Und plötzlich sind die Gäste weg

Unsere Gäste verlassen uns regelmäßig, nämlich immer am Ende einer Reise. Manche Reisen dauern nur drei Tage, sogenannte Kurzreisen, bei denen wir uns meist freuen, wenn die Kegelclubs, Junggesellen-Abschiede und Hausfrauen-Vereine endlich wieder absteigen. Dann gibt es die üblichen Reisen von sieben bis vierzehn Tagen, da kommt es sehr auf das Zielgebiet an, aus was für Menschen sich unsere Gästeschar zusammensetzt. Manchmal gibt es noch Transreisen, also Überführungsfahrten zwischen zwei Fahrtgebieten, die gerne mal bis zu 24 Tage dauern. Und dann gibt es noch die größte Seltenheit der Kreuzfahrtbranche: wenn plötzlich mal gar keine Gäste an Bord sind.

der Ameisenstaat geht an Bord
der Ameisenstaat geht an Bord

Üblicherweise gehen die Reisen fast nahtlos ineinander über und während die alten Gäste bis Mittag das Schiff verlassen, kommen die neuen Gäste schon an Bord. An diesen Tagen mit Gästewechsel wissen wir nur, wer grade kommt und wer grade geht, wenn die Gäste uns irgendeinen Hinweis geben – sei es der verschlafene Blick und die zerzausten Haare oder eben die übervoll bestopfte Handgepäckstasche, die nicht mehr aus den Augen gelassen wird.
Wenn plötzlich keine Gäste mehr da sind, heißt das meist nichts gutes. So zum Beispiel, als auf der Perla ein Magendarmvirus die Runde machte und wir zwischen alten und neuen Gästen das gesamte Schiff dekontaminieren mussten. Da waren es ganze vier Stunden, in denen kein einziger Gast an Bord war – aber genießen konnten wir die Zeit natürlich auch nicht so, wie man sich das wünscht für den Moment, an dem die Gäste abhauen. Wir dürfen das Schiff dann noch weniger als sonst am Wechseltag verlassen, außer wir müssen am Flughafen stehen und die Transferbusse desinfizieren, bevor die neuen Gäste sich auch irgendwas einfangen.

ein letzter Moment stressfrei: Auslaufen aus Palma von einer der Suiten ganz vorne
ein letzter Moment stressfrei: Auslaufen aus Palma von einer der Suiten ganz vorne

Dieses Mal ist es tatsächlich eine planmäßige Gästelosigkeit, die wir erleben, und entsprechend aufgeregt war ich auch. Es geht in die Werft! Unsere bella ist inzwischen zehn Jahre alt und da sie vor einer Weile eigentlich nach China verkauft werden sollte, wurde einfach nichts erneuert und ausgetauscht – wieso auch, wenn die Chinesen dann sowieso große Umbaupläne für unser Schiffchen hatten. Dann haben sich die Pläne doch geändert, die bella durfte bleiben und musste nicht ins Ausland. Ein bisschen wurde hier und da erneuert und aufpoliert, aber für große Veränderungen war einfach keine Zeit. Eigentlich gehen unsere Schiffe nach spätestens acht Jahren in die Werft, wo dann mehr gemacht werden kann als das, was man auch mal eben an einem Hafentag erledigen kann. Jetzt war es also allerhöchste Eisenbahn, dass auch die bella endlich ihr wohlverdientes Makeover bekommt. Es gibt große Pläne: der Blumenladen muss einer Eisdiele weichen (lang überfällig wenn ihr michfragt), das Reisebüro bekommt eine neue hübsche Location, das Kino braucht kein Mensch und wird ersetzt mit Meerblickkabinen, der Konferenzraum muss raus, die Teppiche in den öffentlichen Bereichen und fast allen Kabinen werden erneuert, Wände gestrichen, Rost von den Balkonen entfernt, Möbel ausgetauscht oder aufgemotzt, Pooldeck und Außenbereiche gereinigt, der Shop bekommt ein neues Aussehen, die Bühne eine neue LED-Wand, das TV-Team neue Technik, wir bekommen ein neues Restaurant, … und das alles macht ungefähr 15 Prozent der Neuerungen aus. Der Großteil der Werftarbeiten spielt sich im Maschinenraum und an der Außenhaut ab, die normalerweise unter Wasser liegt. Die Stabilisatoren und Bugstrahlruder werden gereinigt und generalüberholt, die Ankerkette geprüft und ent-algt, die Brückentechnik wird auf den neuesten Stand gebracht und in der Maschine werden Sachen gemacht, die keiner von uns Normalos aus dem Hotel-Bereich jemals verstehen wird.

