Strawberry Fields

Ich hätte ja erwartet, dass jedes Kaff entlang der englischen Kanäle einen Pub hätte, wo man mal zum Mittag- oder Abendessen oder für den Absacker nach erfolgreichem Boating einkehren könnte. Ist bestimmt auch so, nur leider gibt es keine Käffer an den Kanälen. Am Tag, als wir zu Fuß loszogen, war der nächste nennenswerte Ort, der aus mehr als drei Farmhäusern bestand, fast vier Kilometer entfernt.

Chester Cathedral
Chester Cathedral

Zurück in der Zivilisation brauchten wir also dringend einen Pub. Chester hieß unser erstes Ziel. Wir blieben nur für eine Nacht – aber hätten wir gewusst, wie wunderschön es dort ist, hätten wir sicher auch einen längeren Aufenthalt geplant. Ich fühlte mich leicht an Winchester erinnert (ob es am Namen liegt?), wann immer wir durch die Innenstadt schlappten. So richtig wie man es erwartet mit ganz wunderbaren Fachwerkhäusern, die mehr oder weniger im Originalzustand erhalten sind. Außenrum geht eine Stadtmauer, auf der man große Teile der Stadt umwandern kann. 

Chesters Fußgängerzone mit Fachwerkhäusern (teilweise noch so gut wie original aus dem 13. Jahrhundert) und Rows
Chesters Fußgängerzone mit Fachwerkhäusern (teilweise noch so gut wie original aus dem 13. Jahrhundert) und Rows

Ganz besonders bekannt ist Chester für die „Rows“, die mittelalterlichen Kolonnaden, die in der Fußgängerzone oberhalb des Erdgeschosses liegen. Man kann also im Prinzip vier Mal die Hauptstraße langlaufen (links unten, rechts unten, links oben und rechts oben) und jedes Mal kommt man an anderen Geschäften vorbei. Das kleine bisschen Regen, das wir dort nach vier Tagen Traumwetter auf unserem Narrowboat abbekamen, verschonte mich also, weil ich einfach über die Rows von meinem Museums-Besuch zurück lief. 

entlang der Stadtmauer
entlang der Stadtmauer

Erst bei späterer Recherche fand ich raus, dass uns eine Sehenswürdigkeit gar nicht aufgefallen war: der Rathausturm hat an drei Seiten eine Uhr hängen. Auf der vierten Seite, die in Richtung Waliser Grenze zeigt, aber nicht. Laut Wikipedia sagte der Architekt: „Chester won’t give the Welsh the time of day.” (Wortspiel: “give someone the time of day” kann sich zwar auf die Tageszeit beziehen, aber bedeutet eigentlich, dass man den anderen ignoriert und nicht mit ihm reden will.) 

Eastgate Clock auf der Stadtmauer
Eastgate Clock auf der Stadtmauer

Eine andere Uhr kann man aber gar nicht übersehen, wenn man in Chester unterwegs ist: die Eastgate Clock steht auf einem Torbogen der Stadtmauer, der mitten über die Hauptstraße geht. Es heißt, sie ist nach Big Ben die meistfotografierte Uhr Englands. Und fotogen ist sie auch wirklich. Ich fand besonders toll, dass der Torbogen zu eng für regelmäßigen Verkehr ist, sodass hinten dran die Hauptstraße zur Fußgängerzone wird – und Innenstädte sind ohne Autos halt einfach immer netter.

Chester Rows
Chester Rows

Ohne Auto ist man im ländlichen England und Wales vermutlich ziemlich aufgeschmissen. Also hielten wir uns fortan an die Städte, die recht gut mit Bus und Bahn vernetzt sind. Bahnfahren klappt in UK an sich auch ganz gut, Verspätungen gibt es zwar genauso wie bei uns, aber alle sind immer sehr mitteilungsfreudig und man wird praktisch permanent beschallt mit Durchsagen. Aber ich bin (vor allem im Ausland) ja gerne zu viel informiert als zu wenig. 

