Wenn der Regen Rettung heißt

Unser erster Hafen mit den neuen Gästen aus Mallorca ist Ajaccio auf Korsika. Wie man das ausspricht, ist scheinbar jedem selbst überlassen. Korsika gehört zu Frankreich, hat aber eine lange italienische Geschichte und eine eigene Sprache, und Korsisch hört sich für den Laien an wie Italienisch. Ob also „Adschaxio“ oder „Aiatscho“ ist relativ bums und jeder macht es, wie es sich für ihn am besten anhört.

Ajaccio
Ajaccio

Vielleicht fragte sich der ein oder andere schon, wo meine Schreibseleien bleiben, wo ich doch sonst immer wenigstens alle paar Wochen von mir hören lasse. Es hat sich leider bewahrheitet, was ich mir schon fast gedacht hatte und was mir nach einer Woche an Bord praktisch unausweichlich vorkam: ich langweile mich. Sieben Tage immer das gleiche, das ist echt anstrengend, aber nicht auf die Art und Weise, bei der man abends ins Bett geht und denkt „Mensch, das war ein voller und aufregender Tag, ich hab so viel gesehen und bin jetzt platt und freue mich auf morgen!“ Nein, eher das genaue Gegenteil „Uff, erst ein Tag rum und in neun Stunden muss ich wieder im Büro stehen.“ Die Prima-Route wirkte am Anfang auf mich sehr langweilig. Metropolen-Route…ernsthaft. Wer macht denn sowas? Aber ich war in sechs Monaten Prima tatsächlich nur fünf Mal in Paris und sieben Mal in London, denn es gab so super viele kleine Halbtagsausflüge in die nähere Umgebung unserer Häfen. Stonehenge, Salisbury, die südenglischen Gärten, die Isle of White, Bath und mein liebstes Winchester, … Langweilig wurde es eigentlich nie. Und sogar vom unspektakulären Hafen Le Havre aus konnte man soo viel entdecken in der Normandie: Honfleur, was auch nach neun Mal noch toll war, Rouen, Étretat, Deauville, Mont Saint-Michel, …

Saint Francois Stadtstrand in Ajaccio
Saint Francois Stadtstrand in Ajaccio

In der Flotte gilt unter der Crew die Prima-Route als langweiligste überhaupt. Aber wo ich jetzt das westliche Mittelmeer gesehen habe, hatte ich tatsächlich nach einer Woche schon fast die Nase voll. Nicht, weil die Gegend nicht schön ist, keineswegs. Nur sieht wirklich jede Woche praktisch gleich aus. Freitags und samstags sind unsere Wechseltage – heißt, da kommen unsere neuen Gäste an Bord und Samstagabend ist niemand mehr da von denen, die am letzten Samstag da waren. Außer die Verrückten, die einfach zwei Reisen hintereinander an Bord bleiben, gibt es aber nicht oft. Wer sich zwei Anschlussreisen à 7 Tage leisten kann, leistet sich üblicherweise lieber die größere Runde mit dem kleineren Schiff in 10 Tagen und nimmt ein paar mehr Häfen mit. Im Moment sind mindestens drei unserer Schiffe in der Gegend. Wir liegen öfters mal mit AIDAaura oder AIDAstella zusammen im Hafen. Dann haben wir noch mehr zu tun, weil wir dann auch noch Gäste von den anderen Schiffen bekommen, die sich für ein paar Stunden die große kleine Schwester anschauen wollen.

