Urlaubsgefühle

Kreuzfahrt ist Urlaub. Vielleicht nicht jedermanns Urlaub, aber doch definitiv recht weit oben auf der Liste der Urlaubspläne von Otto Normalverbraucher. Jedes Jahr gehen um die zwei Millionen Deutsche auf Kreuzfahrt, davon knapp die Hälfte auf ein Schiff der AIDA-Flotte. Da muss man sich ja schon fast anschließen, um als Touristiker mitreden zu können. Also habe ich mich letztes Jahr beschlossen, auch mal wieder Urlaub zu machen. Das ganze Jahr. Und auch noch dafür bezahlt zu werden. Traumjob schlechthin.

Oder jedenfalls denkt das offensichtlich ein Großteil meines sozialen Umfeldes. Und deswegen erzähle ich heute mal von meinem Urlaub hier an Bord und warum es vielleicht doch nicht unbedingt der beste Urlaub meines Lebens ist. Ein paar Dinge will ich einfach mal loswerden, da ich allzu oft an Land und von Gästen an Bord drauf angesprochen werde.

 

In meinem Urlaub schlafe ich in einem Bett, in dem ich nicht aufrecht sitzen kann. Ich habe drei Wände um mein Bett. Eine ist voll mit Magneten, die Postkarten und Fotos festhalten – denn so wie andere Leute Post aus dem Urlaub bekommen, habe ich lieber Post von zu Hause. Vor der rechten Wand liegt mein Kissen und dazwischen ist eine Kuhle für meinen Wasservorrat. An der linken Wand hängt ein Regalbrett, das so breit ist, dass mein Laptop fast draufpasst ohne runterzufallen. Anlehnen kann ich mich also nicht, wenn ich auf meinem Bett sitze. Aber wer will im Urlaub schon aufrecht mit einer Lehne im Bett sitzen?

 

In meinem Urlaub ziehe ich schwarze Socken und feste schwarze Sportschuhe an. Jeden Tag. Zum Essen ziehe ich keine Flipflops an, denn mein Hotel findet das unhygienisch. An meinen Ausflügen und Erkundungstouren ziehe ich keine Flipflops an, denn der Veranstalter findet das gefährlich. Flipflops werden sowieso überbewertet.

 

In meinem Urlaub trage ich lange Hosen und langärmelige Blusen, an denen man jeden kleinsten Schweißtropfen höchst offensichtlich und höchst unvorteilhaft sehen kann. Die Hosen sind entweder so eng, dass ich oben die Knöpfe offen lasse und nur den Bund umfalte, oder sie sind so weit, dass ich aussehe, als trage ich eine Windel. Wenn ich mal rausgehe, trage ich eine kurze Hose aus einem richtig festen luftundurchlässigen Stoff, die mag ich am liebsten. Und ein Poloshirt, das sich verschwitzt so richtig schön an den Rücken pappt und unter meinem großen schweren Rucksack klebt, den ich immer gerne mit mir rumschleppe. Aber wer tropft und schwitzt und stinkt nicht gerne in seinem Urlaub? Wer braucht schon Trägertops und Shorts?

 

In meinem Urlaub mache ich gerne Ausflüge und schaue mir die Gegend an, in der ich grade bin. Ich setze mich dazu am liebsten in einen unterkühlten Bus mit ganz engen Sitzen und bleibe da drin mehrere Stunden sitzen während ich angestrengt versuche, die Augen nicht zuzumachen, denn der Veranstalter möchte, dass ich keine Sekunde verpasse. Nach mehreren Stunden komme ich dann an meinem Traumziel an: der größten Stadt im Umkreis von vierhundert Kilometern, für die natürlich absolut vier Stunden reichen, um sie komplett anzuschauen. Dort wird mir vorgegeben, was ich interessant finde und was ich als nächstes anschaue und wo ich die Stunde verbringe, die ich alleine unterwegs bin. Aber im Urlaub braucht man ja auch gewisse Regeln und kann nicht einfach mal machen, wonach einem grade ist.

