Männer in den Minen

Ich habs schon mal gesagt: Spitzbergen beeindruckt mich zutiefst. Eigentlich gibt’s da wirklich nichts spezielles außer dieser wahnsinnigen Natur, die man ja eigentlich als Kreuzfahrer gar nicht mal richtig zu Gesicht bekommt. So eine Expedition in den Norden würde mich reizen, aber dann wiederum denke ich mir „Eigentlich bin ich wirklich nicht für die Kälte gemacht“.

Teile von Longyearbyens Kohlehafen
Teile von Longyearbyens Kohlehafen

Unser Hafen ist in Longyearbyen, dem Hauptort der Inselgruppe. Hier spricht jeder Englisch, denn Spitzbergener gibt es ja nicht so wirklich. Es gab mal mehr Ortschaften in Spitzbergen und auch mehr Einwohner. Aber mit dem Aussterben der Minen starben dann auch die dazugehörigen Siedlungen aus. Heute gibt es Vorgaben, wie viele Tonnen Kohle pro Jahr gefördert werden dürfen, damit man wenigstens noch ein paar Jahre so hinkommt, vielleicht bis sich der Tourismus ein bisschen vergrößert hat und mehr Menschen diese Naturschönheit entdeckt haben und auch so zum Arbeiten kommen wollen. Longyearbyen ist heute zwar noch abhängig von der Kohlemine Nummer 7, zu der die Schotter-Hauptstraße führt, aber der Tourismus kann schon einiges auffangen und viele der Bewohner haben rein gar nichts mit Bergbau zu tun.

irgendwie ja doch ganz geil diese kargen Hänge
irgendwie ja doch ganz geil diese kargen Hänge

Und dann gibt es eben diese anderen Siedlungen. Pyramiden zum Beispiel. Benannt, wer hätte das gedacht, nach dem pyramidenförmigen Berg nebenan. Die hatten mal über 1.000 Einwohner und dann ging die Kohle aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Wo Longyearbyen amerikanisch und dann holländisch war, war Pyramiden die sowjetische Bergbausiedlung. Es wurde auch noch viel gebaut in den letzten Jahren; auch hier hatte man auf den Tourismus gesetzt. Und dann war Ende der 90er plötzlich die Kohle zu Ende und alle verließen fluchtartig den Ort. Das war der nördlichste Ort der Welt, hatte ein Hotel, Sportanlagen, Schulen, … und jetzt gibt es das alles immer noch. Nur eben ohne Bewohner. Durch das Klima verfällt das verbaute Holz kaum oder nur sehr langsam, also sieht es aus, als wären die letzten Bergarbeiter grade erst in den Feierabend gegangen.
Pyramiden ist drei Stunden mit dem Boot von Longyearbyen, also für unsere kurze Liegezeit einfach zu weit weg. Schade, würde mich wirklich interessieren. Vielleicht komm ich einfach im Winter nochmal wieder für Nordlichter und Hundeschlitten und Schneemobile.

Barentsburgs Hauptstraße
Barentsburgs Hauptstraße

Aber die zweite sowjetische Siedlung Spitzbergens durfte ich besuchen. Barentsburg ist heute noch in Betrieb, die Mine dort wird noch ein paar Jahre Kohle zu fördern haben. Mit dem Boot geht es raus in den Isfjord und dann entlang der Küste 50km weiter. Der alte Ort Barentsburg ist um die Mine und den Exporthafen entstanden. Die alten Holzhäuser stehen da heute noch, verfallen so ganz allmählich vor sich hin, die Gartenschaukel schaukelt noch im Wind, aber ansonsten ist die Altstadt verlassen. Über mehrere hundert Stufen geht man jetzt den Berg weiter rauf, denn unten direkt am Wasser waren die Wettereinflüsse so groß, dass es unsicher wurde, dort zu leben. Also hat man den neuen Ort einfach obendrüber gebaut, es gibt eine Hauptstraße und zwei, drei kleine Sträßchen außenrum. Fahren tun die meisten Bewohner neben der Straße, denn die ist so hubbelig und zerklüftet mit diesen alten Betonplatten, dass es für Schneemobile und Quads einfacher ist, einfach offroad zu bleiben.

