Und wo war's am schönsten?

Die typische Frage von Familie, Freunden und völlig Fremden, mit denen man so ins Gespräch über die Zeit bei AIDA kommt, ist eigentlich immer „Und wo war es am schönsten?“ Meine Antwort fällt eigentlich immer anders aus je nach Tagesstimmung und nach den Erlebnissen, an die ich mich zuletzt zurück erinnert habe. Wenn man so viel gesehen hat wie ich, gibt es gewisse Trigger, die eine spezielle Erinnerung auslösen, an die der letzte Gedanke vielleicht schon wochen- oder monatelang zurückliegt. Und ist es denn so überraschend, dass es nicht den einen Ort gab, der am schönsten war?

Ich rechne euch das mal vor. In meinen acht AIDA-Einsätzen war ich auf sechs verschiedenen Schiffen, dazu kommen zwei Schiffe, auf denen ich nur zum Urlaubmachen war. Insgesamt habe ich in 101 verschiedenen Häfen festgemacht. Die Anzahl der Länder, die ich besucht habe, ist umstritten. Zunächst müssten wir uns einigen, was als eigenes Land gilt und was nicht. Von der UNO als eigenständiges Land anerkannt sind 195 Staaten. Nach der entsprechenden Liste war ich in meinem Leben in 50 Ländern, davon in 23 per Schiff. Eigentlich ziemlich eindeutig, denn die UNO ist schließlich die wichtigste Organisation der Welt. Aber selbst hier tut sich die Frage auf: Sind die Cookinseln ein eigener Staat? Die Cooks gelten als „abhängiges Territorium“ von Neuseeland, welches aber offiziell weder Kontrolle noch irgendwelche Rechte auf den Inseln hat. Da die Kultur extrem anders ist als in Neuseeland, tendiere ich dazu, die Cooks als eigenes Land zu zählen.

Wenn wir nach dieser Definition gehen, sind genauso aber auch England, Wales, Schottland und Nordirland nicht ein und dasselbe Land, sondern vier eigene mit jeweils eigener Kultur (auch wenn sie alle vier ihren Afternoon Tea lieben). Auf den Caymans trinkt man nicht mal Tee, sondern höchstens Eistee, trotzdem soll es zu Großbritannien gehören. Kulturell gesehen absolut falsch. Spitzbergen gehört nach meiner Definition also auch nicht zu Norwegen, St Martin bzw Sint Maarten gehört weder zu Holland noch zu Frankreich, Französisch Polynesien ist genauso ein kulturell unabhängiges Land wie Gibraltar und Grönland. La Réunion zähle ich trotzdem nicht als eigenes Land, da es zwar eine etwas inseligere Kultur als Frankreich hat, aber in der Tat „nur“ ein Département (also so was wie ein Bundesland) vom Mutterstaat ist. Nach meiner Definition wäre der Vatikanstaat kein eigenes Land, aber ich sammel ja Häkchen auf meiner been-there-Liste, also darf der Vatikan bleiben. Diese Liste beinhaltet dann 60 Länder, die ich in meinem Leben schon besucht habe und davon 29 per Kreuzfahrtschiff – und das klingt doch schon mal viel beeindruckender. Fragt sich, ob ich auch in Ägypten war, wenn ich nur durch den Suezkanal geschippert bin und keinen Fuß an Land gesetzt habe…

Damit hätten wir die Terminologie der Orte schon mal geklärt. Von den dreieinhalb Jahren, die ich bei AIDA angestellt war, habe ich zusammengezählt etwa 28 Monate an Bord verbracht, das entspricht etwa 72 Prozent der dreieinhalb Jahre. In anderen Worten waren das 124 Wochen oder 874 Tage (oder etwa 21.000 Stunden). Überlegt ihr euch doch mal, was der schönste Moment war in den letzten 874 Tagen eures Lebens. Ich wette, es gibt bei jedem von euch mehr als nur einen einzigen Moment oder einen einzigen Ort, der euch in den Kopf kommt. Daher ist die Frage, wo es in meinen dreieinhalb Jahren am schönsten war, für mich wirklich nicht so einfach zu beantworten. Vielleicht hat mich Madagaskar nachhaltiger beeindruckt als Belize, aber sind Chamäleons wirklich so viel cooler als Brüllaffen? Sind Regenbögen über der Wüste außergewöhnlicher als Gewitter über dem Meer? Ist Speedbootfahren in Mexiko aufregender gewesen als mit dem Hundeschlitten über Spitzbergens Schotterpisten zu heizen? Sind die Tempel in Indien oder in Thailand pompöser? Strände wie auf den Seychellen habe ich lange nicht gesehen, genauso wenig wie ich noch nie Eisberge wie in Grönland gesehen habe. Und wer sagt eigentlich, dass es nur den einen schönsten Ort gibt? Wenn die sternenklaren Nächte auf dem Crewdeck im Indischen Ozean nicht tausendmal eindrucksvoller und emotionaler waren als die Aussicht vom KL Tower über Malaysias Hauptstadt!

Vielleicht ist es an der Zeit, ein Fazit zu ziehen: Es waren dreieinhalb Jahre meines Lebens, die ich nicht in einer einzigen Erinnerung zusammenfassen kann oder will. Es war vielmehr ein Abschnitt meines Lebens, den ich absolut nicht zurückgeben will, der mir so viele unglaubliche Begegnungen mit faszinierenden Menschen und fast unberührten Landschaften beschert hat, dass ich gar nicht erst anfangen kann, alles in irgendeine Reihenfolge zu bringen, denn irgendwas werde ich sicherlich bei meiner Aufzählung der schönsten Orte vergessen, nur um in ein paar Tagen oder Monaten oder Jahren von einer so überwältigenden Erinnerung erwischt zu werden, dass ich meine ganze Liste wieder neu sortieren müsste.

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Birgit (Montag, 27 Januar 2020 16:18)

    Recht so!