Walisisch ist eine seltsame Sprache. Es gehört zur gleichen Familie wie Bretonisch und Kornisch. Keine Ahnung, ob man in der Bretagne und in Cornwall auch nichts versteht, aber bei den Walisern gab es kaum ein Wort, was wir im gelesenen oder gehörten Zustand erkannt hätten. Manchmal sieht man Wörter, die ganz eindeutig aus dem Englischen eingewalisischt wurden, aber die richtige einheimische Sprache ist für uns völlig unverständlich geblieben.

Das fing schon am Aquädukt von Chirk an, wo ein Schild an der Grenze uns in Wales willkommen hieß mit den Worten „Croeso i Gymru“. Aussprechen tut man Wales auf Walisisch „Kemri“, so weit also so
unlogisch.
Von Birmingham aus im Zug Richtung walisischer Nordküste gab es alle Ansagen zweisprachig und das herrliche britische „See it. Say it. Sorted.“ der aktuellen Kampagne, damit Leute den Mund
aufmachen, wenn sie etwas sehen, was nicht richtig scheint, hat uns ganz besonders begeistert: „Wedi sylwi, wedi sôn, wedi'i sortio“.

Das Ziel unserer Reise war Llandudno. Das doppel-L ist ein einzelner Buchstabe (nämlich das sogenannte stimmlose frikative L, um mal ein bisschen zu klugscheißen) und taucht auch separat im
walisischen Alphabet auf, genau wie ch, dd, ff, ng, ph, rh und th – die gelten alle als einzelne Buchstaben. Llandudno spricht man natürlich nicht Llandudno aus, sondern Chlandidno oder so
ähnlich.
Nur etwa 20% der Einwohner von Wales sprechen Walisisch, aber es werden wieder immer mehr, denn seit ein paar Jahren ist es entweder Unterrichtssprache oder erste Fremdsprache in den walisischen
Schulen. Seltsamerweise liegt auf Platz drei der meisten Walisisch-Sprechenden nach Wales und England ein Tal in Argentinien…verrückt.

Wir haben tatsächlich recht wenige Leute Walisisch sprechen hören in unseren fünf Tagen dort, und das obwohl der Norden noch am meisten aktive Sprecher haben soll. Die Schilder sind aber überall zweisprachig und viele Orte haben zwei verschiedene Namen. Und manche Verkäufer in Supermärkten haben sich ganz offenbar sehr angestrengt, verständlich Englisch zu reden, wenn wir an der Reihe waren. Da waren sie dann ungefähr so gut verständlich wie die Liverpudlians oder Brummies mit stärkerem Dialekt.

Wir sahen aber auch so sehr nach Touristen aus mit unseren Rucksäcken und dicken Kameras, dass alle gleich ganz doll versucht haben, von uns verstanden zu werden. Und ich bin ja sowieso ein großer Fan der britischen Hilfsbereitschaft. .

Beim Besuch der Volieren des „Owl Trust“, wo sie Eulen aufnehmen, die verwaisten aufziehen und die verletzten aufpäppeln, damit möglichst viele von ihnen wieder zurück in die Wildnis können. Wir
hätten Stunden da verbringen können, so haben uns die Vögel begeistert. Eine kam frisch gebadet und ziemlich zerzaust für eine Foto-Session direkt an den Zaun, eine andere guckte so, als wüsste
sie ganz genau, dass wir was böses im Schilde führen.
Eine der Pflegerinnen rief uns zu sich, als wir eigentlich schon fast am Gehen waren. Sie zeigte uns den kleinen Schleiereulerich, den sie grade aufziehen und der noch ganz fusselig am Kopf ist,
weil das erwachsene Federkleid noch nicht ganz vollständig ist. Wie so viele andere auch redete sie extra langsam, damit wir alles verstehen konnten.

