Ab in den Norden

Oder ist es der Osten? Jeder scheint das ein bisschen anders zu sehen und tatsächlich definieren doch recht viele meiner Bekannten die Himmelsrichtung nach der Sprache, die dort gesprochen wird. In Greifswald spricht man definitiv Norddeutsch und keinen der Ossi-Dialekte (denen ich by the way auch wirklich nicht gerne zuhöre), aber so weit im Osten der Republik ist es eigentlich schon fast lächerlich, nicht wenigstens Nordosten zu sagen.

Wieso Greifswald? Ich lasse nach dreieinhalb Jahren die Planken und die Reling hinter mir und werde zur Landratte. Es reicht mir mit dem Geschaukel (das war zum Einschlafen immer so schön) und mit den vielen wechselnden Kollegen (so viele tolle neue Leute) und mit dem Essen in der Messe (schön, wenn man jeden Tag bekocht wird) und mit der engen Kabine (wenn magnetische Wände mal nicht die beste Erfindung überhaupt sind) und mit der blöden Uniform (nie überlegen, was man anziehen soll). Nein, aber mal ehrlich: irgendwann ist es Zeit für die eigene Wohnung ohne ständig neue Mitbewohner und für einen geregelten Tages-, Wochen- und vor allem Jahresablauf. Mehrere Monate am Stück frei zu haben war schon immer purer Luxus – aber irgendwann gehen einem die Freunde aus, die zur gleichen Zeit „mal eben“ spontan mit dir drei Wochen in Urlaub fahren können. Kollegen zu haben, die jeden Tag die gleichen sind, Freunde in der Nähe zu haben oder die sogar Nachbarn sind, das ist eigentlich ein kleiner Luxus, der mir zuletzt gefehlt hat. Es wird auch langsam Zeit, mal wieder regelmäßige Hobbys zu haben und mein Fahrrad hat mich auch schon sehnlichst vermisst. Und ja, auch einfach mal eine Kerze anzünden zu können ohne dass die Feuerwehr gerannt kommt, fehlt mir erstaunlich doll.

Also ist der Moment gekommen, der Seefahrt den Rücken zu kehren und einen neuen Abschnitt an Land anzufangen. Ganz weg von der See komme ich allerdings nicht – mein neuer Arbeitgeber baut Motor- und Segelyachten und der Großteil meiner neuen Kollegen würde sich selbst wohl als Seebär bezeichnen (oder ist das Gegenteil von Landratte eher Meerschweinchen?) und segelt regelmäßig mit dem eigenen Bötchen entlang der Ostseeküste. Wenn es mich aufs Wasser zieht, sollte ein kleiner Törn also nicht allzu schwer einzufädeln sein. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ich meinen Motorbootschein auffrischen und endlich ein bisschen Praxiserfahrung bekommen kann, ist an der Ostsee wohl auch geringfügig größer als am Neckar.

Der Bewerbungsmarathon ging eigentlich schon los, als ich im September von Bord ging. Der nächste Einsatz auf dem größten und jüngsten Schiff der Flotte stand für Anfang Dezember an, aber man kann ja wie man weiß nie früh genug anfangen mit dem Bewerben, also habe ich eben schon mal die Fühler ausgestreckt, was der Markt denn eigentlich so hergibt. Den meisten war meine vage Aussage bezüglich eines potentiellen Einstiegsdatums „im Frühjahr“ aber offenbar doch etwas zu ungenau und nur von meinem künftigen Arbeitgeber kam eine positive Antwort. Also zuckelte ich hoch in die hinterste Ecke Deutschlands (jedenfalls wirkt es so, wenn man von uns im Süden aus schaut), lachte viel mit Personalleiter und Marketingleiterin und bekam weil es so schön war auch gleich noch eine Werksführung oben drauf. Sehr cool, so eine Werft von innen anzugucken. Die riesige Halle hat einen Zwischenboden, in dem sind schiffsförmige Löcher und da drinnen hängen dann die Rümpfe der Boote, die sich in diversen Stadien des fertig-gebaut-Seins befinden. Spannend, ich freue mich schon drauf, mehr davon zu sehen.

