Krisengewinn

Es kann ja jeder sagen, was er will, und natürlich hätten wir alle drauf verzichten können, aber der ganze Corona-Mist hat doch irgendwie auch ein paar ganz nette Sachen mit sich gebracht. Zum Beispiel habe ich eine große Schneise geschlagen in den Uralt-Beständen von Briefpapier und -umschlägen, um einfach mal ein paar Leuten handgeschriebene Post zu bescheren. Weil ich zu Weihnachten bei einer Briefschreibe-Aktion mitgemacht habe, unterhalte ich jetzt sogar eine Brieffreundschaft mit einer 80-jährigen Helga aus Hessen, auch schön.

Winter-Silhouette von Riems
Winter-Silhouette von Riems

Allein zu sehen, wie kreativ manche Menschen sind, wenn sie nur mal die Möglichkeit dazu kriegen, fand ich höchst lehrreich. Den Anfang machte bei mir das Video eines Mannes, der seine kleine Tochter in einen Wäschekorb auf seinen Schoß setzte, eine Achterbahn im Fernsehen anschaltete und mit ihr so tat, als würden sie die Achterbahn runterholpern. Der DJ am Gasherd und das Mädchen, das gegen den Schatten einer Windenergieanlage Seilspringen spielt, so tun als würde man im Flugzeug sitzen dank Fön-Geräusch und Flugzeugfenster-Atrappe durch den Henkel des Universalreinigers, und Triathlon in den eigenen vier Wänden, …es gab unendliche Ideen auf der ganzen Welt, wie man nicht ganz verrückt wird und andere auch noch zum Lachen bringt. Und die schönen Chöre, die sich über Orts- und Landesgrenzen hinweg virtuell zum Singen treffen, und so unglaubliche Lieder dadurch schaffen, sowas fände ich schön, wenn es auch nach Corona erhalten bliebe.

Sonnenuntergang in Riems
Sonnenuntergang in Riems

Die riesigen Einschränkungen gab es für mich nicht. Stattdessen habe ich doch einiges über mich selbst gelernt und einmal mehr festgestellt, dass ich alleine doch echt gut zurechtkomme. Beschäftigung findet sich immer, auch wenn die Umzugskartons jetzt schon ein halbes Jahr lang alles ausgepackt sind. Ich habe mich stattdessen mit meiner Grünlilie beschäftigt, aus der ich dreizehn Ableger ziehe, die langsam aber sicher mein ganzes Wohnzimmer begrünen. Mamas Geldbaum-Ableger fühlen sich auch wohl hier und mit so viel Grünzeugs ist es ja fast so als hätte man Haustiere, um die man sich ständig kümmern muss. Und apropos Haustiere, davon gibt es jetzt auch welche, und zwar gleich 500 Stück. Denn der Weihnachtsmann brachte mir eine sogenannte Wurmkiste, die als Indoor-Komposthaufen fungiert, und in der meine 500 Würmer jetzt meinen Biomüll für mich entsorgen. Darüber freut sich dann wiederum das Grünzeug, das dann den feinen Bio-Dünger aus der Wurmkiste bekommen wird. Alles in allem also ein glücklicher Haushalt, würde ich meinen.

Driving home for Christmas...
Driving home for Christmas...

Zu Weihnachten konnte ich nach Hause fahren und die Feiertage mit Eltern und Oma verbringen, und sogar der Rest der Familie war per Video dazu geschaltet. Damit gerechnet hatte ich ja ziemlich lange nicht, umso mehr hab ich mich gefreut, in den Süden fahren zu können. Zehn Stunden im vollen Zug mit superstraffer FFP2-Maske war zwar nicht grade eine Freude, andererseits ist es ja nun bewiesen, dass Masken was helfen. Und ganz ehrlich bewundere ich eigentlich schon seit Jahren die Asiaten, für die das ganz normal ist, schon bei den kleinsten Krankheitsanzeichen eine Maske im öffentlichen Raum zu tragen. Nicht, um sich selbst zu schützen, sondern andere. Zu erkennen, dass man jemand anderen gefährden könnte, ist doch eine gute Eigenschaft und davon könnten wir uns meiner Meinung nach eine Scheibe abschneiden. Wenn mir meine Opernsängerin-Freundin erzählt, wie ihre Kollegen hustend und röchelnd zur Gesangsprobe kommen, obwohl ein gesunder Hals und eine funktionierende Stimme für sie alle den Lebensunterhalt bedeutet, ist mir die Einstellung dieser Menschen ein absolutes Rätsel. Da ist es auch egal, ob grade Corona umgeht oder ob es „nur“ eine Erkältung ist.