Eigentlich war die Sprachbarriere also eher ein klitzekleiner Sprachabsatz, wenn überhaupt. Es ist eben trotzdem ein Teil von Großbritannien und Englisch ist genauso Hauptsprache wie Walisisch.
Über die Ortsnamen konnten wir uns trotzdem ganz köstlich amüsieren.
Wir mieteten uns ein kleines Auto, damit wir flexibler sein konnten und natürlich musste dann auch ein Besuch in einem winzigen Örtchen sein, das eigentlich gar nichts wirklich zu bieten hat,
außer einen kleinen Bahnhof mit einem extrem überdimensioniert wirkenden Besucherzentrum und Busparkplatz davor. Warum? Weil dieser unscheinbare Ort den längsten Ortsnamen Europas hat:
Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch, von den Einheimischen (und auch den Verkehrsbehörden, die die Wegweiser an die Straßen setzen) kurz nur Llanfair genannt.

Übrigens ist Llanfair nicht der Ort mit dem längsten Namen der Welt, der liegt nämlich in Neuseeland, hat 85 Buchstaben und heißt Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahoronukupokaiwhenuakitanatahu, was (in Word mehr Platz als eine ganze Zeile in Schriftgröße 12 braucht und) soviel bedeutet wie "Der Ort, wo Tamatea, der Mann mit den großen Knien, der die Berge runterrutschte, bestieg und verschluckte, bekannt als 'Landfresser', seine Flöte für seine Geliebte spielte".

Da kann Llanfair mit seinen läppischen 58 Buchstaben kaum mithalten, aber das Schild am Bahnhof ist trotzdem ein touristisches Ziel geworden, weswegen jede Rundfahrt der Region hier vorbei kommt und Touristenmassen abwirft, die versuchen, den Namen auszusprechen. Damit das einfacher (aber eigentlich immer noch unmöglich) ist, steht unterhalb des Namens auf dem Bahnhofsschild die „Lautschrift“, aber vier Ls hintereinander sind für Otto Normaleuropäer halt irgendwie trotzdem nicht so richtig machbar. Wer mal hören und probieren möchte, werfe den Ortsnamen bei Youtube rein, es lohnt sich.

Der Name bedeutet so viel wie „Marienkirche in einer Mulde der weißen Haselbüsche in der Nähe eines schnellen Strudels und der Thysiliokirche bei der roten Höhle“ und irgendwo hab ich gelesen, dass ein Schneider im Ort den Namen einfach erfunden hat, weil er wollte, dass die Bahn öfters anhält und damit mehr Geschäftsmöglichkeiten in den Ort bringt. Hat offensichtlich geholfen, aber ob Leute wirklich für die großen Geschäfte nach Llanfair kommen, bezweifle ich. Wir habe nicht wirklich etwas spannendes dort gesehen neben dem coolen Bahnhofsschild und dem Mann, der kurz vor Ankunft jedes Zuges aus seinem Häuschen kommt und den Zaun von den Schienen auf die Straße schiebt, den Zug abwartet und dann den Zaun wieder von der Straße zurückschiebt auf die Schienen. Automatisierte Schranken sind voll uncool.

Llanfair ist einer von vielen kleinen Orten auf der Insel Anglesey, die direkt vor der Küste liegt und mit Brücken mit dem Festland verbunden ist. Ein Ausflug wurde uns von einigen ans Herz gelegt, also machten wir einen Ausflug nach Beaumaris, wo wir bei ordentlichem Sturm mit einem kleinen Ausflugsboot rausgebracht wurden zu einer Insel voller Vögel, vor deren Küste Robbenköpfe aus dem Wasser schauten und wo sich dann auch tatsächlich die vielleicht putzigsten aller Seevögel zeigten: Papageientaucher! Ich hatte schon mal welche gesehen auf den Orkneyinseln, aber nur von weit weg – jetzt endlich auch nah am Boot, wir bekamen sogar Landeanflüge zu sehen und einer kam von der Jagd zurück mit dem Schnabel voll frisch gefangenem Fisch.

