Unter Segeln

Da arbeitet man schon für den zweitgrößten Segelboot-Hersteller der Welt und war noch nie so wirklich segeln. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, und so meldete ich mich an zum Schnuppersegeln, das alle paar Wochen mal angeboten wird und aber wegen geltender Corona-Auflagen fast den ganzen Sommer durch nicht möglich war.

Eindeutig: eine SENFkuh
Eindeutig: eine SENFkuh

Die Firma hat ein eigenes Mitarbeiter-Boot. Mir wurde erzählt, dass der Rumpf in der superschicken senfgelben Trend-Farbe ewig auf dem Gelände stand und man irgendwann einsehen musste, dass Senfgelb vielleicht doch nicht ganz so trendy ist wie gedacht. Also schnappten sich ein paar Mitarbeiter den Rumpf und alle möglichen sonstigen Rest-Teile und -Materialien und zimmerten daraus ein Boot zusammen. Heute liegt die „Senfkuh“ an ihrem eigenen Liegeplatz im Greifswalder Stadthafen und wird von dort regelmäßig von Mitarbeitern Gassi gefahren. Wenn sich ein segelerfahrener Kollege einträgt, das Schnuppersegeln zu übernehmen, kann man sich bei ihm anmelden und mitfahren, wenn er noch Plätze frei hat. Zu acht passt man noch gut, noch mehr und es wird kuschlig an Bord.

Als kompletter Segel-Neuling freute ich mich, dass ausgerechnet einer der wenigen Kollegen, die ich außerhalb unseres Hauptgebäudes kenne, den Skipper machte und mich einlud, mitzusegeln. Eines wolkig-schönen Donnerstags im September ging es dann also raus in den Stadthafen und an Bord der Senfkuh, wo sich außer Skipper Alex noch sieben andere männliche Mitarbeiter auf einen schönen Törn freuten. Männer gibt es hier natürlich so viele, da wir immer noch ein handwerklicher Betrieb sind, wo mit viel Hand- und Maschinenarbeit Boote gebaut werden. Der weibliche Anteil der Firma beschränkt sich weitestgehend auf uns von Marketing, Personalabteilung und Aftersales im Hauptgebäude und ein paar verstreute Kollegen in anderen Teilen der Stadt, die von dort aus für die Buchhaltung und ähnliches zuständig sind. Endlich mal jemanden aus der Produktion und Arbeitsvorbereitung kennenzulernen fand ich besonders erfrischend, denn in unserem Bürogebäude sieht man doch immer nur die gleichen 20 Gesichter.

neue Perspektive aufs Flüsschen Ryck (rechts am Ufer fahre ich sonst Rad)
neue Perspektive aufs Flüsschen Ryck (rechts am Ufer fahre ich sonst Rad)

Alex ist ein sehr erfahrener Segler und ich fühlte mich in guten Händen. Er war aber natürlich nicht der einzige Segler an Bord – auch wenn man eine Hanse-Yacht ohne weiteres alleine segeln könnte. Zwei andere brachten auch Segelerfahrung mit, dazu noch drei wie ich, die gerne mal probieren wollten, und zwei, die einfach mit rausfahren und genießen wollten. Das Wetter war uns gut gesinnt, was Anfang September in Greifswald nicht selbstverständlich ist. Ein bisschen Wind, ein bisschen Wolken, sehr entspannt. Und die ersten Highlights ließen nicht lange auf sich warten. Entlang meines üblichen Radweges am Ryck ging es Richtung Stadtteil Wieck, und vom Wasser aus ist es doch nochmal eine sehr andere Perspektive auf das, was man eigentlich gut zu kennen meint.

die Wiecker Zugbrücke aus neuer Perspektive
die Wiecker Zugbrücke aus neuer Perspektive

