Mess-barer Stress

Irgendwie fühlt es sich ja gar nicht so an, aber der große Sommerurlaub ist schon wieder fünf Monate her und dazwischen ist irgendwie so viel passiert, dass ich gar nicht so richtig zum Schreibseln kam. Mit meiner Zeitplanung was Reisen angeht, bin ich dieses Jahr aber ganz besonders glücklich: schon Anfang Juni vom großen Jahresurlaub an der Adria zurück zu sein, ließ mir schön viel Zeit, den grandios schönen Sommer in Greifswald mitzunehmen und mich nebenher ganz und gar auf den Messe-September vorzubereiten.

La Croisette in Cannes - wenn man zu Fuß von einem in den anderen Hafen läuft
La Croisette in Cannes - wenn man zu Fuß von einem in den anderen Hafen läuft

Während ein Großteil der Firma im Juli und August im Sommerurlaub war, wurschtelte ich also vor mich hin und wurde wenig gestört. Und der September hatte es in sich. Mein zweites Jahr in Cannes stand an und es war doch richtig schön, mal eine Messe zum zweiten Mal zu sehen. Einiges war gut, vieles war doof, also alles wie es sich gehört. Die Händler mal wieder zu sehen, die ich letztes Jahr kennengelernt hatte, war super und wir hatten einen tollen gemütlichen Abend mit ihnen in unserer Stamm-Strandbar. Am ersten Messetag hatten Vertriebsleiter und unsere internationalen Vertriebler eine Überraschung für mich: sie schenkten mir einen Tretroller! Den hatte ich sowieso gewollt – denn in Cannes sind die Wege zwischen Segel- und Motorboothafen immer so unglaublich weit und zeitaufwendig. Unser Franzose hatte mir versprochen, ihn mir zu kaufen und dann wollte er aber kein Geld dafür, weil sie alle zusammengelegt hatten als Dankeschön für meine viele Unterstützung. Ich glaube, sie erinnern sich noch an meine Vorgängerin, die jede Messe nach spätestens drei Tagen wieder abgereist ist und dann mussten sie alles alleine vor Ort regeln, da nehme ich ihnen natürlich jetzt sehr viel mehr Arbeit ab und sie scheinen alles dran zu setzen, dass ich das auch ja weiter mache. Ich würde gar nicht drauf kommen, vor Ende der Messe abzuhauen – und jetzt hat Chefchef auch zum ersten Mal die Messe gesehen und am letzten Abend beim schicken Dinner ganz verblüfft festgestellt „ist ja Wahnsinn, was ihr alles zu tun habt“, also wird er wohl auch nichts dagegen haben, dass ich künftig weiterhin die ganze Messe mitmachen darf.

Alter Hafen in Cannes
Alter Hafen in Cannes

Mein Roller war dann auch ein wichtiger Teil meines Aufenthaltes, denn er brachte mich komplett Blasen-frei durch 6 Tage Messe, ich war super schnell beim Mittagessen und wieder zurück, konnte „mal eben“ was aus meinem Apartment holen, was plötzlich nur noch 2 Roller-Minuten vom Messegelände entfernt war, und sauste immer grinsend an allen vorbei und verbreitete gute Laune. Alle Anwesenden haben sich mit mir gefreut, besonders der Koreaner, der unser neuester Motorboot-Händler ist und kleine 3D-Sticker mit dem Markennamen hat drucken lassen – was hat der für Augen gemacht, als er einen davon auf meinem Roller entdeckt hat!
Alles in allem war es also wieder mal sehr schön und hat Spaß und Stress und alles dazwischen gemacht. Es gab dieses Jahr sogar mehrere Highlights. In einem sehr sympathischen Gespräch am Händlerabend mit unseren türkischen Kollegen habe ich „ganz nebenher“ erwähnt, wie gerne ich mal so eine der riesigen Superyachten anschauen würde. Und schwupps, hatte ich eine Visitenkarte in der Hand und die Worte „komm am Wochenende vorbei, ruf mich an, ich hol dich am Eingang ab“ in den Ohren.