die einzige Blume Svalbards
die einzige Blume Svalbards

Obwohl hier noch um die 500 Leute wohnen, ist Barentsburg wie ausgestorben. Gut, wir waren auch am Wochenende da und das verbringen die meisten gemütlich zu Hause vor dem Fernseher. Ein bisschen sowjetische Architektur sieht man noch, die Leninstatue steht unangetastet auf dem Hauptplatz und die alte Minermesse steht auch noch, das war wo die Bergarbeiter gegessen haben nach ihrem Dienst. Der Marktplatz ist ein Loch in der Bebauung, ausgelegt mit Betonplatten und einem großen Bild an der Wand der Messe mit einem Birkenwald drauf. Daher ist der Name des Platzes „Birkenwäldchen“. Wenn man sagt „Ich setze mich in den Schatten vom Birkenwäldchen“ heißt das so viel wie kurz verschnaufen unter dem Bild der Birken. Das Bild hängt da schon so lange man sich erinnern kann und wurde von den Bergarbeitern gemalt, die ihre Wälder und Gärten zu Hause vermisst haben. In Barentsburg gibt es eine blühende Pflanze und das ist eine metallene Sonnenblume – Nationalblume der Ukraine und als Denkmal für die ukrainischen Bergarbeiter aufgestellt. Sie ist die einzige ganzjährig grüne Pflanze Spitzbergens.

Nachts will ich da aber auch nicht allein unterwegs sein...
Nachts will ich da aber auch nicht allein unterwegs sein...

Das Leben in dieser Siedlung stelle ich mir unglaublich eintönig und trostlos vor. Das Schulhaus, in dem die 70 Kinder unterrichtet werden, ist bemalt mit arktischen Tieren und Architektur von zu Hause mit norwegischen Elementen, um die Freundschaft zu unterstreichen. Das ist wohl das fröhlichste Gebäude der Stadt. Gegenüber liegt der Eingang zur Mine, ein permanentes Dröhnen und Pochen ist im ganzen Ort zu hören, wenn die Mine in Betrieb ist. Und sie ist immer in Betrieb. In Schichten von sechs Stunden sind die Arbeiter in der Mine. Der Schacht ist inzwischen so tief im Berg drin, dass es eine Stunde braucht, um die Arbeiter in den Stollen zu bringen. Der direkte Weg von der Mine geht für die meisten direkt zur Brauerei. Die war die nördlichste Brauerei der Welt – für einen Tag; dann hat die Brauerei in Longyearbyen aufgemacht.
Die Arbeiter bleiben meist zwei bis drei Jahre in Barentsburg. Manche bringen ihre Familien, andere kommen allein. Die wenigen Arbeiter, die auf der Straße unterwegs waren, hatten alle den gleichen Ausdruck in den Augen, irgendwie stumpf. Als wollten sie alle schnell wieder weg. Aber es lohnt sich herzukommen. Hier verdient ein einfacher Bergarbeiter bis zu drei Mal so viel wie zu Hause in Russland ein Minenvorsteher. Da kann man schon mal zwei Jahre in der absoluten Einöde leben.