Teletubby-Land auf der Halbinsel Devin
Teletubby-Land auf der Halbinsel Devin

Bevor ich mich im November wieder ins Homeoffice zurückgezogen habe, war der Herbst noch gut gefüllt mit schönen Tagen, an denen ich auch nicht allein sein musste. Meine Eltern kamen zu Besuch und neben einem Ausflug nach Stralsund und auf die Halbinsel Devin, die aussieht wie das Teletubby-Land, konnten sie endlich auch die fertig eingerichtete Wohnung in Greifswald sehen. Mit Josi und ihrer Mama fuhren wir einen Tag kreuz und quer durch MeckPom auf der Suche nach dem groß im Reiseführer beworbenen „Alten Lager“, wo ganz tolle Waldwanderwege an uralten Wikinger-Gräbern in Schiffsform vorbeiführen sollen. Die Fahrt war dann im Endeffekt auch aufregend genug, um für die weniger als aufregenden Gräber zu entschädigen, aber ein schöner Spaziergang war es trotzdem und das wunderbare Herbstwetter war uns wohl gesonnen. Und hier im Norden weiß ich ja der Erfahrung von letztem Jahr nach, dass jeder Sonnenstrahl genossen werden muss, für den Fall, dass es im März schneit und bis in den April der richtig fiese eisige Sturm weht und man die Sonne erst im Frühsommer wieder zu Gesicht bekommt.

Beim nächsten Mal, dass Josis Mama zu Besuch war, waren die Temperaturen dann schon ordentlich gefallen, aber einen letzten traumhaften Sonnenuntergang gab es noch, sogar mit doppeltem gespiegeltem Regenbogen, und zwar endlich auf der nächsten Insel, es ging nämlich nach Riems – wo man sich jetzt eigentlich gar nicht mehr richtig hintraut, denn neben hochansteckenden Tierkrankheiten wird inzwischen im ortsansässigen Labor auch an Corona-Mutationen geforscht.

Wikingergrab am "Alten Lager" in Menzlin
Wikingergrab am "Alten Lager" in Menzlin

Doch die Sorge war ganz unbegründet und selbst der Dezember war sehr mild und sonnig. Schade, dass man zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr Kaffee trinken oder Eis essen gehen konnte. Aber wozu hab ich denn einen Schrank voll Puzzles, wenn nicht zum Zeitvertreiben allein zu Hause. Die allwochenendlichen Spaziergänge mit einzelnen Freundinnen wurden zum Highlight meiner Homeoffice-Wochen. Und ich muss doch sagen, dass ich hoffe, dieser Trend hält sich auch nach Corona noch. Wenn man nur zu zweit unterwegs ist, sind die Gespräche einfach viel tiefer und die Themen vielseitiger, als wenn man sich immer nur in der Gruppe trifft. Und ich habe draußen am Ryck jetzt schon zwei Mal einen knallblauen Eisvogel gesehen, das wäre mir in der Eisdiele wohl auch eher nicht passiert. Der Geldbeutel dankt es mir auch und der Gesundheit schaden mehrstündige Spaziergänge ja wohl auch nicht wirklich. Nur dass unter der Woche so schönes Wetter war, hat mich etwas genervt, denn nach Feierabend ist im Dezember dann leider auch direkt stockfinster, dann will ich auch nicht mehr raus.

Wo der so spät im Jahr wohl noch herkommt?
Wo der so spät im Jahr wohl noch herkommt?

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie viele Kontakte man wirklich hat im Alltag. In etwa so wie vor ein paar Jahren, wo mir erst durch meine Kehlkopfentzündung und eine Woche Sprechverbot klar wurde, wie viel man redet ohne wirklich etwas zu sagen („Danke“ an der Supermarktkasse, „Das wärs“ beim Bäcker, „Einmal zum Bahnhof“ beim Busfahrer). Gar nicht so einfach. Und plötzlich schreibe ich Protokoll über meine Kontakte über den Tag und merke, dass Busfahrer, Post-Angestellte, Verkäufer, Paketboten und Nachbarn ja auch Menschen sind, die man trifft, aber bedeuten tut es im normalen Alltag ja irgendwie nichts. Die Zeit an Telefon, Skype und Zoom vervielfachte sich, aber dadurch hatte ich wieder Kontakt mit Menschen, mit denen man sonst mal ne schnelle Nachricht wechselt, und mit denen man jetzt wieder stundenlang telefonieren konnte. Schließlich geht es jedem so wie mir und alle haben Lust auf Abwechslung.

Herbststimmung in Menzlin
Herbststimmung in Menzlin

Vor Weihnachten verbrachte ich den Großteil meiner Zeit in der Küche mit Plätzchenbacken und Pralinenmachen – an Beschäftigung fehlt es mir also definitiv nicht. Und selbst meinen Geburtstag, der eigentlich mit 20 Gästen geplant war, konnte ich auch allein sehr genießen, wer hätte das gedacht.
Alles in allem war es vielleicht nicht das beste aller Jahre, aber für mich doch irgendwie ein sehr schönes Jahr mit vielen neuen Erlebnissen und Erkenntnissen, und das ist schließlich auch nicht zu unterschätzen.

 

 

 

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Michael aus Fulda (Samstag, 06 Februar 2021 18:59)

    In der Mediathek des Fernsehsenders arte gibt es bis zum 16.04.2021 einen Film mit dem Thema
    „Die Malerei und das Meer“. Wegen Caspar David Friedrich wird Greifswald erwähnt (ab 29:30 Minuten)
    und man sieht Sean Scully in seinem Atelier bei der Arbeit an einem Gemälde (ab 36:30 Minuten).

  • #2

    Sonja (Sonntag, 07 Februar 2021 08:41)

    Danke, Tanja, für die andere Sicht auf die Corona-Zeit und die Lichtblicke, die es gibt. Wunderschöne Bilder.