Das coole an meinem Job ist ja eigentlich nicht die Zeit an Bord, sondern die paar Stunden auf festem Boden, die ich ab und an mal habe. Als Scout versuchen wir natürlich auf so viele Ausflüge wie möglich mitzugehen, damit wir sie auch gut den Passagieren verkaufen können. TM Linda versucht da immer, für jeden was passendes zu finden und keine Woche wie die andere aussehen zu lassen.
In meiner ersten Woche an Bord wurde ich ja doch sehr krass ins kalte Wasser geworfen. Meine erste alleinige Schalter-Session hatte ich an meinem zweiten Tag, da war aber wenigstens noch Scout-Kollege Kevin nebenan und konnte einspringen bei Fragen. Am Tag drauf war es genauso und so viele Passagiere standen an, dass irgendwann Linda hochkam und mir den dritten Schalter aufschloss und sagte „Ja, du hast doch jetzt schon drei Mal beim Buchen zugeschaut, du schaffst das schon“. Diese Woche war ich dann auch zum ersten Mal offiziell ganz allein am Schalter eingeteilt und kein anderer Scout in der Nähe zum Fragen. Aber Linda kam vorbei und sagte „Ich traue dir das durchaus zu, du hast das bisher laut den anderen ganz gut gemacht alles“ – mann, über so was freut man sich aber dann auch gewaltig. Am Anfang wirkt alles noch irgendwie neu und komisch, aber eigentlich bekommt man doch sehr viel mit und kann dann auch selbst mal ran.
Ich war davon ausgegangen, dass ich meine erste Woche für die Ausflüge nur als Hilfsscout mitgehe, also begleite und beobachte, wie das abzulaufen hat. Aber nein, am Ende meines ersten Seetags bekam ich meinen Zeitplan für Montag und siehe da: ich war ganz alleine für einen Ausflug in England eingeteilt. Ganz allein war ich dann zwar nicht, denn ich hatte den lokalen Reiseleiter Marc dabei, musste dann aber für ihn von Englisch übersetzen mit Mikrofon im Bus und so und gleich schon eine Ansprache machen damit alle wissen, wer ich bin und wie der Tag abläuft. Richtig krass, welche Verantwortung man da gleich zu Beginn bekommt – liegt allerdings wohl auch dran, dass wir für dieses gigantische Schiff viel zu wenige Scouts sind.
Der England-Ausflug ging nach Beaulieu (sprich: Bjuulii), das ist nicht allzu weit weg von Southampton und ist ein grandioses altes Anwesen mit tollen englischen Gärten und einem alten Herrenhaus, wo noch heute die Familie des aktuellen Lords von Montagu wohnt, deren Vorfahr eine riesige Sammlung an Oldtimer-Autos hat, die da heute ausgestellt sind. Die Fahrt dorthin geht durch den New Forest Nationalpark, wo es ganz viele wilde Ponys gibt, die dann einfach so an der Straße rumstehen wie hingestellt und nicht abgeholt. Mit Marc lief das wunderbar, er hat auf Englisch geredet und mir nach allen paar Sätzen das Mikro gegeben, sodass ich nochmal auf Deutsch konnte. Auf AIDA sind die meisten Gäste wirklich richtig deutsch, also können viele auch wirklich kein einziges Wort Englisch und sind unglaublich dankbar, wenn man für sie übersetzt. Vorher sage ich dann immer dazu, dass ich kein ausgebildeter Dolmetscher bin und deswegen vielleicht auch mal einen Fehler mache oder nicht alles haargenau übersetze, aber bisher hat das eher geholfen, weil danach viele Gäste kamen und sich nochmal explizit bedankt haben.