Barentsburg vom Wasser aus - von unten und links: Kohlehafen, Treppen, Geisterstadt Alt-Barentsburg, Minermesse (braun mit weißen Säulen), Brauerei (rot mit weiß), Mine (rot-grün)
Barentsburg vom Wasser aus - von unten und links: Kohlehafen, Treppen, Geisterstadt Alt-Barentsburg, Minermesse (braun mit weißen Säulen), Brauerei (rot mit weiß), Mine (rot-grün)

Die Brauerei ist sowas wie der Mittelpunkt des sozialen Lebens der Bergarbeiter. Ich glaube, man braucht vielleicht einfach ein bisschen mehr Alkohol als normal, um hier einigermaßen glücklich zu sein. In Longyearbyen gab es vor vielen vielen Jahren mal richtig große Probleme deswegen. Es waren so viele Akademiker da, die Forscher und Schriftsteller und Wissenschaftler, das waren die angesehenen Leute, die vielleicht mal ein Glas Wein zur abendlichen Diskussionsrunde getrunken haben. Und dann gab es die Bergarbeiter, die rauen starken Männer, die den Frust über ihre Frauen weit weg in der Heimat und über ihre Einsamkeit und ihr hartes Leben im Schnaps ertränkten. Zwei Welten, die aufeinander trafen. Es gab Raufereien und so wurde schließlich entschlossen, dass jedem nur noch eine bestimmte Menge an Alkohol zustehen sollte, um schlimmeres zu vermeiden. Seitdem gibt es Regeln, wie viel Alkohol jeder Einwohner kaufen darf. Das ist vermerkt auf einer Karte, die jeder bei sich trägt und dadrauf wird abgestempelt, was schon gekauft wurde für jeden Monat. Brandwein und Schnaps und Bier ist auf der Karte. Wein ist nicht drauf. Ratet, wer das Gesetz eingeführt hat…

der einzige Bus und eins der beiden Hotels - bezahlen kann man das nur mit Karte oder mit Rubel
der einzige Bus und eins der beiden Hotels - bezahlen kann man das nur mit Karte oder mit Rubel

Ich bin ganz begeistert: Barentsburg hat uns einen kleinen Bus zur Verfügung gestellt, der unsere Gäste vom Hafen ins Birkenwäldle fährt und wieder zurück, die nicht die vielen Stufen laufen können oder wollen. Es ist auch nicht ein Bus. Es ist der Bus. Der einzige von Barentsburg. Es passen 15 Leute rein und er braucht vom Hafen zum Wald länger als ich zu laufen, denn die Straße außenrum ist so schlecht befestigt und so steil, dass er immer erstmal den richtigen Winkel finden muss, bevor er hoch kommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Busfahrer nicht wirklich Busfahrer ist. Aber wer braucht auch schon einen Bus in einer Geisterstadt?
Wer ein Schneemobil hat, ist schon ganz gut versorgt. Die Parkplätze sind gar nicht für irgendwas Größeres ausgelegt. Es gibt sogar einen Parkplatz direkt an der Brauerei, der ist komplett für Schneemobile reserviert.

wo zur Hölle kommen diese Häuser her?!
wo zur Hölle kommen diese Häuser her?!

Ich bin gespannt, wie lange das in Spitzbergen noch so aussieht wie jetzt. Irgendwann wird die Kohle nicht mehr das Land ernähren können und ob diese karge Landschaft genug Touristen über den Winter anlocken kann, weiß ich nicht. Man sagt „Ein Mercedes ist kein Mercedes ohne Svalbard-Kohle“, denn die deutschen Autobauer arbeiten seit Jahren und Jahrzehnten mit der hochwertigen Kohle aus Spitzbergen.
Auf dem Weg von Barentsburg nach Longyearbyen kommt man direkt an den alten Schächten vorbei, die inzwischen auch schon längst stillgelegt wurden. Mitten im schroffen Berghang sieht man plötzlich ein Loch, ohne irgendwas anderes außenrum. Vermutlich ein Belüftungsschacht für irgendwas. Aber wer weiß? Und Häuser mitten in der Pampa. Nicht irgendwelche Unterschlüpfe von gestrandeten Walfängern, nein. Richtig große Häuser. Ohne Anlegesteg und ohne ersichtliche Mine in der Nähe. Wie zur Hölle kommen die da hin?! Und wie kommt man dahin? Und vor allem – wie wieder weg?

