Quer durchs Hinterland

So sehr wir den Seetag nach dem anstrengenden Malediven-Anlauf auch genießen und auskosten wollten, Indien stand an. Und Indien bedeutet vor allem undurchsichtige Bürokratie und extremen Vorbereitungsaufwand vor dem ersten Anlegen. Drei Häfen haben wir vor uns und bei der ersten Einreise müssen allerhand Sachverhalte geprüft werden, damit man auch ja nicht illegal ins Land kommt.

Fischer in den Backwaters während die Dorffrauen von den Reisfeldern heimkommen
Fischer in den Backwaters während die Dorffrauen von den Reisfeldern heimkommen

Der Heckmeck beim Beantragen eines Arbeitsvisums lässt sich wohl kaum übertreffen, aber auch die Gäste hatten es teilweise nicht einfach mit ihren Touristenvisa. Indien verbietet es, sich in indischen Hoheitsgewässern aufzuhalten ohne Aufenthaltsgenehmigung, also braucht man auch ein Visum, wenn man das Schiff gar nicht verlassen will. Um sicher zu stellen, dass das auch durchgezogen wird, ist jeder Gast an Bord gezwungen, tatsächlich im ersten Hafen das Schiff zu verlassen, um sich seinen Pass draußen stempeln zu lassen. Üblicherweise geben Gäste wie Crew ihren Pass beim Checkin an Bord ab, also folgte eine zweieinhalb Stunden dauernde Pass-Schlacht bei der Ausgabe am Vorabend im Theatrium. Die Gäste hatten also alle ihre Pässe wieder, im Büro lagen dann auch unsere Pässe bereit für den ersten Landgang. Am Morgen nach Festmachen in Cochin wurschtelten wir uns also im Pulk durch die wartenden Gäste und brauchten tatsächlich nur sagenhafte zehn Minuten durch den Zoll. Alle Rucksäcke und Menschen wurden durchleuchtet, der Pass ganz genau unter die Lupe genommen und gegen das eingedruckte Visum gecheckt, die Landgangskarte ausgedruckt, gegen Pass und Visum gecheckt und gestempelt, dann wurde der Pass einbehalten und dem Schiff zurückgegeben. Auf dem Weg aus dem Terminal wollten noch mal drei Zollbeamten und Armeeleute unsere Landgangskarte sehen, die sehr genau auf das richtige Einreise-Datum und die späteste Ausreise geprüft wurde. Ein letzter Check des Stempels auf der Landgangskarte und wir durften endlich den ersten Schritt auf indische Erde.

Kerala Backwaters
Kerala Backwaters

Kaum aus dem Terminal packten alle ihre Landgangskarten in die unzugänglichsten Taschen ihrer Rucksäcke, denn wer die verliert, hat richtige Schwierigkeiten, das Land am Abend wieder zu verlassen. Dann fuhr mein Ausflugsbus los und am Hafentor angekommen steigt ein Armeetyp ein und möchte alle unsere Landgangskarten sehen. Die schnellsten Raus-Kramer halten ihre Karten hoch, der Armeetyp geht. Genug der Sicherheitskontrolle. Asien ist schon komisch manchmal. Aber Indien gab uns allen doch einen irgendwie netteren ersten Eindruck als die Malediven und wir machten uns auf in die verschiedenen Ecken Keralas. Während einer meiner Kollegen mit einer Gruppe von 24 Mann direkt zum Flughafen fuhr, um die nächsten drei Tage in Flugzeugen, Zügen, Bussen und Tuktuks zu verbringen, um sich für zwei Stunden am Taj Mahal umschauen zu dürfen, ging es für mich in die schönste Ecke Keralas – jedenfalls sagen das die Einheimischen.

Werftarbeiter in typischer Werftarbeiter-Kluft
Werftarbeiter in typischer Werftarbeiter-Kluft

Das Hinterland wird durchzogen von den sogenannten Backwaters, verzweigten Flüssen und Kanälen, die alle vom Meer gespeist werden und somit Salz- oder Brackwasser führen. Hier leben die Einheimischen noch ganz ungestört vom Tourismus, auch wenn öfters mal die Touristenboote vorbeischippern. Vor den Häusern verlaufen die Backwaters, hinter den Häusern liegen die Reisfelder, von denen die meisten hier leben; es gibt keine Straßen, sondern Wasserstraßen und den ein oder anderen Trampelpfad, der mit etwas Glück breit und eben genug ist für einen Motorroller. Kerala geht es sehr gut, jedenfalls verglichen mit dem Rest von Indien. Die Bildung und Alphabetisierung sind hoch, Arbeitslosigkeit und Kriminalität gering, die Straßen waren so unglaublich viel sauberer als was ich mir unter Indien vorgestellt hatte. Und dann mit dem Boot ganz gemütlich auf diesen Kanälen entlang, vorbei an den „Bushaltestellen-Häuschen“, an denen die Berufsverkehr-Fähren anlegen, vorbei an den Frauen, die von den Reisfeldern kommen und den Männern, die auf winzigen Fischerbötchen ihrer Arbeit nachgehen, vorbei an Schulen und Tempeln und Schiffsreparaturen, wo die Männer barfuß in Röcken ohne Helme auf Bambusgerüsten an rostigen Rümpfen schweißen. Entlang der Wege sind kleine Mädchen in bunten Kleidern uns gefolgt, bis wir ihnen Kugelschreiber zugeworfen hatten, dann haben sie ganz große Augen bekommen und gewinkt, bis wir um die nächste Ecke waren. Armut gibt es hier trotzdem natürlich, aber Armut hier heißt, die Hausaufgaben mit einem letzten Stummel Bleistift machen zu müssen wenn das Geld nicht für einen Kuli reicht, und nicht, auf den Reisfeldern zu arbeiten, weil die Schule zu teuer ist. Hier geht jeder zur Schule und die Einheimischen in Kerala sind traurig, dass sie immer noch 6% Analphabeten haben – im Vergleich dazu sind es in ganz Indien 26%.

 

 

Ich glaube, würde ich zum Urlaubmachen herkommen, würde ich meine Reise in Kerala beginnen. Alles ist wie ich es mir gedacht habe, nur schöner und sauberer: es ist grün und warm und bunt und freundlich. Und die Menschen wackeln noch viel niedlicher mit dem Kopf wenn sie mit dir reden, als in jedem überspitzt stereotypischen Film.

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0