das war mal eine Kino-Einrichtung
das war mal eine Kino-Einrichtung

Um Elf waren in Palma alle Gäste weg – höchste Zeit, denn die Kino-Sessel waren schon rausgerissen und das erste Gehämmere war schon auf den Gängen zu hören. Ganz so komisch wie erwartet war es nicht, die Gäste gehen zu sehen, denn es gab tatsächlich doch noch einen Check-In, nur eben nicht mit neuen Gästen, sondern mit etwa 1.200 Kollegen der Landseite, Bauarbeitern von spezialisierten Firmen an Land (sogenannte Kontraktoren), Aufpassern von unserem Mutterkonzern Carnival und das sogenannte „Riding Team“, das ist das Team, das eben durch die Gegend „reitet“ auf diversen Schiffen der Flotte, nämlich immer da, wo sie grade gebraucht werden. Dann ging es mit Volldampf voraus zurück Richtung Küste, wo uns das typisch provencalische Frühlingswetter (kalt, grau, nass, eklig) in Marseille erwartete.
Immer wieder schön, in einen bekannten Hafen einzulaufen – vor allem wenns zu einem neuen Liegeplatz geht, und den haben wir hier ja in der Tat. Wir liegen nämlich eigentlich nicht, sondern stehen wortwörtlich. Unter unserem Kiel liegt eine Reihe von Holzklötzen, die von oben ziemlich mickrig aussahen, die uns aber aufrecht halten, auch wenn das Wasser abgelassen wird. Und schwupps, sitzt man im Trockendock.

die Papenburg Road wird langsam zur Baustelle
die Papenburg Road wird langsam zur Baustelle

Es gab einen großen Crewabstieg in Palma, sodass nur noch um die 450 Crewmitglieder an Bord sind, denen fast dreimal so viele „Fremde“ gegenüber stehen. Das kann ja nur Stress geben. Weil die aus so vielen verschiedenen Bereichen kommen und alle denken, ihrer wäre der wichtigste, und außerdem aus so vielen verschiedenen Ländern mit so vielen verschiedenen Sprachen, waren für den Check-In mehr Helfer eingeteilt als für einen normalen Gäste-Check-In. Da rattern wir nur unser Sprüchlein runter und gut ist, aber bei riesigen Gruppen Männern, die zum Arbeiten kommen, muss man sich doch ein bisschen mehr Zeit nehmen um alles zu erklären. Damit wir uns nicht ganz verdrängt fühlen, bleiben unsere beiden Crew-Bars im Innen- und Außenbereich reine Crewbereiche, wo die Kontraktoren keinen Zutritt haben. Damit sie trotzdem auch etwas kaufen können, gibt es einen Werft-Kiosk auf dem Pooldeck, der zwei Mal am Tag für je drei Stunden offen hat und gegen Bargeld das wichtigste verkauft (also morgens vorwiegend Schokoriegel und Cola, abends hauptsächlich Chips und Bier). Für den Energieschub zwischendurch gibt es während der Kernarbeitszeit von 8 bis 18 Uhr einen Tisch mit Kanistern voll frischem Kaffee und Eistee, den sich jeder beliebig oft abholen kann.
Unsere Vorbereitung der nächsten Reise bis Kiel und der Routen für die Sommersaison haben wir fast vollständig bereits vor der Werft abgeschlossen und konnten uns dann voll und ganz auf unsere neuen Aufgaben konzentrieren.

Shop...oder wo er einmal war
Shop...oder wo er einmal war

Am Nachmittag kamen wir in Marseille an und wurden zuerst in den Sportbereich geschickt, um dort den Boden abzukleben. Hier war während der gesamten Werft-Zeit Lager und Büro, sodass alles schön zu sein musste, damit keine vermeidbaren Schäden im Boden und an den Sportgeräten entstehen konnten. Das Fitnessstudio ist schon recht groß, wenn man es so ohne die Laufbänder sieht, aber mit Kunststoffplatten im 2,5x1m-Format und mit dem gesamten Scout-Team waren wir doch recht fix fertig und konnten weiter wandern auf Deck 7, um dort den Gang zu den Gästekabinen abzudecken; allerdings sehr viel weniger spaßig ohne die großen Platten, sondern mit blöder Klebefolie, nach der sich unsere Hände anfühlten, als wäre die Haut an den Fingern zu groß weil dauernd dieses Klebzeug dran gerissen hatte. Ein Hoch auf die Pflasterbox, die die Biker mitgebracht hatten aus dem Fahrradlager und die uns die gesamte nächste Woche trotz Blasen an den Fingern erträglich machte.

