Überrascht hat es mich ja nicht, dass uns Corona nicht einfach so wieder verlassen hat im Sommer. Irgendwie ist ja auch nicht wirklich viel passiert seit dem Sommerurlaub, aber wenn ich mal genauer drüber nachdenke, war der Herbst doch ganz schön aufregend und soo wenig habe ich dann doch wieder nicht gemacht.
Ab August waren wir wieder alle geschlossen im Büro und die entspannte Homeoffice-Zeit war vorbei. Das war schön, mal wieder unter Leute zu kommen – und das dachte ich wenigstens für zwei Wochen, dann nervte mich das Großraumbüro irgendwie auch schon wieder. Erst im November bin ich wieder ins Homeoffice gegangen, also war dazwischen Arbeitsalltag wie gehabt möglich. Nachdem ich im Herbst ja endlich mal mit segeln durfte (was danach auch nicht nochmal geklappt hat), fehlte mir noch das Rumschippern auf einem unserer Motorboote. Davon gibt es leider keins, das man sich mal von der Firma ausleihen könnte, aber eine Möglichkeit bekam ich dann doch an einem der letzten schön sonnigen Tage im Herbst.
Josi und ich haben ja schon zu Beginn des ganzen Corona-Mistes einen Großteil unserer Zeit im Hafen verbracht und sogenannte Walk-Around-Videos gedreht, wo wir Kunden unsere Boote mal auf eine persönliche Art zeigen, ähnlich wie auf der Messe. Wir hatten erwartet, dass wir kaum Aufträge haben würden über den Sommer, aber es waren in der Tat mehr als in den Vorjahren – offenbar hatten doch einige den Gedanken „Wo kann man besser in Quarantäne sein als auf hoher See?“ Weil aber trotzdem noch keine Messen stattfanden, machten wir also immer weiter mit unseren Filmchen, bis irgendwann keine Boote mehr aus der Produktionshalle kamen, die wir nicht schon abgedreht hatten. Und dann wurde im September ein neues Modell gelauncht. Das allererste Boot dieser neuen Reihe lag Ende September für eine Probefahrt und Propeller-Anprobe in Neustadt in Holstein, das ist etwa zweieinhalb Stunden von hier. Also sammelte mich Josi in aller Herrgottsfrühe ein und wir düsten nach Neustadt. Nach einem schnellen Frühstück an der Hafenkante durften wir an Bord gehen und ich bekam zum ersten Mal eine ausführliche Einweisung, bevor ich für die Öffentlichkeit irgendwas erzähle. Unser Produktmanager (sozusagen der Vater des Modells) war da und erklärte mir jedes noch so kleine Detail von der Form des Daches zu den Maßen des Achterdecks. Wir durften im Hafen filmen und dann sogar mit raus auf die Probefahrt. Damit unser Video auch schön authentisch wirkt, stellte mich Josi für eine Minute auch ans Steuer. Die Kollegen richteten mir das Boot schön aus, damit ich vor mir mindestens einen Kilometer nur leeres Wasser hatte und dann durfte ich den Hebel auf den Tisch legen und ab ging die Post. 39 Knoten (also etwa 72 km/h) Höchstgeschwindigkeit sind echt nicht zu unterschätzen und wenn man sich nicht festhält, kippt man schnell mal einfach nach hinten um, wenn plötzlich jemand Gas gibt.
Wenn ihr euch für ein bisschen Fachwissen, vorgetragen von einem absoluten Laien, interessiert, schaut doch mal bei YouTube rein: https://youtu.be/EhYTpIc00wk, wo übrigens unser meistgesehenes Segelboot-Walk-Around inzwischen über 10.000 mal angeschaut wurde. Wahnsinn, ich werde noch berühmt! Bedenkt beim Anschauen, dass es der letzte Tag im September war und nur etwa 12 Grad trotz Sonnenschein. Dazu noch Fahrtwind und mir war doch ordentlich kalt, aber unsere Chefin wollte so gern, dass ich in der gleichen Farbe angezogen wie der Rumpf des Bootes lackiert war. Was tut man nicht alles für ein bisschen Ruhm…
Alles in allem war das ein echt schöner Tag, auch wenn aus den üblichen acht Stunden Arbeit mal eben vierzehn wurden – aber vor anderthalb Jahren war das noch ein ganz normaler Arbeitstag bei AIDA.