 

In meinem Urlaub stehe ich jeden Tag durchschnittlich fünf Stunden in der Gegend rum, lächele dabei und erzähle jedem, wie glücklich ich bin. Dabei habe ich natürlich keine frische Luft oder Tageslicht, das braucht man im Urlaub ja auch nicht. Manchmal stehe ich auch an der frischen Luft vier Stunden in der Gegend rum, in der prallen Sonne natürlich, weil man im Urlaub die Sonne genießen muss und sich um Gottes willen bloß nicht hinsetzen will, denn man könnte ja was verpassen.

 

In meinem Urlaub bin ich gerne Ansprechpartner für alles. Weil es mir so viel Spaß macht, organisiere ich auch die Erkundungen dreitausend anderer Urlauber. Natürlich macht es mir auch genauso viel Spaß, Ansprechpartner zu sein, wenn es um die Kingsize-Betten und die Pools und den Klettergarten und die Champagnerbar geht. Die probiere ich natürlich nie selbst aus, wer will das schon? Ich lasse mich im Urlaub besonders gerne beschimpfen, anschreien, beleidigen, schubsen, drängeln, umrempeln und allgemein hassen. Das macht den wahren Zauber meines Urlaubs aus.

 

In meinem Urlaub probiere ich gerne die lokale Küche. In der Karibik zum Beispiel Schnitzel, das aber eigentlich nur von außen so aussieht und von innen irgendein knochig-fettiges Fleisch ist, was grade noch so da war. Und in Norwegen lauwarme Nudeln al dente, denn Käse, der auf der Pasta schmilzt, ist voll uncool. Und im Mittelmeer Brötchen, die latschiger sind als der nächstbeste Küchenschwamm, und die am liebsten mit eiskalter Nutella, in der fast das Messer abbricht.

 

In meinem Urlaub schreibe ich Postkarten, die sich anhören, als hätte ich die beste Zeit meines Lebens. Sie hören sich so an, weil keiner zu Hause den Briefkasten aufmachen und sich über Post freuen will, nur um festzustellen, dass ich grade einen richtig doofen Tag hatte und keinen in der Nähe, der mich einfach mal drückt und tröstet. Aber im Urlaub hat man ja auch keine doofen Tage.

 

Und da habt ihrs. Eigentlich ist das hier kein Job. Das ist Urlaub. Einen Hungerlohn bezahlt bekommen, um in jeder Minute Leuten den Tag zu versüßen, die dir vielleicht gerade ins Gesicht gesagt haben, dass du unfähig bist und inkompetent, die vielleicht gerade vor deinen Augen Leute beleidigen, die dir deinen Tag grade erst erträglich machen – das ist kein Urlaub, liebe Leute. Und nach Hause kommen, um von allen Seiten gesagt zu bekommen „Wo willst du denn hin? Du hattest doch grade ein halbes Jahr Urlaub!“ – das ist dann erst recht nicht die erhoffte Erholung, die wir Seefahrer so unbedingt brauchen.

Wenn wir nach Hause kommen, haben wir Monate hinter uns, in denen wir jeden Tag auf kleinstem Raum leben. Mit ein bisschen Glück teilen wir uns diesen Raum mit jemanden, den wir tatsächlich mögen, aber allzu oft auch mit jemandem, der jede Nacht einen neuen Bettgefährten anschleppt. Oder mit jemandem, der abends zu tief ins Glas geschaut hat um morgens die Kotze im gemeinsam genutzten Bad wegzuwischen. Oder mit jemandem, der einfach rücksichtslos ist. Wir leben in einer Kabine von zehn Quadratmetern. Zu zweit. Wenn du krank bist – komm damit klar, werd gefälligst schnell wieder gesund. Nicht etwa, damit es dir schnell wieder besser geht. Nein, werd gesund, damit du nicht nach Hause fahren musst. Denn dann wars das mit der großen Seefahrerkarriere schneller, als du Luft holen kannst für den nächsten Nieser.

