Fast Segeln

Mit meinem Sommerurlaub starteten zwei Monate voll lieber Leute, denn nicht nur zu Hause im Süden sah ich die „alten“ wichtigen Menschen wieder, sondern auch zurück im Norden beehrten mich einige derjenigen, die festgestellt hatten „Mensch, die Tanja wohnt ja jetzt am Meer!“ Das volle Touri-Programm wartete also auf mich, und zwar gleich mehrmals. Und mein Gästesofa freute sich, endlich mal ausgiebig beschlafen zu werden.

Aber davor ging es in den Süden für meine eine Woche Urlaub in der Heimat. Viel rumfahren wollte ich nicht – zehneinhalb Stunden Bahnfahren reicht, vor allem wenn man es eine Woche später wieder tun muss. Aber einer brachte mich dann doch dazu, mich eines superheißen Sonntags Mitte Juli ins Auto zu setzen und anderthalb Stunden ins Frankfurter Umland zu fahren: Ex-AIDA-Kollege Thomas hatte mich eingeladen für einen ganz außergewöhnlichen Ausflug. Nicht weit von Seligenstadt trafen wir uns auf einer riesigen Wiese, umrandet von Gebüsch und Bäumen, eine große Halle an einem Ende, ein kleines bisschen geteerte Strecke davor, mit viel viel offenem Himmel obendrüber. Und auf der Wiese standen etwas andere Segel, als ich sie üblicherweise in meiner Nachbarschaft sehe. Flugzeuge. Viele kleine und noch kleinere – ja, es ging Segelfliegen!

Flugplatz Seligenstadt
Flugplatz Seligenstadt

Thomas ist seit einiger Zeit stolzer Besitzer eines Flugscheins und darf solche kleinen Segelflieger alleine fliegen. Einen Motor haben die nicht, sondern nur ein Rad untendrunter und möglichst wenig möglichst leichtes Material außenrum. Die Flügel halten das Teil in der Luft, solange bis kein Auftrieb mehr da ist, dann sollte man schnell eine geeignete Landefläche finden. Aber Thomas und seine Kollegen im Segelclub können das ja gut einschätzen und so machte ich mir gar keine Sorgen.
Bevor wir selbst starten konnten, durften wir noch eine Weile zuschauen und ich bekam eine kurze Führung durch die Hallen. Die Flugzeuge sind teilweise Privateigentum, müssen also auch mal weg vom Flugplatz. Dann werden sie auseinander genommen und in lange schmale Anhänger verpackt, die dann mit dem Auto durch die Gegend gefahren werden und vielen verärgerten Leuten gleichzeitig den Parkplatz wegnehmen können.

Flügel von innen
Flügel von innen

An der Wand hängen Flügel, wo die äußere Schicht fehlt, sodass man sich anschauen kann, was einen da eigentlich nachher in der Luft halten wird. So ganz genau wollte ich da gar nicht hinschauen, denn da war irgendwie eine Menge Nichts in diesen Flügeln – und die halten heute schon mal Flugzeuge mit einer dreiviertel Tonne Gewicht. Eine ganz alte Flugmaschine haben sie auch ausgestellt, um immer dran erinnert zu werden, wer der Urgroßvater ihrer Flugzeuge war. Sehr spannend. Demnächst geht es übrigens ins Museum in Anklam, wo Otto Lilienthals erste unmotorisierten Flugmaschinen vom Ende des 19. Jahrhunderts Thema sind, da lerne ich vielleicht mehr dazu.

Winde am Ende des Rollfelds
Winde am Ende des Rollfelds

Bisher hatte ich im Nachbarort meiner Heimatstadt Segelflieger immer nur gesehen, wie sie von einer kleinen Propellermaschine in die Luft gezogen werden. Auf dem Seligenstädter Flugplatz gibt es das nicht, stattdessen wird ein sogenannter „Windenstart“ durchgeführt. Da steht ein umgebauter Truck am Ende der Wiese, der hat eine feste Winde an Bord und zieht die Flieger nach oben. Damit das Seil nicht am Flugzeug bleibt, ist es in einer Kupplung befestigt, wo es automatisch rausfällt, wenn der Steigungswinkel des Flugzeugs kleiner wird. So ein Teil geht ordentlich steil in die Luft, von unten sah das bei den anderen Starts immer aus wie vertikal nach oben. Auf einer bestimmten Höhe steuert der Pilot dann die Schnauze wieder etwas zurück Richtung Boden und dann fällt das Seil ganz von selbst ab und die Winde am Boden zieht es ein. Bei meinen Recherchen habe ich übrigens rausgefunden, dass die ersten Segelflugzeuge mit einem Gummi losgeschleudert wurden, das stelle ich mir vor wie eine große Steinschleuder…