Polster-Action
Polster-Action

Der Job vom Ankunftstag ist nur einer von vielen während der Zeit im Trockendock. Es gibt für alles irgendwelche Leute: Das Cover-Team ist zuständig für das Abkleben von Möbeln, Oberflächen, Wänden, Säulen, Teppichen, Treppen, Böden, Lautsprechern, Lampen und was es eben sonst noch so alles abzudecken gibt. Irgendwann wird das Cover-Team zum Entcover-Team, wenn es daran geht, alles wieder auszupacken. Das Logistik-Team nimmt alle Lieferungen entgegen, die aufs Schiff kommen, und weil es am einfachsten ist, kommen alle Lieferungen natürlich von oben via Kran direkt aufs Pooldeck. Müll- und Waren-Container fliegen also die ganze Zeit über das Schiff und manchmal auch nicht ganz drüber und so ging gleich am zweiten Tag eine Scheibe an der Reling kaputt weil plötzlich ein Container von der Seite angeflogen kam. Das Galley-Team ist das normale Küchenteam, wie wir es sonst auch haben. Die Versorgung von 1.700 Mann an Bord mit nur einem geöffneten Restaurant, in dem auch noch nebenher Teppiche neu verlegt, Wände neu gestrichen, Herdplatten ausgetauscht und Stühle neu bepolstert werden, ist natürlich eine große Herausforderung und die hatten ordentlich was zu tun um alle glücklich zu machen. Das Kaffee- und das Kiosk-Team haben die wohl wichtigste Aufgabe an Bord: immer für ausreichend frischen Kaffee und Snacks an der Kaffeestation und dem Kiosk zu sorgen. Das Sonnenliegen-Team verbringt ganze Tage damit, unsere Sonnenliegen zu reinigen, neu zu beziehen, von A nach B zu räumen und dann nach C und dann wieder nach A. Das Housekeeping hatte sein eigenes Team, denn da unsere Kontraktoren und landseitigen Kollegen ja auch alle an Bord wohnen, müssen weiterhin Kabinen und Gänge und Toiletten sauber gehalten werden. Das Engine-Support-Team kümmert sich darum, dass niemand die Maschine betritt, der nicht dazu befugt ist, denn die meisten Arbeiten werden im Maschinenraum durchgeführt. Ähnlich arbeitet das Security-Support-Team, die helfen, unsere Gangways und Ladeluken im Auge zu behalten. Die normalen Feuerwehrleute an Bord werden unterstützt vom Fire-Watch-Team, also Kollegen, die mit einem Feuerlöscher und Löschdecken überall dahin beordert werden, wo Arbeiten mit Schweißgeräten, Flexmaschinen oder anderen heißen Gerätschaften ausgeführt werden. Und dann gibt es natürlich noch das tollste Team von allen: unser Polster-Team, denn wir dürfen es uns mit guter Musik in einer der Bars gemütlich machen mit dicken weichen Polstern auf dem Schoß, aus denen wir die Tackernadeln herausklopfen, damit sie neu bepolstert werden können.

der winzige Pinökel ist dafür zuständig, dass wir nicht soo viel wackeln bei rauher See - und das, wo die Stabilisatoren von den Gästen immer so gehyped werden
der winzige Pinökel ist dafür zuständig, dass wir nicht soo viel wackeln bei rauher See - und das, wo die Stabilisatoren von den Gästen immer so gehyped werden

Die erste Nacht im Trockendock war komisch. Zu wissen, dass man sich nicht bewegt, ist das Eine. Zu wissen, dass man sich gar nicht bewegen kann, ist ein ganz neues Gefühl, das wir irgendwie nicht kennen auf einem Schiff. Wenn man von draußen runter schaut, sieht man unter dem Rumpf so winzig kleine Holzklötze liegen, die unser Schiffchen aufrecht halten. So winzig sind sie natürlich gar nicht, aber wie die das schaffen, das Wasser abzulassen und übrig bleibt ein Schiff, das perfekt geparkt auf so Holzklötzen zum Stehen kommt, kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Man glaubt es kaum, aber so ein Schiff kann sich tatsächlich innerhalb von ein paar Stunden in eine riesige Baustelle verwandeln. Es wird gehämmert und gebohrt und geschrabbert und natürlich haben sie genau den Teil der Außenwand angefangen zu bearbeiten, der direkt neben meinem Bett ist, und zwar genau dann, als ich genau da schlafen wollte.