Weiter an den äußersten Zipfel im Westen Angleseys und wir fanden einen ganz wunderbaren Spazierweg zum South Stack Leuchtturm, von wo aus man einen uneingeschränkten Blick über die Irische See
bis Dublin im Westen und zur Isle of Man im Norden hat.
Ein kleines Stück die Straße runter gab es dann endlich auch mal ein braunes Schild, das uns zu einer Sehenswürdigkeit führte, zu der man nicht ewig brauchte. Nur ein paar hundert Meter in die
wunderbar bunte Heidelandschaft reinspaziert kamen wir bei eisenzeitlichen Rundhäusern vorbei. Von denen sieht man heute nur noch die kreisrund angelegten Fundamente, aber es ist cool, sich
vorzustellen, wie die hier auf den stürmischen Klippen so lange überlebt haben.

Der erste Ort jenseits der Brücke zurück aufs Festland heißt Conwy. Von der normannischen Festung stehen heute noch die Reste, die im Laufe der Zeit mehrfach erweitert und umgebaut wurden und
heute als Conwy Castle mitten im Ort zu besuchen sind. Das sparten wir uns – bei etwa 30 Grad zog es uns ans Wasser und wir spazierten am Ufer des Conwy River entlang.
Conwy ist auch Ausgangspunkt, um von der Küste aus ins Inland in den berühmten Snowdonia Nationalpark zu gelangen. Er ist der älteste walisische Nationalpark und seit den 50er-Jahren
ausgewiesenes Schutzgebiet. Es gibt ein paar große Straßen und die A5 bekam mein bester Freund, wobei ich sonst ja lieber Landstraße als Autobahn fahre.

Die Straßen sind hier ähnlich wie sonst im ländlichen England, Schottland und Irland auch: extrem eng, teilweise einspurig, mit wunderbaren Aussichten wenn man nicht grade Angst hat aus der
Serpentine geschleudert zu werden oder einen Abhang runter zu rutschen. Gut, dass ich Erfahrung habe mit Linksverkehr, es ist schon sehr praktisch, wenigstens eine Sorge weniger zu haben, wenn
man das Mietauto abholt.
Die A5 ist im Prinzip wie eine Autobahn, die meist pro Richtung zwei Spuren hat und einmal quer durch Snowdonia führt. Aber wie es immer so ist, findet man die spannenden Dinge nicht an der
Autobahn, also wagten wir uns erst auf die kleineren A-Straßen, die immerhin durchgehend geteert und markiert sind und eine Spur pro Richtung haben. Wenn hinter dem A dann aber irgendwann vier
Ziffern kommen, oder das A gar zu einem B wird, na dann wird es richtig spannend und Simon hatte vermutlich manchmal genauso Schweißausbrüche als Beifahrer wie ich in den T-Kreuzungen, durch die
er unser Narrowboat manövriert hat.

Man würde ja meinen, je weniger Ziffern hinter dem Buchstaben stehen, desto größer ist die Straße. Funktioniert in Deutschland ja auch so. Aber nein, das wäre ja langweilig. Die sechs wichtigen A-Straßen führten ursprünglich von London aus in andere Landesteile. Wenn aber andere Straßen auf dem Weg neu gebaut oder umgelegt wurden, wurde oftmals deren Nummerierung übernommen. So kam es, dass wir eigentlich den Plan hatten, möglichst den großen Straßen auf der Karte zu folgen, Simon schaute nach den As mit wenigen Ziffern dahinter. Und dann hat man einmal eine Kurve zu spät gesehen und kommt raus auf der B5106, die in einer einspurigen Brücke über einen Bach führt, in dem man ganz hervorragend schwimmen kann – also stehen beide Brückenseiten voll mit von-der-Brücke-Hüpfenden und ihren Bewunderern, ein Auto kommt entgegen, und plötzlich kam mir unser winziges Mietauto doch gar nicht mehr so winzig vor.

