Verzieh' dich, Garry!

Kennt ihr das, wenn man so viel über jemanden gehört hat, dass man denkt, man kennt ihn ganz genau, ohne ihn wirklich je getroffen zu haben? So ist das bei Garry.

Garry ist vor nicht allzu langer Zeit in Samoa geboren und ist jetzt grade auf Tour durch den Pazifik. Früher war er ein ganz normaler Kerl, doch über den Verlauf seiner Reise ist er inzwischen echt gut in seinem Job geworden und wird immer besser.
Leider ist er mittlerweile total von sich überzeugt und ist nicht mehr der nette Garry von nebenan. Wie das auf den Inseln hier üblich ist, kennt hier jeder jeden und so weiß jeder hier Bescheid, dass Garry am Wochenende hier ankommen wird. Er hält nicht viel von Terminplänen, deswegen wissen wir nur, dass wir irgendwann zwischen Freitagmittag und Sonntagabend mit ihm rechnen können.

 

 

Obwohl die Insulaner an sich alle so drauf sind, finden alle das ziemlich unverschämt von Garry und es ist kein Wunder, dass keiner wirkliche Lust auf seinen Besuch hat. Manche gehen sogar soweit, dass sie übers Wochenende nach Neuseeland oder auf andere Inseln fliegen, nur um nicht Gefahr zu laufen, ihm begegnen zu müssen. Außerdem weiß eh niemand so wirklich, was er hier eigentlich will.

Weil Garry als einer bekannt ist, der sehr spontan seine Meinung ändert, hoffen hier alle, dass er seine Reiseroute noch kurzfristig ändert und statt Rarotonga vielleicht nur die „Outer Islands“ besuchen geht. Wir werden sehen…

Sturmsicherung im Insel-Style
Sturmsicherung im Insel-Style

Hatte ich eigentlich erwähnt, dass Garry gar kein Mensch sondern ein tropischer Sturm ist? Hmm…
also jetzt nochmal ernsthaft: Garry ist ein tropischer Sturm, der sich über Samoa zum Zyklon ausgeweitet hat – also so ein großer weißer runder Blop auf der Landkarte mit einem Loch in der Mitte, der sich ziemlich schnell um die eigene Achse dreht und alles vernichtet, was ihm in den Weg kommt. Vor Samoa war Garry ein Zyklon der Kategorie 1, d.h. die langen Windböen haben Höchstgeschwindigkeiten von 150km/h erreicht. Das ist schon ziemlich ordentlich, aber meist kein wirklicher Grund zur Sorge. Man muss eben seine Wäsche von der Leine holen, seine Tiere einsperren und alles, was so lose rumfliegt, festbinden oder reinholen. Hauptmerkmale eines Zyklons sind heftige Regenfälle, starker Wind bis extremer Sturm und oft auch Gewitter.

 

Kurz zur Begriffserklärung, wie ich sie von Victor erläutert bekommen habe: Als Zyklon ist generell eine Luftmasse bekannt, die sich in der selben Richtung wie die Erde dreht (wusste ich gar nicht…), und dadurch kommen die Winde zustande, die sich als riesige Spirale selbst antreiben und so stärker werden je mehr Luft von außen angesogen wird. Dann wird unterschieden zwischen den Zyklonen mit kalter Luft und denen mit warmer Luft im Zentrum (Auge des Sturms). Sobald die Luft warm ist, spricht man von einem tropischen Zyklon, weil die eben hauptsächlich hier in den Tropen vorkommen. Je nachdem wo man ist und wie stark der Sturm ist, gibt es unterschiedliche Bezeichnungen; Garry war demnach über Samoa noch ein Tropischer Sturm.

die Wellen brechen am Ring-Riff und in der Lagune kommt kaum Strömung an
die Wellen brechen am Ring-Riff und in der Lagune kommt kaum Strömung an

Inzwischen ist Garry in der nördlichen Gruppe der Cookinseln angekommen und nicht allzu weit entfernt vom Atoll Suwarrow. Das ist etwa 800km weg von wo ich grade bin, also besteht hier noch keine akute Gefahr. Außerdem wurde Garry befördert und pustet jetzt in Kategorie 2 und ist so schnell unterwegs, dass er – vorausgesetzt er hält seinen jetzigen Kurs ein – am Samstag hier sein soll. Wir bekommen seit zwei Tagen dreimal täglich Updates per Mail während der Arbeitszeit um uns auf dem Laufenden zu halten und jedes Mal war es bisher ein anderes Datum oder eine andere Tageszeit. Wie lange, wie stark und ob überhaupt wir irgendwas von Garry mitbekommen werden, steht also in den Sternen.

