Zum Vergnügen mal nach Rügen

Anfang Juni wurden die Corona-Maßnahmen in Meck-Pom radikal gelockert, nachdem die Inzidenz hier wieder auf einem Rekordtief stand. Einheimische durften praktisch wieder alles, wenn es um Urlaub ging, und Auswärtige mussten noch eine Woche warten. Das ließen wir uns nicht zwei Mal sagen und so machten Freundin Anne und ich uns freitags nach Feierabend auf den Weg per Auto an die Küste und auf die kleine Autofähre, um in 15 Minuten auf die größte Insel Deutschlands überzusetzen.

Sellin-Seedorf
Sellin-Seedorf

Genau weil es die flächen- und einwohnermäßig größte Insel ist, kommt bei mir auf Rügen nicht wirklich das große Inselfeeling auf. Es ist schön, keine Frage, aber es gibt Bundes- und Landstraßen und echt ordentlich große Orte, wo es einfach nicht so wirkt, als ist man wirklich auf einer Insel. Ein Wochenende wegzufahren war aber definitiv mal wieder nötig und mit nur Einheimischen war es auch nicht so überlaufen, wie dann schon ein paar Wochen später. So kurzfristig zu buchen ersparte uns langes Hin-und-Herüberlegen, weil wir wohl nicht die einzigen mit der Idee waren. Eine kleine Ferienwohnung fanden wir aber in Seedorf, einem sehr passend benannten Dorf am See. Mit Blick aufs Wasser und ganz viel Ruhe und Natur außenrum war das ein hübscher Ort für zwei Nächte. Gleich am ersten Abend ging es eine große Runde am Ufer entlang, um uns warmzulaufen für Samstag.

Sellin
Sellin

Seedorf gehört zu Sellin, also „kann das ja nicht so weit sein“ – dachten wir. Am Abend hatten wir doch etwas mehr Strecke als gedacht in den Waden und wackelten auf blasigen Füßen und mit weichen Knien zurück zur Ferienwohnung. Aber wenn man halt mal anfängt zu wandern…
Dank außerhalb-der-Saison-Fahrplan der Öffis wurden aus den ursprünglich 16 geplanten etwa 23 reale Kilometer. Aber hey, über den ersten kleinen Urlaub im Jahr muss man ja auch was besonderes zu erzählen haben. Sellin ist wunderschön, so ein typischer Bäder-Ort, wie Rügen und die anderen Ostseeinseln einige von haben. Hochherrschaftliche Häuser säumen die Straßen und man kann sich so richtig vorstellen, wie hier vor 100 Jahren die Frauen in ihren extravaganten Hüten und ihre Männer mit Galoschen rumflaniert sind.

Seebrücke Sellin
Seebrücke Sellin

Seebrücken haben auch die meisten der schicken Küstenorte an Rügens Küste. Aber eine der wohl schönsten ist die von Sellin. Früher fuhren auf der Ostsee die großen Dampfschiffe, die aber natürlich an den kleinen Orten nicht anlegen konnten, die ja meist nur ihren Fischerhafen hatten. Die Gäste mussten mit kleinen Segelbooten von draußen abgeholt und an Land gebracht werden, ohne Anlegesteg aber auch nicht ohne. Nachdem so 1900 ein paar Menschen ums Leben kamen, wurde eine über 500 Meter lange Seebrücke an den Selliner Strand gebaut. Die heutige Seebrücke ist die vierte ihrer Art, weil die alten alle durch Stürme und Eis beschädigt oder ganz zerstört wurden. Heute ist die Seebrücke nur noch knapp 400 Meter lang.

Seebrücke Sellin
Seebrücke Sellin

Sellin liegt oben entlang einer Klippe. Die großen Hotels säumen die Klippe oben und der Strand liegt unterhalb. Um zur Seebrücke zu kommen, muss man also die Klippe überwinden. Von der schicken Einkaufsstraße oben auf der Klippe kommt man über die „Himmelsleiter“ runter zur Seebrücke. Das ist eine hölzerne Treppe mit 99 super-steilen Stufen, aber immerhin kleine Bänke gibt es zum Verschnaufen an jedem Absatz. Wer nicht laufen will, nimmt den Aufzug, der wie eine kleine Bergbahn schräg die Klippe überwindet und sogar kostenlost ist.