Korsika
Korsika

Sonntags ist Seetag. Das ist auch ganz gut so, da hat ja eh immer nichts offen oder nur mit Einschränkungen. Montag ist der eine coole Hafen, Ajaccio, dazu später mehr. Dienstags liegen wir in Civitavecchia [Tschiwitawekkia], „The Port of Rome“, aber nach Rom sind es natürlich trotzdem noch anderthalb Stunden Fahrt. Das ist ungefähr so wie Le Havre „The Port of Paris“ ist. Entsprechend wollen die meisten Gäste auch wirklich nach Rom. Aber anders als auf der Prima scheint es auf der Perla kaum jemanden zu geben, der etwas anderes sehen möchte. Wir schicken 43 Busse von Civi los, davon gehen 40 nach Rom. Das entspricht etwa 2.000 Gästen, die mit einem AIDA-Ausflug das Schiff verlassen, und davon 1.900, die nach Rom fahren. Rom im Bus, Rom zu Fuß, Rom im Bus und zu Fuß, Rom mit Boot, Rom mit Kolosseum, Rom für Kinder, Rom mit dem Fahrrad, Vatikan zu Fuß, Vatikan mit Petersdomkuppel, Vatikan mit Sixtinischer Kapelle, Rom und Vatikan, Rom ohne Reiseleiter, Vatikan ohne Reiseleiter, …
Im Vergleich dazu unser Angebot (entsprechend der Nachfrage) an Bussen, die nicht nach Rom fahren: ein Bus, der nach Tuscania fährt, ein kleines Örtchen außerhalb von Civi, wo man ein Weingut besichtigt und die Olivenölherstellung erklärt bekommt, und ein Bus, der dich zum Strand bringt und wieder abholt, und ein Bus für die Stadtrundfahrt durch Civi.

Îles Sanguinaires vor Korsikas Küste
Îles Sanguinaires vor Korsikas Küste

Das gleiche Spiel am Tag drauf: Livorno ist unser zweiter italienischer Hafen und hat ähnlich wie Civi nicht allzu viel zu bieten. Es gibt einen Bus für Kanalbootfahrt und Spaziergang durch Livorno und ein paar Ausflüge nach Lucca, ein wunderschönes kleines Städtchen in der Toskana. Leider immer nur Halbtagsausflüge, obwohl man da Stuuunden verbringen könnte. Aber der Großteil unserer Busse geht auch hier in die Großstädte. Pisa ist eine Dreiviertelstunde entfernt, Florenz zwei Stunden. Und ihr ahnt es schon: Florenz zu Fuß, Florenz mit dem Boot, Florenz ohne Reiseleiter, Florenz für Kinder, Florenz und Pisa, Pisa zu Fuß, Pisa mit der Bimmelbahn, Pisa mit dem Boot, Pisa ohne Reiseleiter, …
Samstags geht die neue Reise los und wir gehen eigentlich schon automatisch davon aus, in der kommenden Wochen nach Rom und nach Florenz oder Pisa zu fahren. Ich weiß nicht, ob es im Moment auch beeinflusst wird von dem, was aktuell in großen Städten in Europa so passiert, aber ich fühle mich echt unwohl in großen Städten. Vor allem mit meinem großen Rucksack, auch wenn ich nicht wirklich was wertvolles drin habe. An jeder Ecke stehen Armeefahrzeuge und Soldaten mit den Maschinengewehren im Anschlag. Es ist so voll, man drängelt sich durch die Menschenmassen und muss sich so sehr konzentrieren, seine Gruppe beisammen zu halten. Die Reiseleiter sind zum Großteil nicht wirklich gut, aber trotzdem alle deutsch genug, um keine Übersetzer zu brauchen.

Korsika
Korsika

In Barcelona und Palma hatte ich bisher noch keinen einzigen Ausflug in vier Wochen, da haben wir anderes zu tun mit Koffer-Bewachen im Terminal, Reise-Abschluss, Reise-Vorbereitung, Flyer-Drucken, Tickets packen, Shuttle betreuen und unsere Schalter bemannen. Üblicherweise gehen ein oder selten mal zwei von uns an den Wechseltagen auf Ausflug. Und dass sich jemand ausgedacht hat, auf dieser Route zwei Wechselhäfen zu haben und die auch noch an aufeinanderfolgenden Tagen, macht unseren Job hier nicht gerade einfacher.
Bleibt Montag. Korsika ist der eine Tag der Woche, auf den wir uns alle einigermaßen freuen. Korsika ist wunderschön und hat einiges zu bieten. Vor allem das Fehlen von Ganztagesausflügen freut uns alle sehr und die Fülle an Ausflügen, die alle in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind.