Am nächsten Tag wars nix mehr mit Übersetzen: angelegt in Le Havre und für den Ausflug nach Paris eingeteilt. Uff, 3 Stunden im Bus um dann 2 Stunden Stadtrundfahrt im Bus zu machen und 2 Stunden Freizeit in Paris zu haben und dann wieder 3 Stunden zurück zum Schiff…ich weiß echt nicht, wieso Leute diese Tour buchen, wenn sie z.B. aus der Schweiz kommen. In 3 Stunden wärst du auch mit dem Zug in Paris und hast nicht so einen Stress wieder pünktlich zum Ablegen im Hafen zu sein. Aber was solls. Ich komme so auch mal raus an die frische Luft (absolute Mangelware übrigens an Bord im Crew-Bereich) und kann mir die Busfahrt mit Blog-Schreiben und die Freizeit vor Ort mit Blog-Hochladen im McDoof verkürzen, also habe ich nichts zu beschweren. In Frankreich haben wir üblicherweise einen deutschsprachigen Reiseleiter dabei. Wenn ein Scout mitkommt, ist das wirklich hauptsächlich zur Beruhigung der Gäste, dass jemand von AIDA weiß, dass sie noch nicht wieder an Bord sind und niemand ohne sie ablegen wird. Haupt-Aufgabe ist da eigentlich, sich die Treffpunkt-Zeiten nach der Freizeit zu merken. Denn 90% der Passagiere scheinen aus Prinzip nicht zuzuhören beim ersten (bis fünften) Mal, wenn etwas gesagt wird.
2 Stunden Freizeit in Paris kann man sich eigentlich in die Haare schmieren, vor allem Dienstags, wenn der Louvre nicht offen hat. Richtig cool war dann aber der übernächste Tag in Holland, wo ich zur Tour „Gouda für Genießer“ durfte. In Gouda war ich schonmal, aber nur privat. Jetzt also eine halbe Stunde vom Hafen in Rotterdam zur Stadt des Käses, dort die alte Käsewaage angeschaut und Gouda-Probe gemacht. Ganz entspannt, nette Gäste-Truppe und netten Reiseleiter (wobei ich glaube ich auch den unverschämtesten Holländer als nett bezeichnen würde – die reden einfach sooo süß Deutsch!).
Den Tag zwischen Frankreich und Holland legen wir in Belgien an. Der Hafen in Zeebrügge bietet eigentlich vor allem eins: das große Nichts. Und Container bis zum Umfallen. Ein paar Stunden Freizeit lohnen sich also eigentlich nicht um an Land zu gehen. Für einen Ausflug war ich nicht eingeteilt, und so ein Tag an Bord ohne Gäste war eigentlich auch ganz gemütlich. Wir sitzen dann eben wieder an unseren Schaltern und verquatschen uns mit den wenigen Gästen, die vorbei kommen und einfach mal ein bisschen plauschen wollen. Oder unter Deck im Crew-Bereich zum Briefe-Drucken.
Seltsam war es dann, eine Woche später schon wieder in England zu sein. So wirklich fühlt es sich nicht wie Arbeit an, aber auch nicht wie Urlaub. Man kommt halt jede Woche und macht sein Ding
und freut sich, die Reiseleiter der letzten Woche wiederzusehen. Ich glaube nicht, dass es ein wirklich anderes Gefühl ist, wenn man in Deutschland wohnt und zwei Tage die Woche in der Schweiz
arbeitet.
Aber cool sind die Ausflüge natürlich schon. Wir sind wohl die Abteilung, die am meisten von Bord kommt und was anderes sieht als den ewig hellgelben Crew-Bereich. Die Housekeeper und Kollegen in
der Galley (Küche) haben z.B. die unmöglichsten Arbeitszeiten und kommen teils erst um Mitternacht rum zum Abendessen, und meist geht ihr Arbeitstag dann erst so richtig los.
