Tromsø gilt als Tor zur Arktis. Wenn man googelt nach den besten Orten, um die Nordlichter zu sehen, wird früher oder später immer Tromsø genannt. Hier sollte es also passieren, unser nächstes Aurora-Abenteuer, nachdem wir zwei Winter vorher doch so viel Glück in Finnland gehabt hatten.

Glück konnten wir es aber eher nicht nennen, was wir mit dem Wetter am Arktis-Tor hatten. Wer in einem der regenreichsten Monate in Nordnorwegen rumhängt, hat es aber vielleicht auch nicht anders verdient, wenn er dann bei Wind und Eiseskälte in der Gegend rumstapft. Schön Schnee gab es aber immerhin und auf dem Weg zu unserer Ferienwohnung in Kvaløya bekamen wir auch unsere Antwort auf die ständige Frage “wie übersteht man so einen langen dunklen Winter überhaupt?” In Nordnorwegen scheinen unglaublich viele Lichterketten verkauft zu werden. Wir haben kaum ein Haus am Straßenrand gesehen, das nicht weihnachtlich geschmückt war. Blinkende bunte Lichter und Vorgarten-Deko in Form von Rentieren und Weihnachtsmännern gab es so gut wie gar nicht, dafür aber überall so schön warmweiße Lichter, die sich teilweise entlang aller Ränder der Fenster oder Garagen oder generell des ganzen Hauses rankten. Wenn es schon so lang so dunkel ist, macht man es sich halt wenigstens schön.

Tromsø ist die größte Stadt der Umgebung und auch hier haben die städtischen Grenzen irgendwann die natürlichen Grenzen gesprengt, sodass sich das Stadtgebiet heute über mehrere Inseln erstreckt. Wir wollten möglichst dunkel wohnen, also suchten wir uns eine Unterkunft gegenüber des Stadtzentrums, mit einer hügeligen Insel dazwischen. Es ist kein Fjord, an dem Tromsø liegt, sondern ein Sund – also eine Meerenge, deren beide Seiten zum Meer hin offen sind. Ein Fjord hingegen ist ein Meeresarm, der irgendwo ausläuft.

Die ständige Dunkelheit, die nur durch ein bisschen Dämmerung unterbrochen wird, macht komische Dinge mit dem Hirn. Beim Frühstück herrscht stockfinstere Nacht, beim Mittagessen sieht es aus, als ginge die Sonne grade auf oder unter, zum Abendessen ist wieder alles schwarz draußen. Man kann sich überhaupt nicht mehr auf seine innere Uhr verlassen, wenn man die Uhrzeit schätzt, und Julia und ich waren irgendwie immer mehr oder weniger müde. Vermutlich gewöhnt man sich irgendwann dran, wenn man immer so zweigeteilte Jahre hat, aber ich habe eine ganz neue Wertschätzung für unser vier-Jahreszeiten-System.

In Tromsø kann man schön bummeln und einkehren – das musste auch sein, denn es wurde schon immer arg schnell kalt trotz der vielen Klamotten-Schichten. Wir packten uns den Kalender natürlich
trotzdem voll mit Ausflügen und Erlebnissen, immer auf der Suche nach einem Aurora-Auftritt. Mit dem Boot ging es raus auf den Sund, unter der riesigen hübsch geschwungenen Tromsø-Brücke durch
und weg von den Lichtern der Stadt. Leider war die Bewölkung aber so stark, dass wir keine Chance hatten, am Himmel irgendwas zu sehen.
Also am nächsten Abend wieder los, diesmal auf den Hausberg Fjellheisen, wo man für sehr viel Geld in ein paar wenigen Minuten mit der Gondel auf über 400 Meter hoch gebracht wird und von oben
einen grandiosen Blick über Tromsø und die Umgebung hat. Im dicken Schnee konnte man hervorragend eine Runde drehen, aber der eisige Wind und die dicke Wolkendecke trieben uns dann doch recht
schnell zurück ins Café zu heißer Schokolade und warten…warten…warten.