Blick auf den alten Hafen in Cannes
Blick auf den alten Hafen in Cannes

Gesagt, getan: am letzten Messetag stand ich in Flipflops mit meinem Roller vor dem San Lorenzo-Stand und wurde ganz kritisch beäugt. Als der Kollege mich in Empfang nahm, wurden alle Blicke gleich freundlicher und ich durfte natürlich mit an Bord. Zwei Boote durfte ich mir anschauen, eine 80-Fuß- und eine 90-Fuß-Superyacht. Die größere ist damit ein Drittel länger als unsere größte, und hat natürlich mehr Decks. Ein komplettes eigenes Crewdeck gehört natürlich mit dazu, eine riesige Lounge auf dem oberen Achterdeck, wunderschöne Bäder, riesige Kabinen, … das war schon etwas besonderes. Die 90-Fuß-Schönheit wurde auch noch fast komplett mit Recycle-Materialien im Innenraum ausgestattet, was ihr ein ganz besonderes Flair gibt, denn üblicherweise sieht man ja doch überall die gleichen Hölzer und Stoffe. Der Nachhaltigkeits-Gedanke ist also auch im Luxusyacht-Segment angekommen – vermutlich um über den Tank zu trösten, der 20.000 Liter Benzin fasst… In der Türkei gibt es wohl viele Eigner, die manche der Gästekabinen im Nachhinein umrüsten lassen, um noch mehr Platz für die Crew zu machen. Mein Kollege erzählte mir, dass üblicherweise mindestens zwei Crewmitglieder auf einen Gast kommen. Du brauchst ja schließlich einen Koch, einen Beikoch, eine Putzkraft, einen Wachgänger, einen Kapitän, einen Matrosen, und das alles drei Mal für die drei Schichten am Tag. Auf meine Frage, wieso man bei so einem geilen Boot nicht seine 20 besten Freunde stattdessen an Bord holt und selbst kocht, meinte er nur ganz trocken „wenn man sich so ein Boot leisten kann, hat man nicht 20 beste Freunde.“ Auch wieder wahr – die meisten wollen dann nur dein Geld und nur die wenigen, die genauso ein Boot haben, kannst du wirklich als Freunde zählen.
Fotos dürft ihr selbst recherchieren, googelt mal nach der SD90, die mir wirklich gut gefallen hat (aber eine oder zehn Nummern kleiner würde mir wohl auch reichen).

Aussicht beim morgendlichen Bötchen-Trip
Aussicht beim morgendlichen Bötchen-Trip

Nächstes Highlight war eine Ausfahrt auf unserem 53-Fuß-langen Flaggschiff, mit richtig Dampf unter dem Rumpf. Ganz spontan und nach Vertriebsleiters Worten „um die Bilder etwas weiblicher zu machen“ durfte ich mit rausfahren, einmal durch die Bucht, wo ein australischer Youtube-Typ mit seiner Cousine Drohnenaufnahmen für seinen Kanal machte und wo wir im Anschluss wie im James-Bond-Film von einem Helikopter verfolgt wurden, der auf wenige Meter an uns ran kam, damit die beiden Presse-Fotografen im Innern Bilder und Videos von uns machen durften. Und die ganze Zeit war ich natürlich hart am Arbeiten – mit zwei Australiern auf der großen Cockpit-Bank tratschen, das war schon richtig anstrengend ;) Ich muss aber sagen, es gibt kaum was besseres, um morgens um 10 so richtig aufgeweckt und fit auf die Messe gehen zu können, als vorher ne Runde bei 34 Knoten durchgepustet zu werden.

das neue Gesicht der Firma
das neue Gesicht der Firma

Highlight Nummer Drei folgte am nächsten Morgen, wo Kollege Henry mich mit in den Segelboothafen nahm (wir hatten dieses Jahr ein kleines Motorboot im Wasser und einen Skipper, der nur einen Anruf entfernt wartete, um uns morgens schnell überall hinzubringen) und mich dort Andrew bekannt machte und sagte „ich dachte, du bist ja gut vor der Kamera, du kannst ja das Interview mit ihm machen“. Also gab ich ganz ad hoc fünf Minuten später ein Interview für ein super großes und wichtiges amerikanisches Onlinemagazin und bin mächtig stolz aufs Ergebnis. Die vielen Präsentationen und Live-TV bei AIDA haben sich mittlerweile tausendmal ausgezahlt, wenn ich jetzt sogar als offizielles Gesicht der Firma unser neues Boot vorstellen darf – und das obwohl unser Pressesprecher eigentlich auch da gewesen wäre… Wer mal gucken und nebenher unser Bestseller-Segelboot sehen will: https://www.cruisingworld.com/sponsored-post/cruising-world-on-board-hanse-460/

unser historischer Pub mit Unterkunft
unser historischer Pub mit Unterkunft

Kaum war die Messe zu Ende (zum zweiten Jahr in Folge ohne für ein einziges Abendessen gezahlt zu haben), saß ich wieder im Flieger, aber nicht nach Hamburg wie üblich, sondern nach Frankfurt – ein kleiner Abstecher in die Heimat wurde mir gewährt, weil es innerhalb einer Woche direkt schon wieder weiter ging und die neuen Chefs es ja nicht mehr ganz so eng sehen mit Homeoffice und Remote-Arbeit. Also eine Woche Heimatluft im Süden geschnuppert, dann wieder los nach Frankfurt und ab nach Amsterdam, dort den Vertriebsleiter am Flughafen getroffen und den Weiterflug nach England erwischt – ja, es ging endlich wieder zu den Briten! Es war fast wie nach Hause kommen, als ich das große Schild „Welcome to Southampton!“ am Flughafen sah, das genauso aussah wie das am Kreuzfahrtterminal, wo ich 24 Wochen lang jeden Montag während meinem ersten AIDA-Einsatz 2016 vorbei gelaufen war.