Zweite Woche an Bord und ich war schon wieder überall von Bord wo es möglich war. Ausnahmsweise waren wir Montag in Frankreich und ich durfte zum Ausflug „on your own fist“, also auf eigene Faust (aber intern ist ja alles immer Englisch). Da stellt AIDA nur den Transfer in die eine oder andere Stadt, es gibt einen festen Zeitpunkt für die Rückfahrt und dazwischen haben die Gäste Zeit zur freien Verfügung. Kein Reiseleiter dabei, niemand zum Übersetzen gebraucht, also alles super gechillt. Ich durfte nach Honfleur, ein kleines Fischerdörfchen mit uralten schiefen Häusern und einem tollen Seefahrer-Flair. Zufällig ist am Pfingstmontag dort Fête des Marins, eine große Parade zu Ehren derjenigen, die zur See fahren (also irgendwie auch zu meinen Ehren), und die ganze Stadt ist blau-weiß geschmückt und Marsch-Bands durchstreifen die Straßen und Leute tragen große Modell-Schiffe auf Schultern durch den Ort.
In London war ich noch nicht, aber muss auch nicht sein. Meine wenigen Stunden mit festem Boden unter den Füßen muss ich nicht zwingend im Bus verbringen. In England ging es stattdessen mit Reiseleiter Steve nach Winchester mit der großen Kathedrale und der großen Tischplatte, die der Tafelrunde nachempfunden ist. Ein bisschen Freizeit gibt es fast immer, und zufällig war Scout-Kollegin Christiana auch dort und zwar mit meinem alten Bekannten Marc von Beaulieu, und so konnten wir dann ganz gemütlich Kaffee trinken gehen. Ich merke, dass ich nicht so sehr das Bedürfnis habe, selbst erkunden zu gehen, wie ich das sonst im Urlaub allein immer habe. Wenn man weiß, dass man noch 6 Monate wiederkommt und die Wahrscheinlichkeit, jeden Ausflug mindestens ein zweites Mal mitzumachen, sehr hoch ist, vergeht einem das ein bisschen ;)
Nächster Tag: Belgien. Busfahrt nach Brügge und dort einen superlangen interessanten Stadt-Spaziergang, dann im strömenden Regen eine Bötchenfahrt durch die Kanäle und pitschnass noch eine schnelle „Wafel“ geschlemmt und wieder ab zum Schiff. So mag ich das. Halber Tag mit den Gästen unterwegs und viele neue Eindrücke, und den Rest des Tages an Bord mit Briefen und gemütlich im Office. Diese Woche also nur sehr empfehlenswerte Orte besucht und abends bin ich immer so platt, dass ich so tief und fest und schnell schlafe wie kaum jemals zuvor.
Donnerstags freut sich die gesamte Crew: wir liegen über Nacht in Rotterdam. Über Nacht bedeutet, das „Alle Mann an Bord“ gilt erst ab 4 Uhr morgens, also kann man endlich mal seine Freizeit abends mit den Lieblings-Kollegen außerhalb vom Schiff verbringen und hat keinen Stress pünktlich zurückzukommen. Da wir sonst im Stadthafen von Rotterdam liegen, ist das richtig toll, denn dann kann man in 20 Minuten in die Bar-Straße schlendern. Diese Woche aber war Schiffs-Taufe dort und wir wurden ausgelagert in den Container-Hafen. Für mich gabs dann ganz praktisch einen Ausflug in Rotterdam, der erst um 19 Uhr losgeht und dann bis Mitternacht eine nächtliche Busrundfahrt und den Besuch zweier typischer Kneipen beinhaltet. Trinken darf ich natürlich nichts wenn ich im Dienst bin, aber das brauch ich auch gar nicht, wenn die Gäste alle trinken und immer gesprächiger werden. Besonders schön ist es dann, wenn dich Gäste wiedererkennen von den früheren Ausflügen wo du schon ihr Scout warst. Dann lösen sich die Grenzen zwischen Crew und Passagier ein bisschen auf und man schließt schon fast kleine Freundschaften.
Insgesamt geht’s mir also gut, ich genieße die Seetage fast genauso wie die Tage im Hafen, und wenn die Übermüdung kleiner wird, lässt auch das Seekranksein nach.
Kommentar schreiben
Chrissy (Sonntag, 29 Mai 2016 17:27)
Toller Bericht und Fotos, der alte Erinnerungen erweckt. :-)