 

Entlang der Selliner Küste kann man schön spazieren bis in den kleinen Ort Baabe, die ganze Zeit entlang des Hochuferwegs bergauf und bergab (man mag es gar nicht glauben!) und mit ganz atemberaubenden Blicken über die Ostsee. Bei manchen Bildern würde man ein ganz anderes Meer erwarten, so türkis, wie es teilweise war. Unser Weg führte uns weiter entlang der Küste bis nach Göhren, wo unerwartet doch einiges an Zivilisation ist. Auch hier liegt der Ort richtig weit oberhalb vom Ufer und auch hier gibt es einen kleinen Aufzug, aber bis dahin schafften wir es gar nicht, denn kurz davor fiel unser Blick auf einen alten Bahnwagon, in dem heute allerlei Feines aus Sanddorn verkauft wird. Ich muss ehrlich sagen, dass ich an der Ostsee noch nie einen Sanddorn-Strauch gesehen habe, aber irgendwas „typisches“ braucht man ja wohl für die Touristen. Die Dame im Sanddornladen war extrem verkaufsbegabt und weil sie ihre Probiergläschen so schnell zur Hand hatte, mussten wir beide ein paar Flaschen Schnaps mitnehmen. Zufällig kam dann auch gleich der Rasende Roland angetuckert, die alte Dampfeisenbahn, die uns wenigstens ein Teil des Fußwegs zurück nach Seedorf ersparte.

Jagdschlösschen Granitz
Jagdschlösschen Granitz

Der Roland hält an einem kleinen Bahnhof im Nichts, aber mit dem vielversprechenden Namen „Jagdschloss Granitz“, also hüpften wir raus und schlappten nochmal eine kleine Runde auf den nächsten Hügel, wo mitten im lichten Buchenwald ein hübsches Schlösschen gebaut wurde, von dessen Turm man wohl einen ganz hervorragenden Ausblick haben muss. Wegen Corona war der Turm gesperrt, wegen schon-nach-16-Uhr war auch das kleine Museum schon zu, also ging es zurück bergab zur nächsten Bushaltestelle, denn so langsam wurden die Beine schwer. „Schon-nach-16-Uhr“ scheint kurz vor der Sommer-Touristensaison ein weitverbreiteter Grund zu sein, einfach Feierabend zu machen, sodass natürlich auch keine Busse mehr fuhren. Aber Mensch, was sind schon acht Kilometer zu Fuß, wenn man eh den ganzen Tag unterwegs ist?

Baumwipfelpfad Prora
Baumwipfelpfad Prora

Nach dem sehr ereignisreichen Samstag musste Sonntag also unbedingt ein bisschen gemütlicher sein und da wir mit dem Auto auf die Insel gekommen waren, waren wir recht flexibel. Uns interessierte sehr der Baumwipfelpfad in Prora, der ein nettes Abschlussziel darstellte. So hoch sieht der Turm gar nicht aus und der Weg bis nach oben auch nicht so lang. Aber es sind doch fast anderthalb Kilometer, die man unterwegs ist, bis man oben ankommt und dann ist man doch 40 Meter über dem Waldboden und hat bei schönem Wetter ganz weite Sicht in alle Richtungen. 

Selliner Hochuferweg
Selliner Hochuferweg

Wo wir schon mal da waren, machten wir uns auf die Suche nach dem Proraer Strand, der da doch irgendwo sein musste, aber selbst Google Maps zeigte nicht wirklich einen Zugang. Prora ist wirklich ein seltsamer Ort. Es war hellichter Tag, aber trotzdem war es irgendwie gruselig, wie es eben ist, wenn man eine Situation nicht einschätzen kann. Prora zieht sich längs entlang der Küste und mit dem Auto hat man praktisch keine Chance, in den Ort zu fahren. Jede Zufahrtsstraße ist mit Schildern oder Schranken gesperrt und nur für Anwohner befahrbar. Die Straßen haben komische Namen, zum Beispiel gibt es alle von der „Ersten Straße“ bis zur „Siebten“. Wenn man versucht, eine Zufahrt Richtung Strand zu finden, fühlt man sich wie zurück versetzt in die DDR. Und das ist auch kein Wunder, wenn man dann mal recherchiert. Das Projekt „Ostseebad Prora“ an einer der schönsten Buchten Rügens war ein Vorhaben der „Kraft durch Freude“-Organisation (KdF), die einen Ort schaffen wollte, wo mehrere tausend Gäste gleichzeitig Urlaub machen konnten.