Fußgängerzone - und Casino gleich umme Ecke von unserem Hotel
Fußgängerzone - und Casino gleich umme Ecke von unserem Hotel

Die Southampton International Boat Show findet anders als in Cannes nicht in festen Häfen statt, sondern vor der Küste, wo alle inwater-Aussteller auf schwimmenden Pontons ausstellen. Heißt also, dass nicht nur die Boote wackeln, sondern auch alle Wege zwischen den Booten. Man fühlt sich immer ein kleines bisschen seekrank – aber dafür merkt man dann den Effekt der Feierabend-Drinks am Stand unserer Händler nicht so sehr. Ich wurde zu einem Dark’n’Stormy genötigt von unserem nordirischen Händler, der es ganz toll fand, dass ich vom Irland-Urlaub berichtete als „Reise durch Irland und Nordirland“, weil doch sonst immer alle den Norden vergessen. Der eine Dark’n’Stormy war dann aber genug; wer auf die Idee kam, Rum mit Ginger Beer zu paaren, hat in meinen Augen keinen Geschmack. Die anderen Kollegen retteten mich mit Rum und Cola, wie sich das gehört. Die Händler in England sind super lieb, wir hatten bereits viel miteinander online zu tun, aber da Southampton immer direkt an Cannes anschließt, kamen sie bisher nie nach Frankreich und wir haben uns nie persönlich kennenlernen können. Ich wäre gerne länger geblieben, aber leider war es nur ein dreitägiger Abstecher. Wir schliefen in ganz urigen Zimmern über dem White Star Pub, wo drei Männer sich 1912 beim Bier verquatscht hatten und so die Abfahrt ihres Schiffes verpassten – nur um so dem schrecklichen Tod im Nordatlantik beim Titanic-Unglück zu entgehen.

ganz original, wie sich das gehört!
ganz original, wie sich das gehört!

Die Briten mag ich wirklich gern, vor allem wohl weil sie Briten sind. Einen hatte ich in Cannes 2021 kennengelernt, als er meiner Firma das Produkt seiner Firma verkaufen wollte, dieses Jahr trafen wir uns wieder und prompt lud er mich für die Woche drauf zum Fish’n’Chip-Picknick auf der Southampton-Messe ein. Das war sehr nett und ein echt britisches Erlebnis und wurde nur getoppt von der Überraschung, die unser Händlerteam für mich vorbereitet hatte. Weil ich ihnen für ihre Messe immer sehr viel Unterstützung (üblicherweise zusätzliches Budget) zukommen lasse, bedanken sich die Kollegen immer ganz überschwänglich per Mail. Irgendwann hatte ich dann mal geäußert, dass ich nicht einfach so immer Geld rüber schicken kann, ich erwarte schon mindestens eine Einladung zum original englischen Afternoon Cream Tea. Ich hatte ja irgendwie erwartet, dass sie mir einen Scone mit Clotted Cream organisieren. Aber dass es ein volles Teegedeck Scone, Gurkensandwiches und Victoria Cream Cake wurde, und mit Tee in einer super-kitschigen geblümten Teekanne, die einer der Kollegen von seiner Tante ausgeliehen hatte – damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Umso toller war die Überraschung und ich hatte eine nette Stunde im Sonnenschein am Stand und genoss alles so richtig.
Am Abend wurde ich genötigt, als Glücksbringer bei den Eskapaden von Vertriebsleiter und Händlerchef dabei zu sein, also habe ich jetzt offiziell einen Mitgliedsausweis vom Southamptoner Casino, wo ich ganz spektakulär fünf Pfund beim Roulette verlor, die mir Vertriebsleiter zum Setzen zusteckte.

Alle Bootsaussteller stellen auf Schwimmpontons aus
Alle Bootsaussteller stellen auf Schwimmpontons aus

Nach knapp drei Wochen permanent auf Achse ging es dann wieder nach Hause – wobei „nach Hause“ ja immer nicht ganz so einfach ist, wenn man in Greifswald wohnt. Am Flughafen angekommen liegen ja immer noch mindestens 3 Autostunden vor mir bis ich in Greifswald bin. Als Entschädigung gab es dann vom neuen Chef aber gleich zwei Tage frei und mit vielen Fotos im Gepäck hab ich als neues Projekt eine detaillierte Aufstellung und Auswertung bekommen, damit wir endlich die losen Enden bei unserem Cannes-Stand in Angriff nehmen können, was ich so gerne schon vor zwei Jahren gemacht hätte.
Die neue Firmenkultur-Geschichte läuft inzwischen so richtig an. Es gab noch einen Folge-Workshop, diesmal in Stettin, wo wir in leicht anderer Zusammensetzung noch etwas tiefer in die ganzen Themen einstiegen und wieder viele tolle Kontakte zu anderen Abteilungen knüpfen konnten. Der neue Chef kam dann im August in unsere Abteilung und brachte ganz viel neues Input mit, und so langsam wird mal richtig aufgeräumt in der ganzen Firma.

Für Ende des Jahres stehen noch eine kleine Messe in Berlin und die Hausmesse unsere Kollegen am Chiemsee an, und damit es nicht langweilig wird, musste natürlich die erfolgreiche Messesaison mit einem kleinen Urlaub im Oktober gefeiert werden. Alles in allem ist das Jahr also bisher schön vollgepackt gewesen und die nächsten Reisen sind schon gebucht oder mindestens im Detail geplant.

 

 

 


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