Neben unseren Motor- und Segelboot-Marken haben wir auch eine Katamaran-Marke, die vier Segel- und ein Motor-Modell mit je zwei Rümpfen herstellt. Weil so ein Ding gut und gerne mal elf Meter breit sein kann, würde es sehr eng werden unter der Wiecker Zugbrücke, also wurde die Produktion am ursprünglichen Ort in Südfrankreich belassen. Im Prinzip ist das eine separate Firma, die einfach irgendwann mal von uns aufgekauft wurde, aber dadurch haben wir relativ wenig Ahnung, was die da eigentlich den ganzen Tag machen. Damit die Kommunikation etwas besser läuft und weil ja immer noch keine Aussicht auf Messen bestand, wurde ich kurzerhand zum Kommunikations-Verantwortlichen für die Franzosen ernannt und darf seither einmal die Woche mit meinem französischen Pendant videotelefonieren. Wenigstens versuchen sie, bei mir keine Langeweile aufkommen zu lassen. Ich bin immerhin die erste, die ein ganzes Jahr lang ihren Job macht, ohne wirklich ihren eigentlichen Job zu machen. Ein paar wenige kleinere Bootsmessen haben zwar stattgefunden, aber die großen, für die ich verantwortlich bin, sind alle international und wurden deswegen alle früher oder später abgesagt. Inzwischen darf ich tatsächlich mal eine Messe planen, die vielleicht im September 2021 dann stattfinden wird. Und im Rahmen dieser Messe werde ich vielleicht auch nach dann anderthalb Jahren im Unternehmen endlich mal so einen Katamaran in echt sehen.
Ganz so schlimm wie viele andere hat Corona unsere Firma also alles in allem nicht getroffen und die Auftragsbücher sind bis Spätsommer gut gefüllt, sodass wir also alle weiterhin davon ausgehen können, unseren Job zu behalten. Das ist ja dieser Zeit schon viel wert. Und insgesamt kann ich mich auch sehr glücklich schätzen, war ich doch das gesamte Jahr über fest angestellt mit 100% Gehalt und immer irgendwas zu tun, wenn auch nicht das, wozu ich eigentlich angestellt wurde.
Weil im Sommer und frühen Herbst die Infektionszahlen in Greifswald und im ganzen Land sehr niedrig waren, hatten wir auch sehr wenige Einschränkungen und so konnte ich sogar meine erste kleine Party in der eigenen Wohnung feiern, mit immerhin vier Gästen und Fingerfood-Buffet, das war schön. Die Hochzeit meines Cousins konnte auch endlich stattfinden und wir durften alle dabei sein ohne danach in Quarantäne zu müssen. Und die Fitnessstudios waren auch ganz normal geöffnet, sodass Josi und ich einmal die Woche zum Zumba konnten. Eines Abends im Oktober kam ich nach dem Sport raus und ein so unglaublicher Sonnenuntergang wartete auf mich, wie ich ihn seit der Südsee nicht mehr gesehen hatte. Der Himmel sah aus als stünde er in Flammen, und auf dem ganzen Weg nach Hause blieben die Leute an der Straße stehen, um einfach ein paar Minuten nach oben zu schauen und zu staunen und wildfremde Leute anzulächeln.
Das war der Auftakt zu einem herrlich milden sonnigen golden Herbst in MeckPom, der mich bis zum erneuten Homeoffice begleitete.
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Michael aus Fulda (Donnerstag, 21 Januar 2021 18:15)
Du hast am Ende Deines Berichtes einige Fotos angefügt. Eines von denen ist mir aufgefallen, weil es einem Gemälde von Caspar David Friedrich ähnelt. Es ist das Foto „Sonntagsspaziergang“, bei dem man im Vordergrund eine Wiese und dahinter eine von Bäumen verdeckte Kirche sieht, deren Turm über die Bäume hinaus in den Himmel ragt.
Das Gemälde von 1822 hat den Titel „Wiesen bei Greifswald“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Caspar.David.Friedrich.Wiesen.bei.Greifswald.1822.jpg
Anscheinend ist so eine Ansicht ohne moderne Wohnbebauung, Einkaufszentrum oder Gewerbegebiet so selten geworden, dass man sie unter Denkmalschutz stellt. Laut folgendem Zeitungsartikel von 2015 steht die Greifswalder Stadtsilhouette schon unter Denkmalschutz und der Caspar-David-Friedrich-Blick auf Greifswald und die nördliche Stadtsilhouette sollten danach als Sichtschutzgebiete ausgewiesen werden.
https://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Greifswald/Mehr-Schutz-fuer-den-Caspar-David-Friedrich-Blick