Ostseebad Baabe
Ostseebad Baabe

Wikipedia hat einen sehr ausführlichen und höchst interessanten Artikel über Prora mit coolen Bildern von den alten Bauanlagen früher und heute. Da steht zum Beispiel der sogenannte „Koloss von Prora“, mehrere Baublöcke entlang von mehr als vier Kilometern, alle identisch und alle zum Meer ausgerichtet. Heute stehen davon noch zweieinhalb Kilometer. Wikipedia sagt das hier: „Die Planungen sahen vor, für die Unterbringung der Urlauber acht jeweils 550 Meter lange, sechsgeschossige, völlig gleichartige Häuserblocks mit insgesamt 10.000 Gästezimmern zu errichten. Durch diese langgestreckte, über etwa fünf Kilometer entlang der Küstenlinie reichende Bauweise sollte erreicht werden, dass alle Zimmer Meerblick hatten, während die Flure zur Landseite hin gelegen waren. Die geplante Ausstattung der nur 2,25 m × 4,75 m großen Zimmer, von denen jeweils zwei mittels einer Tür verbunden werden konnten, war an heutigen Maßstäben gemessen recht karg: zwei Betten, eine Sitzecke, ein Schrank und ein Handwaschbecken. Weitere sanitäre Einrichtungen fanden sich jeweils in den landwärts gerichteten Treppenhäusern der Blocks. Alle Gästezimmer sollten über Lautsprecher verfügen.“ Und „Das Leben in der Ferienanlage sollte, dem totalitären Anspruch des Systems folgend, in der Gemeinschaft stattfinden. Zu diesem Zweck waren Gemeinschaftshäuser mit Gastronomie- und Wirtschaftsräumen sowie Kegelbahnen und Leseräumen geplant, die in regelmäßigen Abständen „wellenbrecherartig“ küstenwärts aus der Häuserfront herausragen sollten. Offene, beheizbare Liegehallen innerhalb der Bettentrakte sollten den Urlaub vom Wetter unabhängiger machen.“ Damals mit Sicherheit revolutionär, mein perfekter Urlaub wäre es wohl eher nicht…

Naturstrand in Prora
Naturstrand in Prora

Als Seebad wurde Prora in der Nazizeit nie fertiggestellt, die fertigen Bauten wurden zur Kaserne umgebaut und der ganze Ort wurde später zum militärischen Sperrgebiet. Kein Wunder, dass man sich heute noch so fühlt, als wäre man nicht willkommen. Weil fast alles unter Denkmalschutz steht, sieht es eben auch noch aus wie damals. Da wird den ganzen Hintergrund aber nicht kannten, war die Fahrt vorbei der Proraer Allee schon eine seltsame Erfahrung. Irgendwo fanden wir dann aber doch noch einen kleinen Parkplatz und schlugen uns über einen kleinen Weg zum Strand durch. Der ist auch ganz hübsch, aber bis zum eigentlichen Ortszentrum hatten wir dann keine Lust mehr zu laufen. Also blieb es bei einer Stunde mit Buch am Strand, bei dem so doller Wind war, dass mein Flur abends gefühlt zentimeterdick im Rügensand versank.

 

 

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Melanie (Donnerstag, 23 September 2021 11:00)

    Den gleichen Eindruck hatte ich von Rügen auch! Es ist einfach zu groß, um ein Inselfeeling zu bekommen. Könnte auch einfach eine Halbinsel oder eine Verlängerung der Festlandküste sein.

  • #2

    Michael aus Fulda (Freitag, 24 September 2021 17:49)

    Freut Euch, dass Ihr an dem Wochenende im Juni so viel sehen und erleben konntet. Rita und ich haben zu der Zeit geduldig auf unsere Impfungen gewartet und hatten erst Mitte August den vollen Schutz.
    Der Sanddorn ist ein Strauch, der im Herbst wegen seiner orangefarbenen Beeren nicht zu übersehen ist. Deren Mus oder Marmelade schmecken lecker.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sanddorn
    Zum Thema „Sommer an der Küste“ erinnere ich mich an dieses schöne Gemälde. Es zeigt Menschen, die sich in eine natürliche, nicht von Menschen veränderte Landschaft einfügen. Hoffentlich gefällt es Dir.
    William Merritt Chase – Idle Hours
    https://en.wikipedia.org/wiki/Idle_Hours_(painting)