 

Auf Aitutaki (unser nächster Nachbar und liebste Insel der Einwohner und Touristen) werden sie sicher was mitkriegen, weil die Insel relativ nah an der vorausgesagten Route des Sturmauges liegt. Seit vorgestern herrscht da wohl die absolute Panik, alle Hotels bereiten ihre Gäste auf den Super-GAU vor, denn bis Garry hier ist, wird er höchst wahrscheinlich Kategorie 3 erreicht haben und mit Höchstgeschwindigkeiten von 210km/h unterwegs sein. Das kann schon ziemlichen Schaden anrichten und die Aitutakianer fangen an, alles auf der Insel zu sichern.
In der Arbeit nehmen wir es recht gelassen, nur die Kollegen, deren Häuser direkt am Strand (und somit nur höchstens 2 Meter über dem Meeresspiegel) liegen, fangen an, sich ernsthaft vorzubereiten. Hauptgesprächsthema: „Wo bekomme ich noch 10 Meter Seil her? Ich muss meinen Schuppen festbinden!“

Sonnenuntergang vom Bunker aus
Sonnenuntergang vom Bunker aus

Wichtigster Tipp dieser Tage: habt immer euer Handy aufgeladen und dabei! Denn Kommunikation ist das wichtigste in so einer Situation. Solange man in Kontakt bleibt bzw. in Kontakt treten kann, kann einem eigentlich gar nicht viel passieren. Fürs Wochenende wird in der Firma die komplette Stromversorgung abgeschaltet, alle Akten und Gerätschaften werden erhöht gelagert, damit nichts groß passieren kann, sollte Wasser durch die Türen kommen. Aus Erfahrung wurde mir gesagt, dass es sehr gut sein kann, dass wir Samstagnacht und/oder Sonntag komplett ohne Strom sind. Ich habe schonmal Teelichter besorgt und eine meiner Gemüsedosen ausgespült, damit ich mir eine Laterne basteln kann.

 

Seit ich diesen Blog angefangen habe, gab es jetzt schon wieder ein neues Update der meteorologischen Profis auf den Fijis, das sagt, dass neueste Voraussagen Garrys Route nicht mehr im Norden sondern im Süden der südlichen Gruppe der Cooks sehen, dann würde er komplett an Aitutaki und Raro vorbeiziehen und wir würden wohl kaum mehr als den Wind spüren, den wir jetzt grade haben. Das Wetter ist im Moment noch relativ normal – die Sonne scheint von einem perfekt blauen Himmel, die üblichen grauen Wolken hängen wie immer in den Bergen fest.

die kleinste Quarantäne-Station, die ich je gesehen habe
die kleinste Quarantäne-Station, die ich je gesehen habe

Der einzige Hinweis, dass sich da was anbahnen könnte, sind die Wellen. Da wir aber die Lagune vor der Küste haben, sieht man den Unterschied kaum. Außerdem ist es unglaublich stickig. Es regnet minutenweise, aber nicht sehr oft. Danach ist es fast noch schwüler und das ist ungewöhnlich. Kurz gesagt: würde man es nicht dauernd gesagt kriegen, könnte man hier locker gar nicht mitkriegen, was da draußen auf hoher See grade abgeht. Außer man IST auf hoher See, wie zum Beispiel meine Bekannten Anne und Sabine, die wegen Garry (so ein Blödmann) weder auf Aitutaki noch auf Raro an Land gehen konnten und jetzt auf ihrem Kreuzfahrtschiff festsitzen. Doof…

 

Natürlich haben wir in der Firma viel zu tun, denn alle Gäste, die wir hierher geholt haben, sind bis zu einem gewissen Grad von uns abhängig. Also heißt es viiiiel telefonieren und rum-mailen um allen zu berichten, was wir wissen. Und das schlimme ist, dass uns keiner wirklich glaubt, dass wir auch nicht mehr wissen als das, was die Meteorologen auf Fiji alle paar Stunden verlauten lassen.

Ich hatte grade meinen ersten großen Auftritt, als ich von der Mittagspause wiederkam und alle suchten mich und meine „erweiterten Fähigkeiten“. Ich durfte also in Aitutaki anrufen und einen völlig aufgelösten Herrn aus Hannover auf Deutsch darüber aufklären, was eigentlich grade abgeht und dass sie natürlich schon morgen zurück nach Raro kommen können. Schon blöd, wenn man hier her reist und nicht wirklich versteht, was einem alle sagen wollen weil man den Kiwi-Akzent nicht versteht. Und einmal mehr freue ich mich, dass ich auf Tahiti soo viel Hilfe mit dem Französischen hatte.

 

So, jetzt wisst ihr einigermaßen Bescheid, was mich den ganzen Tag beschäftigt und sobald ich überlebt habe, melde ich mich. Aber wie gesagt – wie es mit Strom und Internet bis zum Wochenanfang aussieht, weiß niemand.
Meine Wohnung ist übrigens in der Firma als „the bunker“ bekannt und gilt zusammen mit dem Bürogebäude als sicherstes Haus der gesamten Insel was Sturm angeht, also dürfte mir nicht wirklich was passieren, selbst wenn Garry hier auftrifft. Alle Kollegen wissen, dass ich hier bin und je nachdem, wie viele davon beschließen, bei mir unterzuschlüpfen, gibt’s vielleicht ne richtige Cyclone Party oder ein romantisches Candle Light Dinner in meiner Bude. Wer weiß…

 

PS: Wer auf dem Laufenden gehalten werden will, kann öfters mal hier reinschauen: http://www.met.gov.fj/aifs_prods/65661.html Das ist die Homepage mit Garry-Updates der Meteorologen auf den Fijis.


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