Sportlerwoche

Da stand auf meiner Wunschliste für meine Wunschwoche (meine letzte Woche an Bord), dass ich gerne biken gehen würde. Hab mich ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt und angegeben, dass ich am liebsten in England mit den Bikern rauswürde; dabei wusste ich doch eigentlich, dass das so gut wie unmöglich ist, weil ich doch zum Übersetzen gebraucht werde. Aber jetzt sind wir plötzlich 9 Scouties und die Neulinge müssen ja auch übersetzen lernen, und bäm – durfte ich tatsächlich am Montag in Southampton radeln!

Southampton Pier
Southampton Pier

Einer der Leos (ja wir haben zwei) hat mich mitgenommen auf Radtour in den New Forest Nationalpark umme Ecke von Southampton. Der Leo ist einer der Biker, nicht zu verwechseln mit der Leo, die unser neuer Shore Operations Manager (SOM) ist. Bikerin Anja fehlt der erste Buchstabe, und so werden wir wenigstens nicht verwechselt. Schlimm genug, dass die neuen Scouties alle gleich heißen. Alicia, Lisa, Lisa-Maria und Marie-Luise auseinander zu halten fehlt mir schon ein bisschen schwer. Dann sind auch noch alle blond und langhaarig, das ist zum Verzweifeln! Viktor und Victoria kann man wenigstens gut auseinander halten. Hilfe…

 

Fahrrad-Einweisung im Terminal
Fahrrad-Einweisung im Terminal

Montag ging es dann also raus ins Southamptoner Terminal, dick eingepackt, denn der Herbst ist hier tatsächlich jetzt auch so langsam angekommen (wobei ich irgendwie das Gefühl habe, er ist einfach seit letztem Jahr hiergeblieben). Der Sommer war nicht wirklich nennenswert und ich bin ganz froh, dass ich den Winter auf dieser Route nicht mehr erleben muss, denn Anfang November geht es ja endlich heim. Ich hatte immerhin an vier Ausflugstagen meine Ausflugs-Shorts an. An vier! In fünfeinhalb Monaten!
Handschuhe durfte ich mir gottseidank von Martina ausleihen und einen Schal hatte mein Schrank wenigstens noch zu bieten. Dicke Thermostrumpfhose drüber und alle Pullis, die ich mithabe – und ab gings zur Einweisung durch Biker Leo, Anja, Darijo, Marius und ihren Chef Ole. Dann stehen da also dutzende Gäste im weißen AIDA-Helm und Fahrrad-Dress und lassen sich gebannt erklären, wie man korrekt über Gleise fährt und dass man immer mit beiden Händen gleichzeitig bremsen muss.

 

Ingenieurs-Denkmal
Ingenieurs-Denkmal

Und dann ging es auch schon los! Raus durchs Terminal, vorbei an den Ausflugsbussen (wie öde die aussehen, wenn einem die Luft endlich mal um die Nase weht) und raus zu meinem zweiten geführten Ausflug ohne Bus. Leo machte eine kleine Tour durch Southampton und wer hätte das gedacht – da gibt es sogar eine kleine Altstadt und tolle Parks, die wir natürlich nie sehen wenn wir die Busscheiben dazwischen haben. Vorbei ging’s an diversen Titanic-Überbleibseln, z.B. an der Gedenkstätte für die Ingenieure, die ihre Leben dafür geopfert haben, die Maschinen so lange wie möglich am Laufen zu halten und möglichst noch ein paar Leben zu retten. Drauf steht ein Engel und wie er steht hat die Filmemacher von „Titanic“ zur Pose von Kate Winslet am Bug inspiriert. Ein weiteres Denkmal gibt es für die Musiker – auch die haben die Katastrophe nicht überlebt, weil sie bis zum Untergang gespielt haben, um die Panik der Gäste zu mindern. Der, der die Anweisung gab, dass die Band nicht aufhört zu spielen, wurde später gefunden – die Geige noch um den Hals gehängt.

 

Hythe Pier mit der eigenen Eisenbahn
Hythe Pier mit der eigenen Eisenbahn

Weiter durch Southampton bis zur Pier der Hythe Ferry. Ein winziger Katamaran brachte uns dann in 10 Minuten vorbei an unserem gigantischen Kussmund (extra für uns sogar nah genug für ein Knutschfoto) bis nach Hythe, das Tor zum New Forest Nationalpark, denn über Land ist eine Radtour dann doch etwas zu lang.
Drüben angekommen, legt die Fähre an einem uralten Steg an, der so rostig ist, dass er aussieht, als würde er bei der kleinsten Welle auseinander brechen. Der ist über 600m lang und eine kleine Eisenbahn fährt alle halbe Stunde hin und her, um die Pendler und Besucher zur Fähre zu bringen. Berühmt ist das ganze auch noch: gebaut in 1879 und mit Schienen ausgestattet seit 1909 ist das der „oldest continuously operating public pier train“ der Welt. Den mussten wir aber nicht nehmen, denn wir hatten ja unsere Bikes. Und weil die Fährbetreiber den Leo schon kennen und er ja offizieller Biking Guide ist, durften wir sogar auf dem Steg langradeln, obwohl überall die „No Cycling“-Schilder hängen.

