Typisch Wisconsin

Nach fünf Jahren war es schön, die Freunde meiner Mutter endlich mal wieder zu sehen. Kurzer Hintergrund für alle, die’s nicht wissen: Gail war mal Mamas Gastschwester beim USA-Austausch zu Schulzeiten, ihre Gasteltern waren dementsprechend Gails Eltern, für mich sind das Grandma und Grandpa. Gails Kinder sind Heather und PJ, ihr Mann ist Dave. Grund für unseren USA-Trip war Heathers Hochzeit, zu der sie uns eingeladen hatte.

das typische Bild
das typische Bild

Gail hatte uns also in Milwaukee am Flughafen abgeholt, dann fuhren wir zwei Stunden lang über die unglaublich langweiligen Highways Richtung Norden zu ihrem kleinen Kaff mitten in Wisconsin. Ich weiß jetzt auch, wieso in Filmen und so Wisconsin immer als Heimat der typischen Dorftrampel dargestellt wird: Eigentlich ist hier ziemlich viel Nichts, über das ein Sack mit roten Farmhäusern und Silos ausgekippt wurde. Das größte Hobby von wohl so ziemlich allen Einheimischen ist offenbar das Dekorieren ihrer Häuser, die irgendwie alle einstöckig sind und alle relativ gleich aussehen. Aber ich mag sie trotzdem sehr und find die Häuser auch eigentlich ganz schnuckelig.

Aussicht vom Gästezimmer
Aussicht vom Gästezimmer

Unsere Freunde wohnen auch in einem ziemlich typischen einstöckigen Holzhaus, das mitten im Wald steht. Ich hätte die ganzen fünf Tage, die wir dort waren, einfach nur am Fenster stehen und in den Garten/Wald schauen können, denn dauernd war irgendwelches Wildlife unterwegs. Schon der Blick aus meinem Bett gewährte mir tiefe Einblicke in die Nasenlöcher eines Hirsches – der war allerdings schon tot und von Dave persönlich geschossen. Draußen allerdings ist alles noch ziemlich lebendig: Da hüpfen Spechte von Baum zu Baum, Eichhörnchen klauen Körner aus den Vogelhäuschen und machen überall Sauerei, wilde Truthähne glucken über den Parkplatz und Hirsche knabbern von allen Blumen die Blüten ab. Meine absoluten Lieblinge waren allerdings die Streifenhörnchen, die leider immer so schnell und unerwartet auftauchen und wieder abzischen, dass man eigentlich nicht die geringste Chance hat, jemals eins aufs Foto zu kriegen.

woke up to this...
woke up to this...

Angekommen im schnuckligen Haus, was mit ganz viel dunklem Holz so richtig das Gefühl einer Ferienhütte irgendwo im Wald erweckt, gab es zum Abendessen Käse zum Knabbern, und zwar nicht irgendeinen Käse. Wisconsin ist bekannt als „The Dairy State“, also berühmt für seine Milch und Milchprodukte. Es gibt also ganz frisch immer String Cheese, Käse am Stück, der als Zeichen seiner Frische an den ersten Tagen nach dem Kauf beim Draufbeißen quietscht. Wenn alle am Tisch leise sind, kann man auch andere Stücke Käse zwischen anderer Leute Zähne quietschen hören. Richtig coole Sache, find ich ausgesprochen witzig. Wenn man String Cheese nicht abgepackt im Supermarkt, sondern direkt frisch in einer Molkerei kauft, kriegt man die ganze Schlange Käse in eine Tüte gepackt und wenn man die dann daheim auseinanderwurschtelt, sieht es aus als entwirrt man Innereien eines sehr bleichen Tieres. Wem das zu viel ist vor dem Abendessen, für den gibt es den String Cheese schon in mundgerechte Stücke geschnitten, das sind dann Cheese Curds (könnt ja mal googlen) und die gab es während unseres gesamten Aufenthaltes bei Gail fast jeden Tag!

"Downtown"
"Downtown"

Am Abend kamen gleich auch noch Grandma und Grandpa, die sind total cool drauf, wie Großeltern eben so sind, es gab grandiosen frischen Apple Pie und wir spielten eine ewiglange Runde Phase 10. Das Spiel haben wir übrigens bei unseren Amis kennen und lieben gelernt, lange bevor es in Deutschland bekannt wurde.      
Wirklich aufgehört haben wir zu essen irgendwie in fünf Tagen gar nicht mehr, hab ich das Gefühl. Morgens gab es fast jeden Tag selbstgemachte Pancakes mit eingelegten Erdbeeren und Quietschkäse und Bacon und dem originalen Wisconsin Maple Syrup (Ahornsirup). Und gaaanz langsam wurde dank Honig aus einem kleinen bärenförmigen Fläschchen auch mein Husten besser. Musste ja auch, denn es gab ja soo viel zu sehen.