Für den Außenbereich haben die Ausflugsboote sogenannte Polaranzüge zum Ausleihen. Grandiose Teile, ich sags euch! Die sind riesig und passen auch über meine vierfachen Hosen (ja, in der Tat trage ich jetzt zum normalen Ausflugstag Thermoleggins, dünne Sporthose, Jogginghose und drüber meine Ausflugshose) und dann sieht man aus wie ein blaues Michelin-Männchen. Man spürt kein bisschen Wind, es ist plötzlich nicht mehr kalt und man kann locker anderthalb Stunden im eisigen Wind draußen stehen. Das wäre glaub ich das erste, was ich mir kaufen würde, wenn ich hier länger bleiben müsste.
Wahrscheinlich sind diese Anzüge die größte Einnahmequelle der Sportausstatter in Longyearbyen, denn es gibt sie für alles. Fürs Quad-Fahren, für die Boote, fürs Kajaken, für die Hundeschlitten, …

Der Bohrhammer bereit für den Knuddelangriff
Der Bohrhammer bereit für den Knuddelangriff

Wir sehen jetzt nur die Räderschlitten. Wir hatten richtig viel Glück, dass wir bei unserem ersten Anlauf noch so grandioses Wetter und so viel frischen Schnee hatten – jetzt ist der weg und die Schlitten haben keinen Halt mehr, also wurden die mit Rädern wieder ausgepackt. Auch ganz cool. Hoffe, ich darfs in meiner letzten Reise auch noch ausprobieren.
Das ist alles hoch interessant mit den Schlittenhunden. Man kann einem Hund im Alter von ein paar Monaten schon anmerken, ob er ein guter Schlitten –oder sogar Leithund wäre. Dann werden die entsprechend trainiert. Die Hundefarmen in Norwegen haben dutzende Freiwillige, die täglich kommen und die Hunde ausführen, denn diese Huskys brauchen ja unglaublich viel Auslauf. Meist gehen auch nicht die Freiwilligen mit den Hunden, sondern die Hunde mit den Freiwilligen. Die haben so viel angestaute Energie und Kraft, das ist der Wahnsinn. In Tromsø gibt es eine ältere Dame, die eine Hundefarm aufgebaut hat und die hat inzwischen um die 300 Hunde, die natürlich als Nutztiere gehalten werden in ihren Hütten an der Kette und entsprechend knuddelbedürftig sind, wenn jemand vorbei kommt.

Ich hab mir natürlich gleich mal den dreckigsten und schmusigsten ausgesucht und musste bei Rückkehr an Bord einen Schauer an Gelächter von Fotografen, Hafenagenten, Securitys, Kollegen und Chefs über mich ergehen lassen. Aber ich muss ja meine Ausflugsklamotten nicht selbst waschen, also was solls. Und die Hundchen waren sooo glücklich. Alle sehr interessiert an meiner blauen Ausflugsmappe – die hab ich dann gleich mal in den Müll verabschiedet, das war dann doch etwas viel für sie.
In Norwegen schlittet man üblicherweise mit Alaskan Huskys. Das sind keine reinrassigen Hunde, denn die sind wir lange Rennen zu anfällig für Hüftprobleme und andere Krankheiten. Daher mischt man rein, was eben gut ist fürs Team: Retriever für die Freundlichkeit, Hütehunde für die Präzision, Malamutes fürs dicke Fell. Und so kriegt man eben nicht nur die typischen grauweißen Huskys, sondern alle Felllängen und –farben, Ohrenformen, Augenfarben. Und die natürlich auch gemischt. Die interessantesten Hunde sind die mit zwei verschiedenen Augen. Lustigerweise hatte ich eine Reiseleiterin, die anderthalb braune und ein halbes blaues Auge hatte. Perfekter Ausflug für sie, würde ich sagen.

 

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Bettina Frerichs (Donnerstag, 29 Juni 2017 01:39)

    Tanja, deine Bilder sind spitze (hihi, passt ja zum Thema!) - genau wie Deine Texte.