Frühstück mitten in der Nacht

Vor inzwischen knapp 8 Jahren war ich fasziniert vom Polartag, der Jahreszeit, die im Norden sechs Monate anhält und wo die Sonne nie so richtig untergeht und es nie so richtig dunkel wird. Es wurde also Zeit, auch mal die andere Seite der Medaille anzuschauen. Das ist die sogenannte Polarnacht, wo die Sonne eben nie so richtig aufgeht. Je nach dem, wo genau man sich aufhält, ist die Polarnacht länger oder kürzer: direkt am Polarkreis dauert sie nur einen Tag, an den Polen fast sechs Monate.

Trondheim
Trondheim

Wir wollten uns das nicht ganz so lang zumuten, also haben wir es nur mal schnell ausprobiert. Bevor wir aber in die Nähe des Polarkreises kamen, war noch ein Landgang angesagt in Trondheim. Als drittgrößte Stadt Norwegens hat sie auch einiges zu bieten, aber soo viel Zeit hatten wir dann doch auch wieder nicht. Die paar Stunden an Land haben gereicht für einen Julemarked-Bummel (das muss halt einfach sein, wenn man kurz vor Weihnachten unterwegs ist) und einen Spaziergang um den Nidaros-Dom, der norwegisches Nationalheiligtum und eine der wichtigsten Kirchen des Landes ist. Aber das eigentliche Highlight Trondheims ist die Nidelva, der Fluss, der mitten durch die Stadt fließt und an dem sich alte Speicherhäuser aneinanderreihen, die alle aus Holz und bunt gestrichen sind.

Gamle Bybroen in Trondheim
Gamle Bybroen in Trondheim

Gamle Bybroen heißt die alte Brücke, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Zentrum mit einem der Stadtteile verbindet. Wie in ganz vielen Städten an der norwegischen Küste, wurden die Grenzen immer weiter gezogen, dass sich das Stadtgebiet irgendwann über mehrere Inseln erstreckte. So auch in Trondheim: am anderen Flussufer liegt ein ganz putziges Viertel mit alten Holzhäuschen und Kopfsteinpflasterstraßen.

Auf dem Rückweg Richtung Hafen kamen wir auch am Stiftsgården vorbei, einem schicken gelben Stadtpalast aus Holz, der seit mehr als hundert Jahren offizielle Residenz des norwegischen Königs ist.

Versammeln auf dem Oberdeck für interessante Erklärungen
Versammeln auf dem Oberdeck für interessante Erklärungen

Insgesamt wäre Trondheim sicher auch einen längeren Aufenthalt wert. Aber wir mussten ja nun mal weiter gen Norden. Kurz nach dem Ablegen passierten wir eine kleine Insel mitten im Sund, dort stand mal ein Kloster, dann ein Munitionslager, irgendwann auch mal ein Gefängnis. Immer, wenn man an solchen “Points of Interest” vorbei kommt während der Hurtigruten-Reise, gibt es eine Durchsage. Dann hat man eine Viertelstunde Zeit, sich anzutüddeln und raus aufs Oberdeck zu stürmen. Dort gibt es dann eine kleine Erklärung zu dem, was man sieht. Fast alle Vorträge an Bord wurden vom Coastal Expedition Team gehalten, das ist die Hurtigruten-Entsprechung zu meinem alten Job bei AIDA. Da es aber nur etwa 600 Gäste an Bord gibt, ist die Crew auch sehr viel kleiner. Irgendwo hab ich gelesen, dass es nur 39 sind auf der MS Polarlys. Kein Wunder also, dass wir dauernd die gleichen Gesichter gesehen haben.

Königskrabbe
Königskrabbe

Die beiden Deutschen aus dem Expeditions-Team haben uns an Deck über die Points of Interest erzählt, im Konferenzraum über norwegische Musik referiert und uns erklärt, wie man das Nordlicht am besten fotografiert. Mit Hilfe des Hotelmanagers persönlich (bei AIDA war das der Ober-Boss von allen gästerelevanten Aktivitäten an Bord) wurden uns interessante Dinge über die Königskrabben erzählt, die an Bord gehalten und an zwei oder drei Abenden während der Reise als Delikatesse im Spezialitätenrestaurant angeboten werden. Wenn so etwas ansteht, kommt eine Durchsage und man versammelt sich irgendwo, im Königskrabben-Fall im Restaurant neben dem Königskrabben-Aquarium. Weil das sehr eng und unschön aussah, wurde uns erklärt, dass die Königskrabben hier noch extra viel Platz haben, denn in der Wildnis leben die auf so winzigen Räumen zusammen, dass sie teilweise zu fünft übereinander hocken. 