ganz schön eng
ganz schön eng

Wenn man in so ein Segelflugzeug reinschaut, fällt sofort eins auf: es ist super eng. Schon von außen sieht es eng aus und ja, innen drin ist es noch enger. Allein das Ein- und Aussteigen war eine echte Herausforderung. Aber bevor es losgehen konnte, bekam ich meine Einweisung in die Notfall-Prozedur. Zum Beispiel gab es erstmal eine Art Rucksack auf, der ist gleichzeitig Anschnallgurt im Flugzeug und Fallschirm. Alles, was man aus den großen Passagiermaschinen kennt, kann man fürs Segelfliegen eigentlich vergessen. Brennen kann ja eigentlich nichts, ohne Motor und komplexe Gerätschaften an Bord. Wenn was gewesen wäre, hätte Thomas mir ein Zeichen gegeben, dann die Glaskappe vom Flugzeug gelöst. Die Kappe fliegt nach hinten weg, dadurch verliert das Flugzeug seine Schnittigkeit und schlussendlich schnell an Höhe. Man löst eine einfache Schnalle am Gurt und fällt aus dem Flugzeug, zählt bis drei und zieht dann am Fallschirm. Der geht auf und dann hat man aber keine Möglichkeit, irgendwie zu beeinflussen, wo man runter kommt. Also hoffen und nicht zu viel drüber nachdenken. Aber hey, solange es nicht zum Notfall kommt, braucht man sich ja auch eh keine Sorgen zu machen.

Bereit...?
Bereit...?

Ich war also bereit, wir setzten uns in unser Flugzeug und dann fand sich sogar noch ein netter Fliegerkollege, der mir seinen schicken Anglerhut lieh, denn da oben unter gebogenem Glas kann es doch mal fix zu einem Sonnenstich kommen, wenn man nicht dran gewöhnt ist. Sobald die Glaskappe zugeklappt wird, ist es unglaublich heiß und das winzige Fensterchen bringt erst Abkühlung, wenn man oben ist und es aufmachen darf. Der Start war ja irgendwie schon mal das Aufregendste, jedenfalls sehr viel aufregender als ich mir das vorgestellt hatte. Es geht wirklich supersteil rauf und irgendwann denkt man, dass man oben ist und „och, war ja gar nicht so schlimm“ und dann fällt das Seil unten raus und man sackt kurz ab, so dass der Magen 30cm weiter oben hängen bleibt. Puh! Danach ist aber alles ganz entspannt und man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus.

Aussicht von hinten
Aussicht von hinten

Natürlich ist so ein Flugzeug, das nicht fähig ist, sich selbst anzutreiben, auf äußere Einflüsse angewiesen. Man ist also permanent auf der Suche nach Aufwinden, also wärmeren Luftströmungen, die das Flugzeug wieder nach oben bringen können. Wenn man am Himmel einen Segelflieger sieht, der in engen Kreisen fliegt, hängt der grade auf so einer Strömung und lässt sich ein bisschen weiter hoch tragen. Im Inneren der Kabine weiß man, was draußen passiert, durch ein konstantes leises Piepen. Wenn das Piepen tiefer und langsamer wird, verliert man an Höhe. Wird es höher und schneller, geht es rauf. Manchmal merkt man das, manchmal aber auch nicht. Da die modernen Flugzeuge für zwei ausgestattet sind, also auch der hintere das Flugzeug steuern kann, hatte ich alle Geräte und konnte mitverfolgen – auch wenn ich nicht allzu viel davon verstanden habe, was die ganzen Zahlen und Zeiger mir sagen wollten. Einen Steuerknüppel hatte ich auch, aber den rührte ich natürlich nicht an, sondern sah ganz fasziniert zu wie er scheinbar von alleine hin und her ruderte, wenn Thomas vorne seinen bediente.

