Auf na-Tour

Da gibt es ein paar wenige Ausflüge, die sind nicht nur ne Tour, sondern na-Tour. Die genieße ich besonders, denn da kommen alle mal ein bisschen runter, meistens gibt es keine Beschwerden über die na-Touren und egal wie das Wetter ist: es gibt Frischluft en-masse und endlich mal einen stillen Tag.

Exbury Gardens, UK
Exbury Gardens, UK

 

Bei uns an Bord ist ja immer irgendwie laut. Egal wie still das Schiff da liegt – selbst beim overnighten in Rotterdam läuft nachts natürlich ein Teil der Maschinen und beim Schlafen ist es nie ganz still. Ich bin schon ganz froh, meine Kabine etwa in der Mitte vom Schiff zu haben, ganz vorne über den Bugstrahlern wird es wohl ab und an mal richtig laut, wenn der Kapitän mal schnell Gas geben oder aufstoppen muss.
In unseren Büroräumen auf der Nagasaki Road auf Deck 3 ist immer ein Heidenlärm, denn entweder läuft unser Ticketdrucker mit seinem fffffffff-tschuk oder gegenüber in der Bord-Redaktion werden hunderte Exemplare der Bordzeitung oder neuer Flyer gefaltet mit dem ewigen tschaka-tschaka-tschaka-tschaka. Zu der stillen Zeit haben wir keinen Grund mehr, im Office zu sein und sind stattdessen in der Crewbar, wo natürlich immer laut ist, oder im Crew-Außenbereich auf Deck 5, und da hört man immer das Rauschen der Wellen hinter uns oder die üblichen Geräusche des Hafens beim Stillliegen.

Halbwilde Ponys im New Forest Nationalpark
Halbwilde Ponys im New Forest Nationalpark

 

Oben im Gästebereich ist auch immer eine gewisse Geräuschkulisse, vor allem jetzt zur Ferienzeit, wo von den 4.200 Gästen (sind also fast voll ausgelastet) über 1.000 Kinder und Jugendliche sind. Im Hintergrund dudelt immer mindestens entspannte Lounge-Musik, wenn nicht grade Proben für eine der abendlichen Shows auf der Theatrium-Bühne sind oder grade eine Show stattfindet. Oder grade die Beatles-Show vorbei ist – dann kann ichs vergessen, die Ohrwürmer in den nächsten zwei Tagen aus dem Kopf zu bekommen und dann ist es mindestens im Kopf laut.

Sommer in den Exbury Gardens
Sommer in den Exbury Gardens

 

Dementsprechend genieße ich die Landgänge, die keine ewige Busfahrt beinhalten, wo nicht permanent jemand interessante Fakten über die Region erzählt, und wo vor allem nicht dauernd Fragen von den Gästen kommen. Bei Stadtausflügen komme ich selbst in der Freizeit nicht von den Gästen weg und das ist auch okay. Egal in welcher noch so kleinen Seitengasse ich gemütlich bei Crêpe und Orangina sitze, die Gäste finden mich doch immer wieder und rufen von weitem „Ooh da ist sie ja! Guten Appetit!“ und meist bleibt es nicht dabei, sondern sie schießen spätestens wenn der nächste Bissen Crêpe im Mund verschwindet eine Frage hinterher. „Sagen Sie, wo ist denn die nächste Apotheke?“, „Gibt es in England Wechselstuben?“, „Haben wir morgen eigentlich wieder eine Zeitumstellung?“, „Wie lange hat eigentlich die Champagner-Bar auf Deck 8 offen?“, …