es regnet im Theatrium
es regnet im Theatrium

Bevor die Werft so richtig los geht, sind alle noch guter Dinge, dass auch wirklich alles fertig wird, was fertig sein soll, wenn die nächsten Gäste an Bord kommen. Aber so richtig vorstellen kann man es sich irgendwie nicht, wie genau das alles ablaufen soll. Es kann so viel schiefgehen und eigentlich können wir sowieso nichts anderes tun, als hoffen, dass alles genauso funktioniert, wie es geplant wurde. Würde aber alles so funktionieren, dann hätten wir ja nur halb so viel Spaß und Spannung. Zum Beispiel wurden die Deckenscheiben im Theatrium ausgetauscht. Würde es jetzt nicht auf der Bühne regnen, hätte keiner gewusst, dass überhaupt was gemacht wurde…

die selbe Aussicht jeden Tag
die selbe Aussicht jeden Tag

Tag Eins der Werft. 126 Stufen müssen wir bei jedem Gang zu unserem Arbeitsplatz rauf, denn Büroarbeit ist abgeschafft und wir verbringen jetzt unsere Zeit irgendwo, aber nicht in unserem eigenen Bereich. Die zehn Aufzüge im Passagierbereich sind vom Strom genommen worden, also gibt es noch fünf Aufzüge im Crewbereich, von denen zwei komplett von Deck 3 bis Deck 12 durchfahren. An den Aufzügen hängen Schilder, die alle informieren, dass jeder, der nichts schweres zu transportieren hat, gefälligst die Treppe nehmen soll. Die Telefone sind vom Netz genommen worden und unsere Firmenhandys funktionieren nur an Land wenn keine Stahlwände dazwischen sind, sodass wir immer laufen müssen, wenn wir etwas von irgendwem wollen.
Wir sind einem Team von Industriepolsterern aus Wismar zugeteilt, die unsere Sessel und Sofas neu bepolstern. Wir sind sehr glücklich damit, denn das sind alles Deutsche und entweder lästern sie einfach nicht oder sie behalten ihre dummen Sprüche für sich, bis sich unter sich sind. Bei den ausländischen Kontraktoren fühlt man sich manchmal schon sehr unwohl, da als Frau vorbei zu laufen, denn egal wie ausgebeult und unvorteilhaft unsere Blaumänner aussehen, so viel Frauenpower gibt es auf einer üblichen Baustelle an Land wohl nicht. Schaltet mal euer Klischeedenken ein und überlegt euch alle Vorurteile, die ihr jemals über Bauarbeiter gehört habt. Bei einem Großteil derer, die hier an Bord so rumhüpfen, stimmen sie alle. Traurig, aber leider wahr: die Deutschen und die Briten scheinen die einzigen an Bord zu sein, die freundlich und zuvorkommend sind, während wir mit den Ostblock-Arbeitern und den Italienern richtige Schwierigkeiten haben.

Polster-Action
Polster-Action

In unserer kleinen Ecke bekommen wir glücklicherweise nicht allzu viel Durchgangsverkehr mit und verstehen uns nach dem ersten Beschnuppern ganz oberprächtig mit unseren Kontraktoren. Es ist faszinierend, was die so alles dabei haben: Da steht die Bar plötzlich voll mit flaschenweise Möbelhaus-Geruch-Essenz (ich schätze mal, dass es sich dabei um ein Lederpflegemittel handelt), in der Leseecke stehen zwei professionelle Nähmaschinen, unter den Fenstern liegen stapelweise Teppich- und Lederrollen. Von jetzt auf gleich standen sieben neue Klapptische in der Gegend, die fast überquellen vor Scheren, Gummihammern, Tackerpistolen und allerlei sonstigem Krimskrams. Nachdem wir aus einem Möbelstück oder –teilstück alle Tackernadeln entfernt haben, schaut sich einer das abgezogene Leder an und misst es aus. Einer krallt sich das neue Leder und misst daraus die neuen Teile ab. Einer sitzt an der Nähmaschine und näht die Nähte so, wie sie gebraucht werden. Einer stattet das nackte Möbelstück mit neuem Schaumstoff aus. Einer beklebt den Schaumstoff mit weicher Polsterwatte. Einer kommt und passt das Leder an. Einer kommt und tackert es fest. Einer schraubt die Füße wieder an. Das ist eine ganz schöne Arbeit, die da reingesteckt wird, wenn so was neu gemacht werden muss. Mir war tatsächlich gar nicht bewusst, dass es überhaupt etwas gibt, das sich Industriepolsterer nennt.