Schon beim Vorstellungsgespräch kam die Sprache auf einen möglichen früheren Einstieg in die Firma und wenn sich schon so eine Chance ergibt, schlage ich natürlich zu. Anderthalb Wochen später war die Sache geritzt und ich hatte den Job mit Einstieg zum Februar. Mit einer recht kurzen Kündigungsfrist war also der neue Plan, noch auf AIDAnova aufzusteigen, eine kleine Runde Kanaren mitzumachen und nach einem Monat wieder heimzukommen, eine Wohnung zu suchen und zum Februar nach Greifswald zu ziehen. Soweit so gut. Kurz vor meinem Aufstieg ging es wie üblich zur Aufstiegsuntersuchung, wo ein speziell geschulter Arzt die Seediensttauglichkeit nach italienischem Recht (wegen der italienischen Flagge am Heck) feststellt. Zwei Stunden Hinfahrt, zwanzig Minuten beim Arzt, zwei Stunden Heimfahrt, alles wie immer. Da wir trotzdem für eine deutsche Reederei arbeiten, brauchen wir auch die deutsche Seediensttauglichkeit, die allerdings nicht vor jedem neuen Einsatz sondern nur alle zwei Jahre. Meine musste dringend aufgefrischt werden, ich dachte mir nichts groß dabei, denn ich hatte das Zertifikat ja schon zwei Mal und nichts hat sich in meinen Augen geändert. Und doch waren es dann tatsächlich meine Augen, die sich offenbar doch geändert hatten. Der Sehtest ergab, dass ich ohne Brille nicht genug sehe und schwupps, war es aus mit der Schifffahrt. Denn ohne Seediensttauglichkeit kein Arbeitsvertrag und ohne Arbeitsvertrag kein Schifflefahren mehr. Mann, das kam vielleicht plötzlich und unerwartet!

Der Vertrag aus Greifswald kam am nächsten Tag, also hielt sich der Schock über die bevorstehende Arbeitslosigkeit in Grenzen und die Wohnungssuche konnte sofort starten. Es ging mal wieder in den hintersten Zipfel Deutschlands und damit ihr wenigstens noch ein bisschen was zu lesen habt bevor das olle Landleben beginnt, gibt es die Geschichte von mir und dem Weg zu meiner eigenen Wohnung beim nächsten Mal (okay nein… beim übernächsten Mal…versprochen!)

 

 

 


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Kommentare: 3
  • #1

    Bettina Frerichd (Freitag, 24 Januar 2020 10:59)

    Heiner steht schon unter vollem Wind in den Startlöchern und kann es kaum erwarten Dich an Deinem neuen Arbeitsplatz zu besuchen. Und ich ... freue mich auf baldige Seeluft um die Nase, gerne auch im Nordosten. Kannst schon mal ÜN Adressen sammeln � guten Start,
    Luv, das wird super!

  • #2

    Michael aus Fulda (Samstag, 25 Januar 2020 19:07)

    Rita und ich wünschen Dir, dass Du Dich schnell an das Leben auf dem Land gewöhnst,
    Dich erfolgreich in die neue Tätigkeit einarbeitest und Freude am Einrichten der eigenen Wohnung hast.
    Zur Erinnerung an Deine frühere Umgebung gibt es ein Gemälde des dänischen Marinemalers Anton Melbye.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Melbye
    Seelandschaft, 1843

  • #3

    Joachim Schwend (Dienstag, 28 Januar 2020 11:22)

    Liebe Tanja,,

    hab vielen Dank für deine Berichte, die ich immer gern lese.
    Aber jetzt muss ich dir doch vehement widersprechen, als Oberlehrer und als überzeugter Wahlsachse und Leipziger!
    "Ossi-Dialekte ... denen ich nicht gern zuhöre", also das ist eine Verallgemeinerung, die so nicht stehen bleiben darf. Auch Greifswald ist ehemaliges DDR-Gebiet, also sprechen sie da auch einen Ossi-Dialekt. Und denen hörst du wohl doch lieber zu?
    Die Sachsen haben einen Dialekt den man mögen kann oder auch nicht, es kommt aber doch auf das Individuum an und auf das, was das Individuum sagt.
    Hörst du gern Schwäbisch?

    Was für dich spricht, ist der Gedanke an dein Fahrrad. Menschen, die sich Sorgen um ihr Fahrrad machen, haben bei mir immer einen Stein im Brett.

    Und in dem anderen Beitrag haben mich deine Gedanken zu den Begriffen Land und Region und so doch verwirrt. Die Caymans gehören ganz bestimmt nicht zu Großbritannien, sondern zu dem Vereinigten Königreich. Die von dir genannten Nordirland, Schottland, England ... und so sind vielleicht Regionen im EU-Verständnis, die Menschen würden es immer als Nation bezeichnen.
    Gerade Nordirland ist total komplex, wenn wir an Unionists und Republicans denken. Wie viele Kulturen gibt es wohl in Nordirland?
    Und gibt es eine schottische Kultur, oder doch eher die Highlands and Islands, die Lowlands ...
    Gibt es so was wie ein "kulturell unabhängiges Land wie Gibraltar"? Das Territorium ist doch kulturell total vielseitig. Es gibt doch nicht mehr die eine, native, spezifische Kultur, wir sind doch alle von den verschiedensten Kulturen beeinflusst.
    Oder glaubst du an eine "deutsche Leitkultur"?
    Jetzt wirds politisch, jetzt höre ich mal lieber auf.
    Das war der Oberlehrer, Cultural Studies eben., da kenn ich mich ein bisschen aus.

    Lieber Gruß,
    ich freue mich auf den nächsten Beitrag aus der Bootsfabrik oder von einer Tour über die Ostsee. Ringsum Greifswald gibt es auch viel Schönes zu sehen.
    Joachim