Man muss pünktlich los in der Innenstadt, damit man es rechtzeitig vor der vollen Stunde nach Wieck schafft. Die hölzerne Klappbrücke wird immer dann für den privaten Bootsverkehr geöffnet, wenn jemand davor wartet. Wenn man um Punkt nicht davor dümpelt, warten die Brücken-Männer nicht auf einen, sondern machen knallhart wieder zu wenn man nicht aus den Puschen kommt. Die Brücke habe ich inzwischen schon öfters mal im geöffneten Zustand gesehen, was zu Beginn meiner Zeit hier ein bisschen gedauert hat. Ab Herbst gilt die Segelsaison als beendet, die meisten Boote werden für den Winter an Land gebracht, also macht die Brücke nur noch nach vorheriger Anmeldung auf. Das passiert dann entsprechend selten und man kann lange warten wenn man einen trüben Tag erwischt. Im Sommer geht die Brücke zu jeder Stunde auf, zu der Boote davor oder dahinter liegen – und bei so einem schönen Sommer wie dieses Jahr kann man davon ausgehen, dass das tatsächlich jede Stunde der Fall ist. Die Brücke einmal von unten zu sehen war etwas, auf dass ich mich freute, seit ich zum ersten Mal davor stand.

Greifswalder Bodden
Greifswalder Bodden

Wenn man beim Schnuppersegeln mitmacht, ist es kein Problem, auch mal ein bisschen früher aus dem Büro zu gehen und als ich meine Chefin danach fragte, brüllte es den Flur entlang vom Vertriebsleiter „na klar, geh einfach um zwei!“. Nach Ablegen und gemütlich den Ryck entlang schippern (hier allerdings noch unter Motor und nicht unter Segeln) erreichten wir die Brücke um 15 Uhr und raus ging es auf den Bodden, nach dem SUP-Erlebnis mit Josi im Sommerurlaub war das für mich erst das zweite Mal überhaupt, und das, obwohl ich doch nur 15 Minuten Fußweg von dort wohne.

Irgendwie ist mir das mit den vielen Schnüren zu kompliziert (und ja, ich weiß, dass sie eigentlich Schoten und Leinen heißen...)
Irgendwie ist mir das mit den vielen Schnüren zu kompliziert (und ja, ich weiß, dass sie eigentlich Schoten und Leinen heißen...)

Der Greifswalder Bodden ist ein Teil der Ostsee und der Definition nach eine Art Bucht mit sehr niedriger Wassertiefe von durchschnittlich fünf Metern. Von Wieck aus kann man bei Niedrigwasser teilweise richtig weit ins Wasser laufen und steht schon ewig weit draußen bevor das Wasser überhaupt die Hüfte erreicht. Wellentechnisch hat man üblicherweise also nichts schlimmes zu befürchten, wenn auf der offenen Ostsee schon die Post abgeht. Wenn man von Wieck aus schaut, sieht der Bodden manchmal aus wie ein See und vom Salzgehalt könnte man das sogar auch meinen, denn so weit im Osten kommt nicht mehr so viel Salzwasser der Nordsee an und das Brackwasser hier ist sehr viel weniger salzig als ein paar hundert Kilometer weiter westlich. Greifswald ist ziemlich am südlichen Rand des Boddens, nach genau gegenüber sind es vielleicht drei Kilometer und wenn man gen Norden schaut, kommt irgendwo dann Rügen. Erst um die Ecke kann man Stralsund und die offene Ostsee irgendwo in der Ferne erahnen.

letztes Stück entlang der Wiecker Mole, danach darf man die Segel setzen
letztes Stück entlang der Wiecker Mole, danach darf man die Segel setzen

Mit unserer Senfkuh ging es einmal hinaus mit Greifswald im Rücken und Rügen weit vor uns und Highlight Nummer Zwei dümpelte nur ein paar Meter von unserer Steuerbordseite entfernt im glitzernden Wasser: eine Robbe! Soweit drinnen und weit weg der nächsten Sandbänke eine zu sehen, ist etwas sehr besonderes und wir jubelten entsprechend, was sie dazu veranlasste, direkt wieder abzutauchen. Schade, aber allein eine gesehen zu haben, war wirklich toll. Die Bodden-Robben gibt es noch gar nicht so lang und der lokale Naturschutzbund freut sich sehr über den wachsenden Bestand, denn in den 80ern drohten sie auszusterben. Ich habe gelesen, dass es zur Zeit etwa 60 Robben gibt, die das ganze Jahr über hier leben, da braucht man schon Glück, mal eine zu entdecken. Etwas weiter draußen sieht man sogar ab und zu einen Schweinswal, aber für uns ging es ja mehr um die Erfahrung und nicht darum, viel Strecke in kurzer Zeit zu schaffen, also ging es nicht so weit raus.