Green Bay Arboretum
Green Bay Arboretum

Gleich am Freitag fuhren wir mit Gail nach Green Bay, das liegt direkt am Ufer des Lake Michigan – zu dem später mehr. Die haben dort einen wunderschönen botanischen Garten mit verzweigten Wegen über ein ziemlich großes Gelände, wo wir den Vormittag verbrachten. Besonders cool waren so große Schalen, die in der Gegend standen und mit Blümchen bepflanzt waren und obendrüber so ein Gestänge hatten, an dem Rohre hingen. Wenn man da durch auf die Blumen geschaut und gedreht hat, war das wie diese Kaleidoskope, die wir als Kinder alle hatten, nur eben ohne Glitzer und Zeug sondern nur mit den Blumen, die wunderschöne Muster gemacht haben.  
(Lustige Story nebenher: Mama und ich sind nicht mehr drauf gekommen, dass die Teile Kaleidoskope heißen, also hab ich gegoogelt nach „Rohr drehen Bild verändert sich“ und tadaa – Google weiß halt doch alles!)        
Irgendwo in dem Park steht eine Bank, auf der eine Bronzestatue von einer alten Frau sitzt, die gespannt ihrer Bronzestatue von Mann lauscht, die hinter ihr steht und auf einer Geige fidelt. Die hat der Mann in Auftrag gegeben, weil seine Frau und er immer dort saßen und er ihr vorgegeigt hat. Jetzt sind sie tot, aber leben irgendwie immer noch als Bronzestatuen im Garten weiter…voll romantisch!

och...für einen Uni-Campus doch eigentlich ganz nett
och...für einen Uni-Campus doch eigentlich ganz nett

In Green Bay gibt es außerdem einen Campus der UW, der University of Wisconsin, wo PJ studiert und wohnt, den wir dort besucht haben. PJ ist etwa zwei Jahre älter als ich und irgendwie so ein typischer Amerikaner. Wenn er und seine Mutter untereinander reden, bekomme ich nur etwa die Hälfte mit, von dem was gesagt wird. Nachdem wir mit PJ zum Mittagessen in einem Restaurant waren, das voll ausgestopfter Tiere war (in Wisconsin nix besonderes, schätze ich), gab er uns eine Führung über den Campus. Hier ist das ganz anders als in New York – nicht in die Stadt eingegliedert und mittendrin, sondern ein riesiges Areal, wo wirklich ausschließlich Uni ist. Wenn man wie PJ auf dem Campus in einem Wohnheim wohnt, kommt man also so gut wie nie vom Campus runter, weil man alles auch dort kriegt was man braucht.

Flauscheknubbel in Green Bay
Flauscheknubbel in Green Bay

Gut anderthalb Stunden später gab es schon wieder was zu essen, nämlich nachdem wir zurück gefahren waren und Gails Mann Dave trafen. Der ist Sheriff und hat immer coole Sachen zu erzählen, wenn ihm danach ist. Mit ihm gingen wir zum Essen in ein lustiges Restaurant, wo man sich erst häuslich an einem Tisch mit Barhockern einrichtet und versucht, es sich irgendwie fürs Essen bequem zu machen, nur um dann mitgeteilt zu kriegen, dass unser Tisch jetzt fertig ist und man dann an einen normalen Tisch umziehen darf. Phew!

typisch Amiland: ganz viel nichts, aber Hauptsache, eine fette Straße mitten durch
typisch Amiland: ganz viel nichts, aber Hauptsache, eine fette Straße mitten durch

Spätestens jetzt wussten wir auch, dass wir gar nicht soo viel aßen, wie gedacht. Denn am Nachbartisch bestellte ein mutiger Mann ein „72 oz Beef Cut“, das sind 72 Unzen, also etwas mehr als zwei Kilo. Unglaublich, wie viel Fleisch das am Stück ist, und er hat gut durchgehalten, allerdings nicht ganz geschafft. Dave erzählte uns, dass 72 oz nicht mal das größte ist, was man hier bekommt. Der Obergau ist das 160 oz Beef Cut, etwa viereinhalb Kilo (!) – und wenn man das alleine aufisst, bekommt man ein T-Shirt und sein Foto an der „Wall of Fame“ im Restaurant. Na, wenn das nicht der American Dream ist!

jep, auch die Vögel sind hier patriotisch
jep, auch die Vögel sind hier patriotisch

Der Abend wurde dann auch noch megalustig. Vollgefressen bis zum Gehtnichtmehr spielten wir mit Gail und Dave und Grandma und Grandpa, die noch vorbeikamen, ein saulustiges Spiel namens „The Redneck Life“. Kurz zur Erklärung: Als Redneck oder Hillbilly werden allgemein Bauern aus den Südstaaten bezeichnet, die als ungebildet, konservativ, teilweise wenig hygienebewusst und etwas zurückgeblieben gelten. Wikipedia schlägt als deutsche Entsprechung den „Hinterwäldler“ vor. In dem Spiel geht es also darum, das Leben eines typischen Rednecks zu durchlaufen. Ziel des Spiels ist es, von allen Mitspielern am meisten Zähne im Mund zu haben. Zähne verliert man durch Unfälle, Schlägereien oder anderes, was man in den Aktionskarten zieht. Mit zwei Würfeln bestimmt man Namen (wie Billy Bob oder Betty Sue) seiner Rednecks, deren Ausbildung und damit den Beruf (mit einer 3-jährigen Schulausbildung ist der Job und das Gehalt dann natürlich schlechter als nach 9 Jahren), den Namen des ersten Ehepartners, etc. Nachdem man heiratet und sich ein „Haus“ kauft (also z.B. einen Wohnwagen oder ein Klohäuschen) kriegt man Kinder, hier genannt „Young’ens“, für die man dann natürlich ein Auto braucht (also z.B. einen Esel oder ein Klohäuschen auf Rädern). Für alles muss man zahlen und gerät ohne weiteres in Schulden. Wenn man – wie ich – so viel Glück hat, und gleich 15 Young’ens hat, von denen 11 Darryll hießen, kommt die Scheidung ziemlich übel und wenn man nicht zufällig eine 6 würfelt, verliert man ordentlich Geld. Dann wird nochmal geheiratet, mehr Kinder gekriegt und dann hat man vor lauter Frust sowieso so gut wie alle seine Zähne verloren und keine Chance mehr, zu gewinnen…

 

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