Badetag im Chester Zoo
Badetag im Chester Zoo

Nach dem Zwischenstopp in Chester, den wir mit einem spontanen Besuch im größten Zoo Großbritanniens, dem sehr gefeierten Chester Zoo, abschlossen, ging es weiter Richtung Norden. Liverpool war unser nächstes Ziel.
Viel davon gehört hatte ich schon – Heimatstadt der Beatles, „God’s favourite place on Earth“ hat uns ein Mann im Gespräch erzählt, und dass es die netteste Stadt der Welt ist, wir würden keine zwei Minuten allein im Pub sitzen, weil wir sofort angesprochen werden würden. Gleich vorweg: das ist nicht passiert. War aber auch nicht so schlimm, denn die Einwohner (Liverpudlians genannt) sprechen teilweise Scouse, einen englischen Dialekt, der selbst für Briten manchmal schwer zu verstehen ist. Das geht schon los bei den Ortsnamen: ein Stadtviertel heißt Tuebrook & Stooneycrooft – wie viele lange Us sind denn bitte nötig?
 

Royal Albert Docks
Royal Albert Docks

Liverpool hat eine Entsprechung zur Hamburger Speicherstadt, auch hier stehen alte Speicherhäuser direkt am Ufer des River Mersey und den dahinterliegenden Kanälen, das sind die Docks, vor allem ums Royal Albert Dock kann man richtig schön bummeln entlang von kleinen Geschäften, Galerien und Cafés.
Für wenigstens ein bisschen lokale Kultur ging es für uns abends zu einer ehemaligen Industriehalle im Gewerbegebiet außerhalb der Touristenwege, wo Live-Musik gespielt wird und es einen ziemlich coolen Foodcourt mit Dachterrasse gibt. Abends gibt es Veranstaltungen und wir sind zu einer Comedy-Night gegangen, wo sechs Standup-Comedians uns sehr zum Lachen gebracht haben – etwa die Hälfte der Zeit durch ihre Witze, die andere Hälfte vor allem dadurch, dass wir es so witzig fanden, nichts zu verstehen. Da spricht und versteht man fließend Englisch, dachte man, und dann reden die so einen Kauderwelsch zusammen, dass man sehr ins Zweifeln kommt. Wobei ich tiefstes Bayrisch halt auch nicht verstehe, obwohl es eigentlich meine eigene Sprache ist.

Superlambanana - aus gegebenem Anlass grade nicht ganz gelb
Superlambanana - aus gegebenem Anlass grade nicht ganz gelb

Auf dem Weg aus der Innenstadt raus kamen wir auch an einem der Wahrzeichen der Stadt vorbei: der Superlambanana. Das ist eine skurrile Skulptur aus den 90ern, die eine Kreuzung aus Lamm und Banane darstellt. Wenn man sich die Bedeutung anschaut, die der Künstler rüberbringen wollte, ergibt es auch alles sehr viel Sinn: Lammfleisch und Bananen wurden im Hafen von Liverpool umgeschlagen und haben maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Gleichzeitig soll die Kreuzung der beiden auf die Gefahren von Gentechnik anspielen.
Eigentlich ist es nur ein großes gelbes Ungetüm, aber irgendwie doch sehr sympathisch, sodass es inzwischen mehr als 100 kleinere Superlambananas in der ganzen Stadt verteilt gibt, die bunt bemalt werden und deren Abbilder es aus Plüsch in jedem Touri-Laden zu kaufen gibt.

English Afternoon Tea wie er sein soll
English Afternoon Tea wie er sein soll

Als Ex-Kreuzfahrer mach ich ja meine Hausaufgaben und weiß, wo die großen Häfen sind. Also war klar, dass ich dringend aus der Stadt raus muss an dem Tag, wo ein riesiges Schiff im Hafen festmachen sollte. Mit der Bahn fuhr ich raus den Mersey rauf bis Southport. Der botanische Garten dort war eher enttäuschend, aber im Ortszentrum fand ich den süßesten Tea Shop, wo ich dann natürlich direkt anderthalb Stunden bei 20er-Jahre-Musik, gedämpften Gesprächen unter älteren Herrschaften, einem riesigen Pott Tee und ganz wunderbaren Scones mit Clotted Cream und Marmelade verbringen musste.