Ist doch gar nicht so schwer
Ist doch gar nicht so schwer

Jeder von uns Neulingen durfte mal ans Steuerrad und Alex erklärte mit einer Engelsgeduld, was man da eigentlich machen muss. Steuern allein ist nicht wirklich schwer und man muss hauptsächlich darauf achten, das Segel schön aufgepustet zu lassen. Wenn es anfängt zu schlackern, macht man etwas falsch – kurz mal am Steuerrad gedreht und den Wind wieder eingefangen und das Segel ist aber meist wieder schön straff. Für unseren Rückweg drehte der Wind und obwohl wir Greifswald in der Ferne schon sehen konnten, brauchten wir bis zur Wiecker Brücke an die zweieinhalb Stunden. Mit der geplanten Brückendurchfahrt um 19 Uhr wurde es entsprechend nichts und wir erwischten gerade so die letzte Brücke des Tages eine Stunde später. Ein bisschen deprimierend war das ja irgendwie schon, wenn du dein Ziel schon vor Augen hast, aber ihm irgendwie so gar nicht näher kommst. Direkt drauf zuhalten durfte ich nicht, sondern musste „kreuzen“, also im Zickzack davor hin und her fahren. Ein erfahrener Segler weiß irgendwoher, wann der perfekte Moment ist, wieder eine 90-Grad-Wende hinzulegen und immer wenn Alex brüllte, riss ich das Steuer herum und unsere Reling wurde fast nass weil wir so schief lagen. Das war spaßig, aber wirklich näher kamen wir Greifswald damit auch nicht.

...ganz leichte Schieflage
...ganz leichte Schieflage

Was ein wirklich guter Segler so alles drauf hat, demonstrierte Alex uns kurz vor Ende. Kollege Erik stand ganz entspannt am Bug als Alex mir zuflüsterte „dem jagen wir jetzt ein bisschen Angst ein“. Er griff von unten ans Steuerrad, für Erik sah es aber noch so aus, als würde ich steuern. Wir hielten gradeaus auf die nächste große Boje zu und Erik wurde entsprechend nervös. Er brüllte nach hinten „Seht ihr, dass da eine Tonne ist?“ und Alex, ich und der Rest der Mannschaft im Cockpit runzelten die Stirn und taten so, als könnten wir ihn gegen den Wind nicht verstehen. Wir ballerten also auf die Boje zu, Erik wurde schon ganz bleich im Gesicht, da riss Alex das Steuer herum und wir kreiselten um die Boje mit einem Abstand von ungelogen maximal 3 Zentimetern. „Alles nur eine Frage des Timings“ klärte man uns auf. Aber obwohl ich wusste, dass Alex sein Timing perfekt drauf hat, war es doch ein bisschen aufregend.

Oh, war ich glücklich über meine drei Jacken. Und ja, mit dem Stoffdach war ich tatsächlich etwas zu klein und musste mich strecken um zu sehen wo ich hinschippere...
Oh, war ich glücklich über meine drei Jacken. Und ja, mit dem Stoffdach war ich tatsächlich etwas zu klein und musste mich strecken um zu sehen wo ich hinschippere...

Als wir endlich die Brücke passierten, war ich leicht durchgefroren und tatsächlich nicht ganz sicher, ob Segeln wirklich mein Ding ist. Beim nächsten Bootsschein wird Segel-Theorie und -Praxis dabei sein, spätestens dann werde ich es sicher wissen, ob mein Boot für die Südseeschipperei in ein paar Jahren Segel haben muss oder ich auch ohne auskomme. Aber das ist ja noch ein bisschen hin und wer weiß, was bis dahin noch so kommt. Motorboot fahren finde ich definitiv ziemlich toll, daran besteht keine Frage mehr, aber dazu in Kürze mehr.

