Keiner Schuld bewusst

Soviel zu „Das kann ja nur entspannter werden“. Wenn die erste Woche an Bord stressig war, war der Beginn meiner zweiten der blanke Wahnsinn. Streik in Frankreich, Taufe in Holland, Konkurrenz in England – es kam alles zusammen und weil wir am nächsten am Kunden sind, sind wir natürlich auch an allem Schuld.

Die offizielle Route der Prima startet samstags in Hamburg. Nach einem Seetag sind wir Montag in Southampton (England), Dienstag in Le Havre (Frankreich), Mittwoch in Zeebrügge (Belgien) und Donnerstag in Rotterdam (Holland), dann noch ein Seetag und samstags wieder in Hamburg. Samstags ist also Wechseltag, d.h. die alten Passagiere gehen von Bord und die neuen steigen auf. Ein typischer Wechseltag bedeutet für uns viel unvorhersehbare Arbeit. Der Tag ist zerstückelt, denn es gibt keine langen Schichten auf Ausflügen oder am Schalter – denn wem wollen wir was verkaufen oder zeigen, wenn alle heimfahren? Stattdessen werden wir eingeteilt anderen Abteilungen zu helfen. Theresa war letzten Samstag Assistenz bei der Security für den Check-In und ich hatte Koffer-Duty. Die Gäste können bis Freitagnacht um 2 Uhr ihre Koffer vor die Kabinentür stellen, dann werden die abgeholt und sind am nächsten Morgen abholbereit im Terminal.

 

Es gibt Crewmitglieder, die sind praktisch nur für die Versorgung des Gepäcks zuständig und es gibt Crew-Aufzüge, die für alle anderen gesperrt sind, wenn grade die Koffer-Crew unterwegs ist. Beim Kofferschleppen muss ich natürlich nicht helfen, aber beim Bewachen. Denn egal wie oft man den Passagieren auch mitteilt, dass die Koffer im Terminal erst vom Zoll freigegeben werden müssen, es gibt halt doch immer Leute, die kommen mit „Aber ich sehe ihn doch schon, wieso kann ich ihn nicht mitnehmen?“ Und für die Beruhigung aller sind diejenigen da, die Koffer-Duty haben. Ich stand also an der Ecke, habe allen Gästen, die vorbeikamen, eine gute Heimreise gewünscht und wurde von zwei Dutzend Absteigern belästigt, hatte aber immer die Securitys und unseren Bike Guide Thommy, die so böse dreinschauen können, dass alle Volltrottel dann plötzlich doch noch die 3 Minuten bis zur Koffer-Freigabe warten können.

 

Sobald die Gäste von Bord sind, geht die richtige Arbeit eigentlich vor allem beim Housekeeping los. So viele hundert Kabinen in so kurzer Zeit zu putzen, kann nicht einfach sein. Die gesamten Passagier-Kabinen sind in Sektionen aufgeteilt und jeder Mitarbeiter des Housekeepings hat eine Sektion, für die er verantwortlich ist.
Abends treffe ich die öfters, denn wir müssen nach Ende unserer offiziellen Duty am Tag abends noch die Kabinenbriefe verteilen. Wenn also jemand online noch kurzfristig Tickets gebucht hat, müssen die ihm abends an die Tür gehängt werden. Oder wenn jemand sich beschwert hat, bekommt er manchmal einen Cocktail-Gutschein von TM Linda an die Tür. Wir teilen uns dann die Briefe nach Deck auf und schwärmen aus zum Verteilen. Die Housekeeper freuen sich dann immer über ein bisschen Gesellschaft und plauschen gern mal ein Minütchen oder geben an mit den neuen Wörtern, die sie im Deutschkurs gelernt haben.

 


Abends treffe ich die öfters, denn wir müssen nach Ende unserer offiziellen Duty am Tag abends noch die Kabinenbriefe verteilen. Wenn also jemand online noch kurzfristig Tickets gebucht hat, müssen die ihm abends an die Tür gehängt werden. Oder wenn jemand sich beschwert hat, bekommt er manchmal einen Cocktail-Gutschein von TM Linda an die Tür. Wir teilen uns dann die Briefe nach Deck auf und schwärmen aus zum Verteilen. Die Housekeeper freuen sich dann immer über ein bisschen Gesellschaft und plauschen gern mal ein Minütchen oder geben an mit den neuen Wörtern, die sie im Deutschkurs gelernt haben.

 

Für uns Scouts ist der Wechseltag in Hamburg also nicht der Riesenstress wie für Housekeeping und Security, wir kommen erst zu unseren Arbeitsstunden wenn die neuen Gäste an Bord gekommen sind. Dann werden wir eingesetzt fürs Stairway Guiding, jeder von uns bekommt also ein Treppenhaus oder einen Gang zugeteilt und dort stehen wir dann rum und warten auf die nächsten Passagiere und die nächsten Fragen (übrigens die mit am häufigsten gestellte Frage der Neuankömmlinge, wenn sie auf dieses grandios große geile bunte Schiff kommen: „Wie komme ich denn hier ins Internet?“) Für mich ist das eine ganz gute Übung, ich kenne mich ja selbst noch nicht soo gut auf dem Schiff aus, aber Deck 7 und seine Restaurants kenne ich jetzt, weil ich am letzten Wechseltag dort Stairway Guide war und dauernd mit den Gästen gemeinsam auf die große Wegweiser-Tafel schauen konnte.