die Seligenstädter Basilika von oben
die Seligenstädter Basilika von oben

Perfekt blauer Himmel ist zwar toll für die Sicht, aber eigentlich echt uncool, denn Wolken sind üblicherweise der eindeutigste Hinweis für schöne Aufwind-Zellen. An diesem Sonntag war der Himmel so wolkenlos blau wie ich ihn im Norden schon lange nicht mehr gesehen hatte – und dann ärgerte ich mich auch noch drüber!
Unser Flug dauerte also nicht mal eine Viertelstunde, aber wie schon beim Helikopterfliegen mit AIDA kam mir die Zeit in der Luft sehr viel länger vor. Schade nur, dass die Vorbereitungen und Wartezeiten so lange dauern. Weil Thomas‘ Kollegen wussten, dass es mein erstes Mal war, ließen sie uns den Vortritt für noch eine zweite Runde. Die war noch kürzer, aber dafür umso aufregender. Ich dachte „Jetzt bist du drauf vorbereitet“, aber der Magen blieb trotzdem wieder oben hängen als wir an der höchsten Stelle des Windenseils ankamen. Und dann überrumpelte Thomas mich mit ein bisschen Angeberei, denn natürlich müssen Männer ja immer beweisen, was sie alles tolles können ;)
Also ging es mit ungefähr zwei Sekunden Vorwarnung in einen Parabelflug.

ganz schön viel los auf dem Weg zur Sonne
ganz schön viel los auf dem Weg zur Sonne

Ein Parabelflug ist ein Manöver, für das man andernorts auch mal viel Geld ausgeben kann. Das wird zum Beispiel gemacht, um Leute auf die Schwerelosigkeit im Weltall vorzubereiten. In großen Maschinen dauert die Schwerelosigkeit schon mal 20 Sekunden, darauf kommt man natürlich in so einem kleinen Segelflieger nicht. Die Parabel sieht genauso aus wie die Parabeln, die man im Matheunterricht bis zum Erbrechen mit maximal angespitztem Bleistift malen musste (und wo Papa wahrscheinlich immer sehr an sich halten musste, nicht zu schimpfen, wenn ich in meinen x-/y-Achsen mit Kuli drin rum malte). Das Flugzeug geht also von einer horizontalen Lage in einen Steigflug , dann ziemlich krass direkt in einen Sinkflug – und das ganze so oft, wie der liebe Thomas eben grade lustig ist. Die Schwerelosigkeit besteht oben auf der Parabel, also im letzten Teil des Steig- und im ersten Teil des Sinkflugs. Wenn man sowas so richtig im Großen macht, fliegt man natürlich schwerelos in der Kabine rum. Wir in unserer kleinen Segelfliegerkabine waren natürlich weiterhin angeschnallt und verließen unsere Sitze nicht, aber so ein seltsames Gefühl hatte ich auch noch nicht oft. Als wäre der Körper unschlüssig, ob er schwer sein oder nach oben wegdriften will.

Frankfurter Skyline in der Ferne
Frankfurter Skyline in der Ferne

Als der Spuk vorbei war, konnte ich auch wieder normal atmen und die Aussicht genießen. Hui, das war schon aufregend und vor allem so unerwartet! Die Aussicht entschädigt aber für allen Stress, denn aus einem halben Kilometer Höhe sieht sogar Frankfurt echt nett aus. Wegen der geringen Aufwinde kamen wir nicht höher, aber selbst mit darf man in Seligenstadt nicht höher als 950m, sonst kommt man den Flugschneisen vom Frankfurter Flughafen in die Quere.
Unser zweiter Flug war noch kürzer als der erste, aber die Beine waren auch so schon ordentlich gummiartig nach der Landung. Wobei die Landung selbst erstaunlich gemütlich war. Wenn man den anderen Fliegern zugeschaut hat, sah es immer sehr ruckelig und abrupt aus, wie die da auf der Wiese runterkamen, aber von innen bei weitem nicht so schlimm.

Nach der Landung mit dem Mini-Träcker zurück zum Start
Nach der Landung mit dem Mini-Träcker zurück zum Start

Vielen Dank an dieser Stelle an Thomas und ich hoffe doch sehr, dass ich nicht allzu viel verdreht habe in meinem Bericht ;)

Ich muss sagen, die ungewollte Autofahrt hat sich doch sehr gelohnt und nass geschwitzt ging es dann am Nachmittag zurück nach Hause mit vielen Fotos und einem tollen neuen Erlebnis im Gepäck – und das nicht mal aus einem fernen Land irgendwo, sondern direkt vor der Haustür. Naja…vor der alten Haustür jedenfalls. In zehneinhalb Stunden ist man schließlich auch in Nigeria, in Grönland oder fast in Kuba. Aber Kuba muss wohl bis zum nächsten Sommer warten.

 

 

 


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