 

Übrigens: wen es interessiert, ein bisschen mehr über unsere Firma zu erfahren, oder wer einfach nur ein paar Fotos aus den Produktionshallen sehen will, der schaue hier: https://de.boats.com/am-wasser/hanseyachts-auf-zu-neuer-groesse/

 

 

 

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Sonja (Sonntag, 15 November 2020 08:02)

    Wow wow wow - toll!

  • #2

    Michael aus Fulda (Sonntag, 15 November 2020 18:14)

    Du erwähnst das Vorkommen von Schweinswalen in der Ostsee. Das erinnert mich an eine Geschichte, die mir ein Bekannter während einer nächtlichen Schlittenfahrt im Mondlicht durch tief verschneite Wälder in der Rhön erzählt hat. Er ging vor langer, langer Zeit in den 60-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufs Gymnasium der ruhmreichen Herzogstadt Wolfenbüttel.
    Wenn Du von dem Ruhm noch nichts mitbekommen hast, dann schau Dir nur Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel in seiner Robe des Hosenbandordens auf dem Gemälde an, Du wirst sehr beindruckt sein und Wolfenbüttel in einem ganz anderen Licht sehen.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Duke_Ferdinand_of_Brunswick-Wolfenbuettel_(1721%E2%80%931792).JPG

    Nach diesem kurzen Einschub zur richtigen Bewertung des folgenden historischen Geschehens soll nun die Geschichte weiter erzählt werden. Der junge Gymnasiast, er war vielleicht 12 Jahre alt, lernte fleißig, war brav und allen Torheiten seiner Altersgenossen abhold, kurzum ein vorbildlicher Schüler ohne Fehl und Tadel. Eines Tages stand nach Unterrichtsschluß ein Mann vor der Schule und verteilte Handzettel. Auf denen wurde dafür geworben, einen präparierten Wal anzuschauen, der nur wenige Tage auf dem Schloßplatz zu sehen sein würde.
    Mein Bekannter interessierte sich zwar mehr für die Modelleisenbahn (das wäre doch jetzt eine schöne Beschäftigung während der Corona-Pandemie!!!), aber die einmalige Gelegenheit wollte er doch nutzen. Am Nachmittag nahm er sich, natürlich nach Erledigung der Hausaufgaben, das Fahrrad und fuhr zum Schloßplatz. Dort stand ein LKW-Gespann aus Zugfahrzeug und Tieflader. An der Kasse bezahlte er den Eintritt und ging auf einen Steg an der Längsseite des Tiefladers.
    Auf der einen Seite konnte er den präparierten Wal aus der Nähe betrachten und auf der anderen Seite an der Wand, die zugleich Sichtschutz gegen kostenloses Anschauen war, Texte und Bilder zur Erläuterung studieren. Er, der nur Wolfenbüttel, Harz, Heide und Ostseestrand kannte, noch nicht mit dem Flugzeug über das Meer geflogen war, staunte über dieses gewaltige Tier. Seine Phantasie wurde angeregt, er las später „Moby Dick“ und war immer wieder erneut vom Meer beeindruckt.
    Mit dem weiteren Austausch von Erinnerungen vertrieben wir uns die Zeit. In der Ferne heulten die Wölfe. Das reichhaltige Abendessen lag uns schwer im Magen und mein Bekannter holte eine Flasche Likör hervor. Er schmeckte köstlich und tat uns gut. Auf dem Etikett konnte ich auf die Schnelle nur das Wort „Jägermeister“ lesen und das nächste Mal werde ich ihn fragen, wo er hergestellt wird.

    Wer mir diese Geschichte nicht glaubt, soll bei Google unter „präparierter Wal auf LKW“ suchen und z.B. das hier lesen:
    https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/region-limmattal/wie-kurt-breitenmoser-1963-mit-einem-wal-die-deutschen-entzueckte-133537130

    https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/bellevue/auf-walfahrt/story/13085983