 

Wenn wir nach Hause kommen, wollen wir auch einfach mal allein sein. Wir brauchen nicht jeden Tag Programm. Wir freuen uns auf zu Hause, auf unsere Familien und auf unsere Freunde. Aber sobald wir einen Fuß an Land setzen mit dem Leben der letzten Monate in einen Koffer gestopft, vermissen wir das Schiffsleben schon wieder. Wir haben einen harten Job und alle beneiden uns auch noch drum, weil die wenigsten wirklich verstehen, wie es wirklich ist. Wir haben es uns ausgesucht und das sollte genügen. Aber dann zu Hause vorgeworfen zu bekommen „Du bist nicht mehr die Alte“, das ist manchmal schwer zu hören. Natürlich bin ich nicht mehr die Alte. Wie sollte ich auch? Ich bin schon nicht mehr die Alte seit ich mit 14 über die Weihnachtsferien nach Neuseeland abgehauen bin. Da war es aus irgendeinem Grund noch cool; da bin ich zurückgekommen und es war super, nicht mehr das Mauerblümchen von „vorher“ zu sein. Die Zeit nach dem Abi hat aus mir einen neuen Menschen gemacht und den mag ich tatsächlich sehr gerne.

 

Und jetzt bin ich eben hier, ich lerne täglich tolle, nette, interessante Leute kennen. Und manchmal brauche ich genau diese Leute, denn die verstehen mich und die wissen genau, von was ich hier spreche. Deswegen ist es für mich so wichtig, meine Schiffskollegen auch im Urlaub zu sehen. Auch wenn ich dafür durch die halbe Republik fahren muss, weil einfach zu wenige von uns im Südwesten wohnen. Zu Hause wird es einfach manchmal schnell langweilig – natürlich nicht, weil die Leute langweilig sind, sondern weil die Leute zu Hause einfach ein anderes Leben führen. Da geht es plötzlich um Hochzeiten und Häuslebau und Kindernamen und da kann ich einfach nicht mitreden. Ich bin halt irgendwo zwischen Nicht-ganz-da und Nicht-ganz-weg und das macht das Leben manchmal auch ein bisschen schwer.


Dann brauch ich einfach mal eine Isabel, mit der ich nachts drei Stunden übers Feld bei Düsseldorf spaziere. Oder einen Thomas, der ganz spontan mittags Zeit für ein Schnitzel bei Frankfurt hat. Oder eine Martina, die in jeder gemeinsamen schiffsfreien Zeit für Brunch in Speyer zu haben ist. Oder eine Kira, mit der ich ein Eis essen gehe, wenn ich mal im Norden bin. Oder eine Tina, die zu weit weg wohnt, aber immer mal ein Stündchen für ausgedehntes Auskotzen am Telefon hat. Oder eine Victoria, die einfach mal sagt „Ja, geht mir genauso.“

 

Im richtigen Urlaub kann ich es nicht haben, wenn mir jemand vorjammert, dass er seit drei Monaten keinen freien Tag hatte und auf Nachfrage versichert „Wochenende zählt ja nicht als freie Tage“. Ich kann es auch nicht haben, dass man von mir erwartet, jede Minute super happy zu sein, weil ich endlich wieder zu Hause bin. Ganz oft sind die Leute, dich ich zu Hause sehen will, die Leute, die wissen, was es bedeutet, unter akutem Fernweh zu leiden. Übrigens gibt es eine wissenschaftliche Studie aus Neuseeland über das Zurückkommen von Langzeit-Abwesenheiten. Da geht es darum, dass die emotionale Reise am Ende der physischen Reise noch lange nicht zu Ende ist; dass „heim kommen“ nicht gleich bedeutet, dass die Reise geendet hat. Da geht es darum, dass das Altbekannte plötzlich seltsam unbekannt wirkt, wenn man nach langer Zeit wieder dorthin zurückkehrt; dass das Ankommen zu Hause schwieriger ist, als das Ankommen woanders, weil die Erwartungen von einem selbst und den Daheimgebliebenen plötzlich ganz unterschiedlicher Natur sind.
Sehr interessant und sehr „relatable“. Wer sie lesen will, schreibe eine Mail.

 

Also verzeiht mir, wenn ich zu Weihnachten nach Hause komme und wir es vielleicht mal nicht schaffen, uns zu sehen, sondern erst wieder nächsten Frühling. Für mich hat in diesem Fall Zeit einfach eine andere Bedeutung und ist manchmal einfach zu voll gestopft dafür, dass sie eigentlich freie Zeit sein sollte. Sobald ich heim komme, ist ein Teil von mir schon wieder woanders. Irgendein weiser Mensch sagte mal "Das ist der Preis, den du bezahlst für das Glück, an mehr als einem Ort jemanden zu kennen und zu lieben."