Gruselig ist das manchmal auf diesen super-engen Straßen, vor allem wenn irgendwo die Markierung aufhört und man sich schon denken kann, dass über kurz oder lang die zweite Spur Geschichte sein wird. Aber irgendwie macht es ja auch den Reiz aus und wir kamen auf den winzigen B-Sträßchen an ganz wunderbaren Orten vorbei. So zum Beispiel in Trefriw, wo wir eigentlich nur kurz zum Verschnaufen anhalten wollten, dann aber einem Schild zum Wasserfall folgten. Der heißt richtig treffend „Fairy Falls“, denn man fühlt sich wirklich wie im verwunschenen und erwartet jederzeit Gnome oder Elfen im Unterholz zu entdecken.

Mit Fairies haben sie es hier, nicht allzu viel weiter, wo der Conwy River schon nur noch ein kleines Bächlein ist, gibt es Fairy Glen, ebenfalls einen wunderbaren Wasserfall. Dort war es bei der krassen Hitze auch einfach am schönsten. Bei den Conwy Falls konnten wir sogar mit den Füßen ins Wasser. Die richtige Abkühlung kam dann aber ganz unverhofft an den Cwmorthin-Fällen. Die Straße wurde immer kleiner, aber nette Touristen sagten uns „Jaja, immer weiter hoch, da kommt ein Parkplatz“. Wir glaubten ihnen nicht, hielten auf halber Strecke den Berg rauf und gingen das letzte Stück zu Fuß. Die Landschaft ändert sich schlagartig. Wo zuvor alles grün und weit und sanft hügelig war, türmen sich plötzlich dunkelgraue Hügel auf. Hier war früher ein wichtiges Schiefergebiet und heute sieht man noch die Reste, die aussehen, als wäre jemand vorbei gekommen und hätte absichtlich das Moos so dekorativ auf die Schieferplatten am Wegesrand drapiert.

Obwohl wir gar nicht so unendlich viel Strecke machten, gab es landschaftlich unglaublich viel zu sehen in Snowdonia und man könnte sicherlich mehrere Wochen hier verbringen, ohne dass einem
langweilig wird.
Wir hatten aber ja nur ein paar Tage, also wollte alles gut geplant sein. Ein Besuch in der Whisky-Destillerie musste auf jeden Fall noch sein, also machten wir uns (diesmal natürlich ohne Auto)
auf zum kleinen und recht jungen Werk von Aber Falls, wo wir aus ganzen acht Flaschen was zu probieren bekamen, und nebenbei noch eine schöne Baileys-Alternative mit Pistazie kennenlernten. Ich
bin ja eher Rum- als Whiskytrinker, aber da waren schon ein paar feine Sachen dabei.

Und noch was cooles erlebte ich am letzten Tag unserer Reise. Simon setzte ich im Café im Ort ab und dann kämpfte ich mich durch Sturzbäche an Regen und üblen Sturm (was uns die zweieinhalb
Wochen vorher erspart geblieben war) nochmal entlang des Conwy River in ein winziges Kaff direkt am Wasser, wo eine kleine Firma Meersalzprodukte herstellt. In der Produktion nutzen sie fürs
Aroma ihrer Gewürzmischungen unter anderem Seetang verwenden. Also haben sie sich acht ausgediente Whiskyfässer auf ihre Wiese gestellt, in denen man sich jetzt ein 45-Minuten-Bad in Algen buchen
kann.
Wenn es einem am Kopf eisig kalt um die Ohren pfeift, sitzt man bis zum Kinn in 40 Grad warmem Wasser, in den ein Eimer mit frischen Meeresalgen gekippt wird. Die machen ein ganz herrliches
Peeling und das Öl in den Blättern macht die Haut ganz weich. Aussicht gibt es zur Genüge über die aufgepeitschten Ufer des Conwy und hinüber zu den sanften Hügeln am anderen Ufer. Perfektes
Beispiel von diversifiziertem Angebotsportfolio würde ich sagen.
Es war der perfekte Abschluss eines rundum gelungenen Urlaubs und so machten wir uns zurück ins beinah ebenso graue und verregnete Hamburg – wo ich direkt dachte „Ach, ein bisschen britisches Wetter wäre jetzt schön“.
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