 

altes Herrenhaus in den Exbury Gardens
altes Herrenhaus in den Exbury Gardens

Wie habe ich es genossen, in England in die Exbury Gardens mitzufahren! Eine erste Einweisung durch die deutschsprachige Reiseleiterin, eine gemütliche Fahrt im Winz-Dampfzug durch die Parkanlage, und dann Freizeit. Ich bin gerannt wie von der Tarantel gestochen, um in die am weitesten entfernte Ecke des Gartens zu kommen. Aaah…diese Stille! Einfach mal einen Moment genießen, runterkommen, und alle bösen Worte der letzten Wochen sind wieder fast vergessen. Statt Stadt-Stress zeigten mir drei einheimische Gärtnerinnen einen Slowworm – offensichtlich eine Art Schlange, die aber nicht zu den Schlangen gehört, weil sie nicht schlängelt, sondern stattdessen zu den Würmern, weil sie wurmt. Sachen gibt’s. Statt Abwarten-und-Bus-fahren Entspannen-und-Tee-trinken, Cream Tea nämlich wie es sich gehört mit gigantischem Scone und Clotted Cream. Nette Gesellschaft ist bei den Ausflügen in die Natur auch oft dabei, in Exbury war es Anna vom TV-Team, der ich sogar ein Interview geben durfte umgeben von bunten Blüten und zwitschernden Vöglein…ein Traum.

 

Kreidefelsen von Étretat
Kreidefelsen von Étretat

 Noch grandioser war der Ausflug nach Étretat. Wo uns morgens in Le Havre noch leichter Niesel empfing, regnete es sich im Laufe des Tages so richtig doll ein und ich stampfte mir meinen Weg mit 60 Leuten durch den Matsch entlang der kreidefelsigen Steilküste Frankreichs. Als Begleitung muss ich immer das Schlusslicht sein bei geführten Spaziergängen, so also auch hier. Alle eingemummelt, es ist anstrengend, dementsprechend kaum Unterhaltungen unter den Gästen. Und ich als Schlusslicht, wenn es mir zu viel wird, dem Gemosere zuzuhören, lasse ich mich weiter zurück fallen, wunderbar. Eine traumhafte Landschaft, selbst im Regen, oder vielleicht auch gerade dann. Die spektakulären Kreidefelsen erinnerten mich ein bisschen an die Great Ocean Road. Aber in Australien war der Regen wärmer. Dafür in Frankreich keine Straße in der Nähe und nur Esel, die das Grün durchbrechen. Esel und Ziegen und dazwischen meine 60 Schäfchen, teilweise in Schuhen ohne jegliches Profil und weißen Jeans. Beschwerden sind natürlich vorprogrammiert, aber in dem Moment ist es mir egal. Ich mische mich unter die Esel, schaue und kaue an meinem Grashalm und genieße die Stille und die Regentropfen, die auf der Oberlippe hängen bleiben. Herrlich, ich sag es euch. Ich bin ja kein passionierter Wanderer, aber nach diesem Tag in den guten festen Wanderschuhen und den Arbeitsklamotten, wo es völlig egal ist, wie vermatscht man zurück kommt, wird es vielleicht doch zum neuen Hobby.

 

Strandpromenade in Étretat
Strandpromenade in Étretat

Doch nach jedem Ausflug ist es auch wieder schön, zurückzukommen. Schiff ist Zuhause, hier wohne ich und hier ist die Ersatz-Familie. Auch wenn die Heimat nicht annähernd so weit weg ist, wie ich das normalerweise im Ausland gewöhnt bin, sie ist halt doch weg. Es gibt kein Wochenende, das man mit Postkarten-Schreiben oder Skype-Dates verbringen kann, und die Kollegen sind Familie und Freunde zugleich. Und dazu sind die verregneten Ausflüge doch ganz gut: je nasser man zurückkommt, desto mehr fühlt sich das ruckelnde Bett über den Schiffsmaschinen nach zu Hause an.

 

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Flo (Samstag, 16 Juli 2016 11:47)

    Vielleicht solltest du dir für Landgänge Wechselklamotten und eine Perücke mitnehmen, damit dich keiner der Gäste erkennt?
    Aber schon toll, was du alles siehst und fotografierst. Gute Weiterreise!