sehr auf Weihnachten an Bord gefreut, das erste Mal für
mich, denn bisher habe ich es doch immer vor den Feiertagen nach Hause
geschafft.
Die Kreuzfahrtroute durch den Indischen Ozean hat mich
gleich zu Beginn sehr positiv überrascht. Wenn man in der Karibik ein paar
Inseln gesehen hat, sieht man doch immer recht viele Parallelen zwischen den
einzelnen Ländern. Aber hier sind die Inselnationen wirklich vielfältig und
jedes unserer Ziele hat irgendwie was eigenes, was die anderen nicht haben.
Trotzdem hat mich besonders Madagaskar beeindruckt und deswegen kann ich nicht
umhin, nochmal ein paar Eindrücke mit euch zu teilen.
Madagaskar lässt mich tatsächlich nicht los. So viele
Eindrücke, die ich kaum vergleichen kann mit allem, was ich in meinem Leben
schon gesehen habe, und dann so viele Menschen, die meine Faszination so gar
nicht verstehen können oder wollen.