Victoria Park in Southport
Victoria Park in Southport

Mein Plan von „am Strand zum nächsten Bahnhof laufen“ dauerte in der Umsetzung länger als in der Planung, denn erstmal ist der Strand gar nicht so leicht zu finden – der Southport Pier ist aktuell gesperrt und an der Promenade (direkt an der Straße) kann man zwar ganz schön laufen, aber den Strand sieht man so gut wie gar nicht. Wind, Wetter und generelle Gegebenheiten führen dazu, dass aktuell überall weniger Wasser ist und der Southport Beach war kaum am Horizont auszumachen.

"Another Place" von Antony Gormley am Strand von Crosby
"Another Place" von Antony Gormley am Strand von Crosby

Also schnell wieder weg von da. In den Randbezirken von Liverpool gibt es auch einen langen Strand, ein Abschnitt ist besonders interessant, da hat ein Künstler vor 20 Jahren hundert lebensgroße Figuren aus Metall am Strand verteilt. Die stehen teilweise im Sand, teilweise im Wasser, manche verschwinden fast ganz bei Flut.
Wenn man abseits der touristischen Wege Bushaltestellen sucht oder Bus fährt, kommt man auch an ganz süßen Sachen vorbei, die man sonst nie gefunden hätte. So hab ich zum Beispiel mehrere Briefkästen gesehen, deren Oberseiten mit Häkeldeckchen und sonstigen süßen Sachen bestellt waren. Das schönste Häkel-Kunstwerk war eine Szene aus Alice im Wunderland, wo Alice, der Mad Hatter und der Hase gemeinsam beim Tee sitzen.

Beatles Memorial in Liverpool
Beatles Memorial in Liverpool

Und dann natürlich die Beatles. Die sind in Liverpool allgegenwärtig – neben anderen, denn Liverpool hat eine lange Liste von Musikern und Bands ausgespuckt in den letzten Jahrzehnten. Überall hängen Plaketten, wer hier mal wann in welchem Pub live gespielt hat und wo welche Karriere losging. Im Cavern Quarter (wo der berühmte Cavern Club war, wo die Beatles zu Beginn viel gespielt haben) gibt es eine Wand, die „Wall of Fame“, an der in Backstein gemeißelt alle Liverpooler Musiker und Bands stehen, die seit 1952 einen Nummer-1-Hit in den britischen Charts hatten. 18 der 58 dargestellten Hits sind von den Beatles. Es heißt, dass Liverpool mehr Top-Singles hervorgebracht hat als jede andere Stadt der Welt.

Penny Lane!
Penny Lane!

Ich machte eine Bustour mit, die in die äußeren Stadtviertel ging, vorbei an den Häusern, in denen John Lennon, Paul McCartney und Ringo Starr aufgewachsen sind. Der offene Bus war voll mit wahren Beatles-Fans. Eine Familie kam zu viert, alle im gleichen Abbey-Road-Shirt. Und immer wenn Musik gespielt wurde, sangen alle im Bus begeistert mit.
Wir fuhren die Abbey Road runter, die nach dem Erfolg des gleichnamigen Liedes hauptsächlich aufgemalte Straßenschilder hat, weil die aus Metall immer geklaut wurden. Entlang der Penny Lane ging der Schulweg von Paul McCartney und John Lennon und im Lied verarbeiten sie das, was sie da tagtäglich so gesehen haben. Den Frisör aus der ersten Zeile gibt es da immer noch, dort ist Paul zum Haareschneiden hingegangen. Die Bank an der Ecke ist heute eine Arztpraxis, den „shelter in the middle of a roundabout“ gab es auch wirklich, heute ist es ein Café. Und die Erdbeerfelder aus „Strawberry Fields“ sind eigentlich ein Anwesen in Liverpool, wo früher mal ein Kinderheim stand und wo John als Kind immer zum Spielen war. Heute ist es ein Park, wo Veranstaltungen und Ausstellungen stattfinden.

 

Zurück in der Stadt und mit viel Livemusik in diversen Pubs sammelte ich Simon ein und es ging weiter, die nächste Station unseres Urlaubs wartete: Birmingham.

 

 

 


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