Korsika
Korsika

Korsika ist irgendwie nicht nur sprachlich eine Mischung aus Frankreich und Italien. Ich kann mich immer nicht entscheiden, ob der Baustil eher Französisch oder Italienisch ist. Die Sprache tut ihr Übriges. Die Straßenschilder sind zweisprachig, wobei die beiden Worte sich immer sehr ähneln, aber eben unterschiedlich gesprochen werden. Es gibt eine beeindruckende Felslandschaft im Hinterland, geschrieben Calanches. Jeder normale Mensch würde in Frankreich dazu „Kalonsch“ sagen, aber nein, hier ist es die „Kalonk“. Niemand weiß warum und ich komme mir tatsächlich dumm vor, wenn ich am Schalter Kalonk sage. Man denkt, es kommt aus dem Alt-Korsischen, da gab es ein Wort „Calonca“ oder so. Naja, schön ist es da jedenfalls: die Felsen erodieren auf eine spezielle Weise und legen so ganz tolle Kunstwerke frei. Der bekannteste Felsen ist einer mit einem Loch drin, das die Form von einem Herzen hat und wenn man aus der richtigen Höhe durchschaut, sieht man das Meer hindurch. Die Straßen sind beeindruckend, vor allem wenn man mit unserem Busfahrer Michel unterwegs ist, den wir liebevoll „unseren Ex-Formel-1-Fahrer“ nennen, weil er so krass um die engen Kurven und entlang der Abgründe brettert, dass Gästen, Reiseleitern und Scouts regelmäßig schlecht wird.

Sommer-Müdigkeit
Sommer-Müdigkeit

Wenn man nicht mit dem Bus unterwegs sein will, gibt es in Korsika auch tolle Möglichkeiten. Einen Tag war ich mit wandern und die Ausblicke sind wirklich toll. Die korsische Küste hat grandioses türkises Wasser – schnorcheln war ich noch nicht, aber selbst das kurze Rein-Dippen vom Strand ist toll. Die Gäste sind entsprechend auch sehr entspannt am Abend danach. Schade eigentlich, dass wir mit dem entspanntesten Hafen anfangen und dann die Monster-Trips nach Rom und Florenz hinterherschießen, und nicht andersrum.
Noch entspannter geht es eigentlich nur mit unserem Ausflug in den Schildkrötenpark, einen der größten Europas. Es gibt hunderte Schildkröten dutzender Arten. Von frisch geschlüpft bis riesige Seychellen- und Galapagos-Schildkröten hat man alles, das ist sehr beeindruckend. Danach ein bisschen Strand…ja, in Korsika lässt es sich aushalten.

Brandschäden im Hinterland
Brandschäden im Hinterland

Natürlich kennt man Korsika diesen Sommer auch aus den Nachrichten. Überall hat es gebrannt, das war richtig schlimm. Es gibt eine spezielle Vegetation hier, die nennt sich Matcha. Das ist das, was man in Australien „Buschland“ nennen würde, eine Art Wald aus niedrigen bis mittelhohen Sträuchern und Büschen. Wenn es regnet, riecht es da immer ganz speziell, weil so viele spezielle Kräuter dort wachsen. Nur regnet es halt nicht. Die Matcha ist überlebenswichtig für so ziemlich alle Tiere und Pflanzen, die auf Korsika heimisch sind und halten die Erde fest und verhindern so Erdrutsche. Seit fünf Monaten hat es in Korsika nicht mehr geregnet und wenn man in die Landschaft hinter Ajaccio raus fährt, denkt man zuerst an den Indian Summer: die Hügel und Berghänge sind in allen erdenklichen Farben rötlich und orange gefärbt, das sieht richtig richtig schön aus und man denkt, hier hat der Herbst halt ein bisschen früh eingesetzt. Stimmt aber nicht – die Hälfte der Bäume und Sträucher ist tot und vertrocknet wegen der extremen Hitze im Sommer.