Container-Bahnhof Pooldeck
Container-Bahnhof Pooldeck

Bereits am Morgen wurden in der Leseecke die großen schrägen Scheiben markiert für den Austausch. Wir freuen uns sehr, dass wir einen Arbeitsplatz haben, an dem wir so schön viel zu sehen bekommen, denn hier hat man einen tollen Blick aufs Dock und die Werftgebäude und ab und an wird man ein bisschen abgelenkt, weil draußen ein hübscher Bauarbeiter am Klettergurt entlangklettert, der was an der Brücke macht, die direkt oben drüber ist. Dann kommt aber auch garantiert wieder ein nicht so hübscher Bauarbeiter und schon ist die Konzentration auf unsere eigene Arbeit wieder hergestellt.
Es ist faszinierend und ein bisschen eklig, was man so alles zwischen ausgesessenen Sitzpolstern findet. Okay, teilweise sehr eklig. Das spannendste, das bei mir aus den Lederresten fiel, war ein Casino-Chip im Wert von 50 Cent, der aber so rostig war, dass man ihn kaum mehr erkennen konnte. Ich hab ihn mal beiseitegelegt und drei Stunden später war er weg. Vielleicht knackt jemand damit den Jackpot, dann habe ich eine gute Tat getan. Aber wahrscheinlich ist er einfach in den Müll gewandert, denn alle Stunde kommt das Logistiker-Team vorbei und sammelt Müll ein, der überall anfällt, und der dann in die großen Müllcontainer auf dem Pooldeck kommt. Allein in die Sortierung des Mülls fließt eine Menge Gehirnschmalz, denn es bringt halt nichts, wenn der Metall-Container da ist, wenn grade kein Metall-Müll entsorgt werden muss. Wo geschweißt und geschliffen wird, ist alles staubig und so ganz genau erkennt man nicht mehr, was Müll ist. Damit nichts wichtiges wegkommt, hängen überall riesige Schilder mit „Kein Müll“ in diversen Sprachen, zum Beispiel an den Klotüren, die lose an den Wänden lehnen.

nicht ganz so elegant wie sonst, im Restaurant oben
nicht ganz so elegant wie sonst, im Restaurant oben

Am Abend wurden an den markierten Scheiben über der Leseecke die Dichtungen eingeschnitten. Wieso genau, hat uns keiner erklärt, und dass es danach in die Leseecke regnen würde, wussten wir vorher auch nicht. Nachdem wir ein paar Stunden lang Eimer vom Housekeeping volllaufen ließen und austauschten, kam jemand rein, schaute sich das ganze an, nickte und ging. Zum Feierabend brachte jemand einen größeren Eimer und ging. Irgendjemand schien sich aber über Nacht drum gekümmert zu haben, denn am nächsten Morgen war die Fensterbank wieder einigermaßen trocken gelegt.

AIDA-Bar, teppichlos
AIDA-Bar, teppichlos

Tag Zwei der Werft. Ein Drittel unserer Sofas ist entpolstert. Wenn wir zu viert dran wurschteln, schaffen wir ein ganzes Sofa in einer guten halben Stunde. Nachdem Scout-Kollege Patrick uns seine Lieblings-Playlist, bestehend aus einem ganz eigentümlichen Mix aus Techno, Schlager, Britney Spears und 90er-Boygroups, aufgezwungen hatte, wurde ich einstimmig zum neuen Polster-DJ auserkoren. Weil alle so glücklich mit der neuen Musik sind und unsere Scout-Mädels so gerne in ihre Holzhammer singen, wurde der Entschluss gefasst, ein Werft-Video zu drehen. Umgesetzt werden konnte der Plan noch nicht, denn so gut wie nie sind wir alle zusammen. Einer muss immer aufs Klo und unser Klo direkt an der Leseecke hat keine Kloschüsseln mehr. Neues Alternativ-Klo ist im Sportbereich. Langsam werden die Treppen gesperrt und wieder entsperrt und keiner weiß genau, wann man wo langgehen kann, um zum Sportbereich zu kommen. Zwei Stunden später hat das Klo im Sportbereich kein Klopapier mehr. Neues Alternativ-Klo ist am Deck-9-Restaurant. Der schnellste Weg dorthin geht durch den Shop. Eine Stunde später ist es im Shop so staubig und voll Funken, dass ein Klogang von nun an von langer Hand geplant werden muss.