 

so viele Verkehrsteilnehmer
so viele Verkehrsteilnehmer

Nur ein paar Kilometer weiter ruckelt man über die „Cattle Grids“, diese Gitter in der Straße, wo Tiere sich nicht drüber trauen, und schon ist man im New Forest. Sehr waldig ist es nicht, hauptsächlich besteht der Nationalpark aus Heidelandschaft, die zu dieser Jahreszeit in ganz tollen Farben leuchtet. Und ganz besonders ist im New Forest, dass hier mehrere Tausend Ponys wild leben, die aber alle jemandem gehören. Die haben immer Vorfahrt auf den Straßen und sind höchst freundliche Gesellen. Auf sie zugehen soll man nicht, aber wenn sie kommen, darf man sie auch streicheln.
Die ersten Ponies und Kühe hatten wir schon in Sicht, als plötzlich eine Esel-Mama und ihr Kleines mit uns auf der Straße unterwegs waren. Haben sich auch gar nicht stören lassen von uns oder unseren Rädern oder den Autos, die sich hinter ihnen gestaut haben.

 

neue Freundschaften
neue Freundschaften

Kurz drauf kam uns dann ein graues Pony auf unserer Straßenseite entgegen, alle fuhren sehr langsam und genau vor mir (als Schlusslicht) beschließt es, die Straße zu kreuzen. Und dann war ich plötzlich doch ganz interessant und musste erst mal von oben bis unten abgeschnuppert und mein Lenker abgeschlabbert werden. Na, wenn das keine nette Begrüßung im New Forest war. Gut, dass Leo vorher gesagt hatte, dass es nur einen Weg nach Beaulieu gibt, nämlich immer gradeaus. Sonst hätte ich höchst wahrscheinlich die Gruppe komplett verloren.
Cream-Tea-Stopp in Beaulieu auch eine feine Sache. Aber so richtig ist da eigentlich nix. Es gibt einen Tearoom und wenn man Glück hat, kommen Nachbars Esel vorbei und wollen vom Scone oder von der Clotted Cream probieren.

 

die normannische Küste kann schon auch was
die normannische Küste kann schon auch was

Zurück wurde die Tour dann doch ein bisschen anstrengend – so gegen den Wind und leicht bergauf und vor allem nach 5 Monaten ohne Fahrrad. Zurück bis zur Fähre und wieder zurück. Was für ein gelungener Ausflugstag! Und das Wetter blieb bis nachmittags so schön, dass ich meinen dritten Pulli gar nicht brauchte.
Aus Spaß sagte ich noch zu Leo „Wenn die Chefs mich ärgern wollen, erfüllen sie mir morgen auch einen Wunsch und schicken mich zur Wanderung auf die normannischen Kreidefelsen“. Da komm ich zurück an Bord und sehe den Dienstplan….oh mann! Aber da Dienstag wohl so ziemlich der letzte schöne warme Herbsttag war, war ich dann doch ganz glücklich, die Wanderung nicht erst Anfang November zu machen. TV-Marc war auch mit und so gab es sogar jemanden zum Quatschen für unterwegs. Und wenn die Gäste sich sportlich betätigen, werden sie plötzlich auch viel gesprächiger und so ein Ausflug geht super schnell rum.

 

wie schön doch ein kleines bisschen Ruhe sein kann
wie schön doch ein kleines bisschen Ruhe sein kann

Also noch einmal ein paar tolle Fotos gesammelt, bevor es dann doch so langsam alles grau bleibt von morgens bis abends und wir alle ein bisschen deprimiert werden. Tina trägt inzwischen Unterhemd, Polo, Fleecejacke, Sweatjacke, Softshelljacke und Winterjacke drüber. Ganz so weit ist es bei mir noch nicht, aber so langsam reicht mir das heiße Wasserhahn-Wasser nicht mehr ganz für meine Wärmflasche aus und ich muss mir wohl angewöhnen, im Schlafanzug noch mal fix in die Messe zu rennen, um kochendes zu holen.

 

Team-Klettern
Team-Klettern

Wir wollen alle gar nicht mehr wirklich raus. Besonders in Le Havre gehen unsere Ausflüge so superfrüh los, dass wir jetzt teilweise im Dunkeln unsere Ausflugsgruppen zu den Bussen bringen. Aber auch dafür gab es ein bisschen Entschädigung. Das gesamte Shore Ops-Team wurde eingeladen in den Klettergarten. Der ist oben auf Deck 14 und da ist es immer warm. Also haben wir uns alle Freitags in unsere Sportklamotten geschmissen und auf ging’s in teilweise doch fast schwindelerregende Höhen während das Schiff ja auch noch wackelt.
Ausnahmsweise mal nicht nur unter Scouts zu sein, sondern auch die Biker mit dabei zu haben, war eine tolle Sache und jetzt sind wir doch alle wieder ein bisschen ein engeres Team.

 

Isabel und TM Martina sind letzte Woche abgestiegen und jetzt bin ich ein bisschen einsam unter den ganzen neuen. Tina und Victoria bereite ich jetzt auf ihre Aufgabe als Team-Älteste vor und dann bin ich in 3 Wochen auch endlich so richtig reif für Urlaub.

 

 

 

 


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