Irgendwann gaben wir es auf und machten uns ganz betrübt zurück ins Tal. Gerade an der Bushaltestelle angekommen und schon ganz deprimiert, dass es nichts zu sehen gab, passierte es dann
tatsächlich: Aurora tanzte wieder! Ganz verhalten und grau zunächst, aber bis wir zurück auf Kvaløya an unserer geschützten Sund-Bucht waren, fuhr sie zu Höchstleistungen auf. Es wirbelte und
tobte, in grün und ein bisschen rot sogar – und endlich, endlich hatte sich unsere Nordlichtjagd gelohnt!
Wenn’s am Himmel leuchtet, ist die Kälte plötzlich auch gar nicht mehr soo schlimm…

Zurück aufs Boot oder auf irgendwelche zugigen Berggipfel wollten wir dann trotzdem nicht nochmal, also ging es am letzten Abend auf zu einer organisierten „Hetzjagd“, bei der man mit dem Kleinbus kreuz und quer durch die Gegend geshuttlet wird, immer auf der Suche nach den tanzenden Lichtern. Manchmal schaffen sie in einer Nacht mehrere hundert Kilometer, sind sechs oder mehr Stunden unterwegs und kommen irgendwo hinter der finnischen Grenze raus. Wir hatte vorher nochmal ein kleines bisschen Glück: nur etwa eine Stunde nördlich von Tromsø wurden wir fündig. Auf einem Feld an der Straße mitten im Nichts gab es schönes Leuchten direkt über uns zu sehen und so viel klaren Himmel, dass Venus und Mars und Jupiter alle trotz riesigem Vollmond schön zu sehen waren.

Dann gab es sogar noch ein weiteres Highlight, als wir an anderer Stelle alle in der Finsternis am Straßenrand standen, tauchten vier Rentiere auf, spazierten ganz entspannt an uns vorbei und ließen sich ganz unbeirrt von röhrenden Autos und blitzenden Touristenkameras ablichten. Wild sind sie nicht, denn alle norwegischen Rentiere gehören jemandem und sind damit wenigstens ein bisschen an Menschen gewöhnt. Aber sie leben wild und machen eben ihr Ding. Umso cooler, dass sie einfach so auf einen Besuch vorbei kamen.

Damit wir nicht nur nachts was von Tromsø sehen, musste auch noch ein Tagesausflug sein. Kurz bevor die Sonne ihren höchsten Stand kurz unterhalb des Horizonts erreicht hatte, wurden wir in der
Stadt eingesammelt und eine dreiviertel Stunde nach außerhalb gefahren, dort tüddelten wir uns mitsamt allen unseren Klamotten in riesige Trockenanzüge aus Neopren, schlüpften in gigantische
Gummistiefel und stopften unsere behandschuhten Hände in fette Ölzeug-Fäustlinge. Das ganze passierte in einem beheizten Zelt am Ufer des Sunds, wo es richtig schön muckelig-warme +2 Grad Celsius
hatte –jedenfalls fühlten sie sich schön muckelig an, wenn man von -13 Grad vor dem Zelteingang kam.
Wir wurden eingewiesen und dann ließen wir uns in Zweier-Kayaks plumpsen und machten uns auf zwei Stunden lang über den teilweise gefrorenen Sund. Es war windstill und „sonnig“ (also un-wolkig),
und das Wasser bewegte sich überhaupt nicht. Da es wärmer war als die Umgebungsluft, hing eine dicke Schicht Nebel direkt über der Wasseroberfläche, während am gegenüberliegenden Ufer eine ewige
Sonnenaufgangs-Stimmung herrschte mit hell-orangem Himmel und bewegungsloser Luft.

Wir paddelten so vor uns hin – und kalt wurde uns tatsächlich nicht, außer man zog die Ölzeug-Handschuhe kurz aus um ein schnelles Foto zu machen, dann bildeten sich auf den inneren Handschuhen
sofort Eiskristalle, die dann von der Körperwärme schmolzen, sobald man sie wieder in die äußere Schicht steckt. An unseren Fellmützen setzte sich unser Atem nieder und gefror sofort. Aber unsere
Füße blieben schön warm in ihren Riesen-Stiefeln.
Ein kleines Stückchen paddelten wir sogar über Eis. Eine ganz dünne Schicht, die man mit dem Paddel zerschlagen kann, aber die praktisch sofort hinter einem wieder überfriert – dann steckt man
mit seinem Kayak fest und weil keine Wellen waren, dümpelte man eben so vor sich hin bei absoluter Stille und wartete darauf, dass sich in der Ferne die Robben und Enten zeigten.´

Er hat sich also gelohnt, der vorweihnachtliche Norwegen-Urlaub und wir haben es also doch nochmal geschafft, die Aurora tanzen zu sehen, bevor die Sonnenwinde nun wieder weniger werden. Und ich weiß schon jetzt, dass ich zum nächsten Zyklus-Hoch in etwa elf Jahren ziemlich sicher wieder irgendwo bis zu den Knien im Schnee stecken und den Himmel anstarren werde. Aber eins merke ich mir bis dahin: nächstes Mal fahren wir nicht im regenreichsten Monat und checken vorher, wann kein Vollmond ist...
Kommentar schreiben