Calanches
Calanches

Ein paar Wochen bevor ich aufgestiegen bin, hatten die Kollegen jeden Montag noch 42 Grad, wenn sie in Korsika angelandet sind. Es war so heiß, dass manchmal Bäume und Sträucher sich einfach spontan selbst entzündet haben, das ging so schnell, dass man gar nichts dagegen machen konnte. Es gibt Löschflugzeuge, die innerhalb von Minuten egal wo auf der Insel sein können, die tanken ihre tausende Liter Wasser innerhalb weniger Sekunden direkt aus dem Meer und da die Küste nie weit ist, ergibt das so ja auch am meisten Sinn. Ohne die eigenen Löschflugzeuge wäre Korsika vielleicht komplett abgebrannt, aber so konnten sie viel noch eindämmen. Man geht bei einigen der Brände von Brandstiftung aus...wer so was macht, ist auch ein bisschen hirnverbrannt in meinen Augen, aber was will man machen.
Inzwischen gab es tatsächlich wieder ein bisschen Regen in Korsika und die Einheimischen sind sehr glücklich, dass es ein perfekter Landregen war, tagelang und keine extremen Regengüsse, sodass die ausgetrocknete Erde auch die Möglichkeit hatte, das Wasser schön aufzunehmen und es gab keine Schlammlawinen. So sehr unsere Ausflüge natürlich unter schlechtem Wetter leiden, so sind wir doch auch echt froh, wenn es unseren Destinationen wieder besser gehen kann.

Korsika
Korsika

In unserer Branche sind wir natürlich extrem darauf angewiesen, dass in unseren Zielgebieten alles in Butter ist. In Korsika haben wir von den Bränden nichts mitbekommen, außer mal an der Straße ein bisschen schwarze Erde gesehen, wo die Straßenränder kontrollier abgebrannt wurden, um richtige Feuergefahr einzudämmen. Aber wenn man dann die Bilder aus der Karibik sieht, blutet einem das Herz. Vielleicht erinnert ihr euch an meine Bilder vom Maho Beach auf St Maarten, wo die Flugzeuge so supernah über die Köpfe der Strandgänger brausen. Schlimm genug, dass Mitte des Jahres eine Frau ums Leben gekommen ist, weil sie die Schilder nicht gelesen hat, auf denen ziemlich deutlich vor Todesgefahr gewarnt wird, wenn man sich zu nah an den Zaun stellt. Sie war erstaunlicherweise das erste Todesopfer, wo es doch sonst immer so viele Verletzte gab, weil alle zu dumm waren, die Gefahr zu erkenenn. Da stand ich auch – abseits vom extremen Wind, der aus den Turbinen kommt, aber doch nah genug, um ein Sandpeeling abzubekommen.
Heute gibt es Maho Beach nicht mehr. Er ist einfach weggespült worden im jüngsten Hurrikan. Sowas betrübt uns natürlich sehr. Am schlimmsten finde ich tatsächlich die Kollegen, die sich nur dafür interessieren, was das für die Flotte bedeutet. Wann können wir da wieder anlegen? Welche Ausflüge müssen abgesagt werden? Was bieten wir an statt dem Strandtransfer, wenn es den Strand nicht mehr gibt? Wie blöd für die Gäste, wenn sie in der Karibik sind und nur Trümmer sehen!

Wir sind da ein bisschen im Dilemma. Die Häfen nicht anfahren und den Inseln die Möglichkeit geben, sich erstmal selbst zu erholen? Oder jetzt erst recht hinfahren, weil das Geld so dringend gebraucht wird, das wir mitbringen?
Ich persönlich bin jedenfalls ganz froh, dass ich meinen nächsten Karibik-Einsatz getauscht habe gegen Südostasien und Ostsee. So sehr, wie ich Traumstrände liebe, so sehr blutet mir das Herz, wenn sie zum Albtraum für die Einheimischen werden.

 

 

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Flo (Sonntag, 17 September 2017 19:32)

    Danke für diesen tollen Artikel! Ich wusste gar nicht, dass Korsika so schön ist.