Polster-Action
Polster-Action

Die Kaffeestation beschließt, jeden Tag um 14 Uhr ein Special einzuführen, um alle bei Laune zu halten. Heute gibt es heiße Schokolade. Das Wetter ist immer noch sehr provenzalisch und so kommt die uns sehr gelegen. Um 14 Uhr ist allgemeine Kaffeepausen-Zeit auf der Werft. Weil die Kontraktoren alle spätestens um Zwölf das Werkzeug fallen lassen, ist das eine gute Zeit für Kaffee. Wir kommen also lieber nicht direkt um Zwei, damit wir noch ein Plätzchen auf einer der Bierbänke finden und nicht ganz so viele Bauarbeiter-Dekolletees sehen müssen.
Die Kontraktoren finden die Kaffeepause super und den Werft-Kiosk genauso. Am Abend sind sie sauer, denn die größte anzunehmende Katastrophe ist eingetreten: das Bier ist aus!
Vielleicht aus Frust, vielleicht aber auch, weil irgendjemand den Dienstplan so geschrieben hat, fangen um fünf vor Mitternacht die Hochdruckreinigungsarbeiten an der Außenwand an. Zehn nach Mitternacht sind sie an der Wand vor meinem Bullauge angekommen und ein monotones Brummen und Brausen hält mich wach.

Pool- ...äh...Müll-Deck
Pool- ...äh...Müll-Deck

Tag Drei der Werft. Das Klo am Deck-9-Restaurant ist abgesperrt. Unser neues Alternativ-Klo ist zwei Decks höher. Um dort hinzukommen müssen wir aus der Leseecke auf Deck 10 übers Casino und das Theatrium ins Treppenhaus, dort auf Deck 11 hoch, durch den oberen Theatrium-Bereich übers Pooldeck und durch die Pizzeria. Drei Stunden später hat das Klo am Deck-11-Restaurant keine Kloschüsseln mehr. Unser neues Alternativ-Klo ist ein Deck tiefer. Von der Pizzeria geht es ins Treppenhaus und zurück auf Deck 10, am anderen Ende des Schiffes von unserem Arbeitsplatz aus gesehen.
Über den Tag verteilt wird mehrmals Wasser und Strom abgestellt. Wenn die entsprechende Durchsage kommt, haben die Bewohner einer der sechs vertikalen Feuerzonen, in die unser Schiff aufgeteilt ist, nicht mal mehr die Alternative, einfach auf Kabine aufs Klo zu gehen.

die Schrecknachricht: "Sorry, no beer today"
die Schrecknachricht: "Sorry, no beer today"

Die Fernseher der Gästekabinen werden ausgebaut und liegen überall auf dem Schiff verteilt. Nach ein paar Stunden ist ein Container auf dem Pooldeck bis obenhin gefüllt mit durchschlagenen Bildschirmen und Kabeln. Unsere Crew-Fernseher dürfen wir noch behalten, auch wenn sie schon vom Netz genommen wurden. In ein paar Tagen werden die auch noch ausgetauscht, denn „happy crew means happy guests“.
An der Kaffeestation gibt es auch eine sehr happy crew, denn das heutige Special ist alkoholfreier Mojito. Um 14 Uhr kommen die italienischen Kontraktoren alle ganz außer Puste an der Kaffeestation an, ihnen wird gesagt, dass kein Alkohol im Mojito ist und sie stampfen wütend wieder davon. Am Abend kommt eine Lieferung von 2.000 Flaschen Bier über den Kran an Bord. Innerhalb von zwei Stunden sind sie ausgetrunken. Wer nicht schnell genug ist, wird vor der Crewbar von italienischen Bauarbeitern angesprochen, die einem versichern, dass sie doch nur arme italienische Bauarbeiter sind, die so gerne ein Bier möchten. Wer dumm ist, besorgt ihnen ein Crew-Bier, wird auf der Überwachungskamera erkannt und bekommt eine Verwarnung.

Wie sagt man so schön bei den Briten: „Desperate times call for desperate measures.“

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Sonja (Dienstag, 01 Mai 2018 09:35)

    Irre, dieser Umbau! Ich hoffe, dass ihr das gut überstanden habt und das Schiff in neuem Glanz unterwegs ist.
    Weiterhin gute Reise!!!!