 

Und als Wort zum Samstag etwas sehr passendes, was 2010 im Guardian stand: When we get home, home is still the same. But something in our mind has been changed and that changes everything.

 

 

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Flo (Freitag, 22 September 2017 17:45)

    Sehr mitreißender Artikel. Zuerst dachte ich: wo sind die Fotos? Dann wurde mir klar, dass kein Foto adäquat darstellen könnte, was du hier beschreibst.
    Ich kenne auch einen weisen Spruch, den Salomon in einem Ring graviert hatte. Wenn er traurig war, sollte er ihn fröhlich machen, und wenn er zu übermütig und stolz war, sollte er ihn auf den Boden zurückholen: "Auch das geht vorbei"
    In diesem Sinne - Hang in there :-)

  • #2

    Anne (Freitag, 22 September 2017 18:50)

    das musstest Du Dir von der Seele reden - gut so! Ich habe mich schon gefragt, wieso alle Berichte so unbedingt fröhlich sind. Ich bin zwar nur Gast auf Kreuzfahrschiffen aber dass das für die Belegschaft kein reines Zuckerschlecken ist, ist auch mir klar :-)
    Ich lese den Blog mit Interesse um ein klein wenig hinter die Kulissen zu schauen. Und ich hoffe, dass es mehr Begegnungen mit netten Gästen gibt als mit unnetten.

  • #3

    Birgit (Freitag, 22 September 2017 20:13)

    Liebe Tanja,
    das ist tatsächlich der Preis, den man bezahlt, wenn man hinter die Kulissen schaut. Plötzlich verliert vieles seinen Glanz und unsere Gefühle hinken dem Erlebten hinterher. Auch wenn ich noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff war, kann ich deine Achterbahngefühle gut verstehen und überall zuhause zu sein bedeutet leider auch nirgends zuhause zu sein. Und gleichzeitig bleibe ich ein wenig neidisch, wenn ich weiß. dass du so viele Orte sehen durftest, die ich noch nie besucht habe und die es teilweise heute so nicht mehr gibt, auch wenn die Bedingungen suboptimal waren. Die Vielfalt, die du täglich erlebst, zieht eben auch eine gewisse Ruhelosigkeit nach sich. Ich hoffe, dass du dennoch die positiven Momente in deinem Fokus behälst und vielleicht mal wieder Pause in Erftstadt machst. Da ist es nämlich für dich eventuell wohltuend langweilig, weil alles irgendwie gleich bleibt...naja bis auf einen kleinen quirligen Hund und.....
    Alles Liebe
    Birgit

  • #4

    Bettina F. (Freitag, 22 September 2017 23:21)

    Liebe Tanja, so wie Du bist, bist Du super. Das warst Du auch schon mit 14 (�14!? ). Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern wie wir mit Deinen Eltern, ich glaube am 1. Weihnachtsfeiertag, gesessen haben und ich dachte: boah, die haben Tanja jetzt schon ziehen lassen, in die große weite Welt. Sie haben dich früh erkannt und akzeptiert, dass du Fernweh hast. Wie recht sie hatten. Du hast es ja. bis heute.

    Reisende glitzern heller als jeder 'Normalo' - sie sind aber immer auch zwischen zwei Punkten., Ihrem Start und ihrem Ziel. Und beide können beides sein. Verrückt., wenn man mal darüber nachdenkt. Kein Wunder, dass Du manchmal dazwischen gerätst. Und kein Wunder, dass manchmal die 'Verständigung' zwischen Dir und deinen befreundeten 'Landratten' nicht immer passt. Insofern finde ich deinen Bericht grandios, ein wunderschöner ehrlicher Blick in dein echtes Leben. Das bringt dich näher ran.

    Eine dicke Umarmung. Wir denken viel an Dich und freuen uns über deine fröhlichen Geschichte aus der weite. Welt - und wenn es Dir gut geht. Aber genauso wichtig ist es zu hören, wenn es hakt, dann sind wir für dich da. WhatsApp genügt �

  • #5

    Sonja (Samstag, 23 September 2017 08:02)

    Mit oder ohne "Schiffs"-Geschichten: Du bist eine geniale Schreiberin! Vielleicht wird da mal mehr draus. Schreiben kann man an jedem Ort der Welt. Fühl dich gedrückt.