 

Dann wollen die Neuankömmlinge am Nachmittag natürlich auch gleich Ausflüge für ihre Woche auf See buchen, also besetzen wir wieder unsere Ausflugsschalter. Die haben wir auf drei verschiedenen Decks. In Deck 4 ist unser Office, dort sitzen TM Linda und SOM Jutta die meiste Zeit, wenn sie nicht auf der Pier die Busse organisieren. Platz ist aber am Schalter nur für einen Scout, außer es ist super voll, dann quetschen wir uns auch mal zu zweit nebeneinander.
Auf Deck 7 und 8 haben wir 3 bzw. 2 Schalter, die einzeln stehen, da ist das immer ein bisschen gemütlicher. Allerdings sind wir da direkt am Theatrium platziert, also direkt oberhalb der Bühne, also ist es oftmals dunkel während der Shows und unglaublich laut. Auf Deck 7 werden wir immer eingerannt, weil vielen auf dem Weg zur Show oder zu den Restaurants noch einfällt, dass sie ja noch kurzfristig einen Ausflug mitmachen wollen.

 

Kreuzfahrtpassagiere sind schon eine Spezies für sich. Ich kenne viele, die auf Kreuzfahrt gehen, und die ich sehr gern habe, aber was man hier manchmal erlebt ist schon teilweise ziemlich krass. Weil wir am nächsten an den Gästen sind, bekommen wir alles mit. Wenn ein Bus vom London-Ausflug eine Panne hat, sind die Scouts Schuld. Wenn dadurch das Schiff in Southampton zweieinhalb Stunden zu spät ablegt, ist das nicht etwa die Entscheidung des Kapitäns, auf den Rest aus London zu warten, nein, es ist die Schuld der Scouts. Wenn wir am nächsten Tag eine Stunde zu spät in Le Havre anlegen und dadurch einige Ausflüge verspätet starten, sind natürlich die Scouts Schuld. Wenn das Internet nicht funktioniert, die Balkontür der Kabine undicht ist, der Housekeeper die Wasserflaschen nicht aufgefüllt hat, die Softeis-Maschine außer Betrieb ist – der nächstbeste Scout ist Schuld.

 

Aber diese Woche kann ich die Verärgerung der Passagiere sehr gut verstehen. Am Samstag haben wir erfahren, dass am Dienstag in Frankreich Generalstreik ist. Wir hätten also nicht in Le Havre anlegen können, weil keine Hafenarbeiter da gewesen wären. Also hat der Käptn entschieden, Le Havre mit Southampton zu tauschen, damit wir Frankreich nicht komplett abblasen müssen. Also Montag Frankreich und Dienstag England. Durch die super-kurzfristige Organisation mussten einige Ausflüge ausfallen, denn wir können eben auch nicht zaubern und mit zwei Tagen Vorlauf 700 Tickets für Madame Tussauds oder den Tower of London organisieren. Dann lag zeitgleich mit uns noch ein TUI MeinSchiff in Frankreich, die natürlich auch schon Jahre vorher ihre Kontingente gebucht und uns somit alle verfügbaren Busse weggeschnappt haben.

 

Am Seetag am Sonntag haben uns die Gäste also die Schalter eingerannt, weil alle noch die letzten Plätze für die Ausflüge abgreifen wollten, die noch stattfinden konnten. Stimmung an Bord also sehr angespannt und Scouts wie immer die Hauptschuldigen. TM Linda war super stolz auf uns alle, als wir Dienstagabend endlich in Southampton abgelegt hatten, wir können halt doch alles irgendwie wuppen.
Dann die nächste Schreckensnachricht: im Stadthafen von Rotterdam, von dem aus man in 20 Minuten in die Innenstadt laufen kann, findet am Donnerstag eine Schiffstaufe statt, also muss die Prima außerhalb im Containerhafen festmachen. Nichts außenrum außer Container und Kräne und viele Männer in knallgelb, die alles regeln. Also alle Ausflüge verlängern, weil man ja überall viel länger hinbraucht. Das riesige gut geheizte Ankunftsterminal am Stadthafen eingetauscht für ein provisorisches Zelt zur Passkontrolle – aber hey, sie hatten immerhin eine kleine Marschband, die Seefahrer-Folk gespielt haben.

 

Naja, so ist das jedenfalls hier. Immer ein bisschen Stress und das ist auch gut so. Vor allem nach den drei Monaten rumsitzen und nichtstun macht es mir Spaß, wieder gebraucht zu werden. Und man hat ja auch immer die supernetten Gäste, wie das Mittdreißiger-Paar, die Zwillinge erwarten und in Frankreich meine Hilfe brauchten, weil die Frau nicht durch die Strahlung vom Durchleuchten wollte. Ich also in meinem besten Schulfranzösisch „Elle expecte bébé“ und ein bisschen rumgefuchtelt und alles gar kein Problem. Das selbe am nächsten Tag in England und auch beim Ausflug in Belgien waren sie wieder in meinem Bus und haben sich soo überschwänglich bei mir bedankt, dass ich ihnen ja so sehr geholfen hätte. Da freue ich mich immer, wenn ich positives Feedback bekomme, denn meist hört man eben doch nur die Beschwerden.

 

Aber heute bei der Abwicklung eines Amsterdam-Ausfluges, wo unsere Busse viel zu spät im Hafen ankamen und mir die Gäste an Bord schon in den Ohren lagen mit „Aber ich bin doch so schlecht zu Fuß“ und „Na, das viele Warten kann ja nicht gut sein für meine Krampfadern“ und „Ich habe Asthma, darf ich schon runter?“ und „Oh Gott, es ist so heiß, ich bekomme keine Luft mehr“, habe ich im Anschluss sogar eine kleine Umarmung von TM Linda gekriegt und ein „Glückwunsch, hast du gut gemeistert“. Also läuft alles und ganz falsch ist dieser Job wohl doch nicht für mich.

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0