was man halt so macht, um die Touristen in der Polarnacht zu beschäftigen: man organisiert einen Lebkuchenherz-Verschönerungs-Contest
was man halt so macht, um die Touristen in der Polarnacht zu beschäftigen: man organisiert einen Lebkuchenherz-Verschönerungs-Contest

Das sind faszinierende Viecher, auch wenn sie schon bissl gruselig sind, wenn sie vom Hotelmanager vor deiner Nase rumgewedelt werden. Wenn die Beine komplett ausgestreckt sind, kann ein Tier eine Spannweite von fast zwei Metern haben. Essen tun sie praktisch alles, was ihnen unterkommt, auch sich gegenseitig wenn es sein muss – vielleicht leben sie deswegen so nah beieinander. So eine Krabbe kann bis zu 30 Jahre alt werden und Weibchen können in ihrem Leben bis zu 10.000 Nachkommen haben. Damit der natürliche Bestand nicht leidet, gibt es Gesetze, zum Beispiel dürfen nur ausgewachsene männliche Tiere gefangen und vermarktet werden. Jede Krabbe, die verkauft wird, bekommt eine kleine Marke an den Panzer, worauf durch eine Zahlenkombination ersichtlich wird, woher sie kommt. 

nächtliche Aussicht von unserem Bullauge aus
nächtliche Aussicht von unserem Bullauge aus

Probieren durften wir nichts vom Krabbenfleisch, das ist einfach zu teuer. Aber auch so war die Info-Session echt interessant – und die Krabben-Abende im Restaurant sind schon vor Beginn jeder Reise so gut wie ausgebucht, weil so viele Touristen das unbedingt probieren wollen.

Wir haben stattdessen sonst mitgenommen, was wir kriegen konnten. Zum Beispiel gab es auch eine Info- und Probier-Runde mit Fiske-Kaker (also Fischküchlein), einem speziellen luftgetrockneten Schinken und Miesmuscheln – da bekam Julia den Großteil unseres Bechers, Muscheln sind echt nicht so meins.

endlich Norden - endlich Schnee!
endlich Norden - endlich Schnee!

Alkohol trinken die Norweger auch gern, aber den gab es immer nur gegen Geld zum Probieren. Norwegen hat sehr strenge Gesetze, wenn es um Sprit geht, und so darf niemals und nirgends Alkohol umsonst ausgeschenkt werden. In Schweden auf einer Messe im November hab ich was ähnliches gesehen: da mussten Besucher für 10 € eine Stempelkarte kaufen, dafür haben sie ein Glas bekommen, mit dem sie dann über die Messe sind und an jedem Stand konnten sie sich einen Probierschluck abholen, der dann auf der Karte abgezeichnet wurde. So gewährleistet man, dass niemand zu viel trinkt und niemand doppelt an einen Stand kommt.
Immerhin einen Schnaps haben wir umsonst bekommen, den hat man sich aber auch redlich verdient nach der Polarkreis-Taufe. Bei 66 Grad und 33 Minuten nördlicher Breite verläuft eine unsichtbare Linie über den Globus und wenn man die überfährt, ist man offiziell über dem Polarkreis.

Polarkreis-Taufe
Polarkreis-Taufe

Weil das für die meisten an Bord so was besonderes ist, habe ich einfach mal spontan verdrängt, dass ich den Spaß schon mindestens fünf mal mitgemacht habe. Im Winter ist das ganze aber doch nochmal aufregender. Dann kommt nämlich der nordische Meeresgott Njord an Bord. Für ihn müssen sich alle an Bord taufen lassen, damit Njord die See und den Wind beruhigen kann und das Polarlicht an den Himmel zu schicken. Zur Taufzeremonie findet sich der Großteil der Passagiere auf dem Außendeck ein, da steht dann schon ein riesiger Bottich bereit. Dann wird man der Reihe nach auf einen Stuhl gesetzt und bekommt eine Kelle voll Eiswasser inklusive Eiswürfeln den Nacken runter gekippt. Wir waren bis auf die Unterhosen nass und als Julia in der Dusche ihre Jacke ausschüttelte, kamen ein gutes Dutzend Eiswürfel rausgepurzelt. Gut, dass wir es nicht weit zu unserer warmen Kabine hatten.

MS Polarlys im Schneesturm in Bodø
MS Polarlys im Schneesturm in Bodø

Wenn man einmal über den Polarkreis rüber ist, merkt man doch auch ziemlich schnell, dass Polarnacht ist. Richtig hell wird es nicht mehr – und das nicht nur wegen dem andauernden Regen, der sich dann irgendwann zu Schnee wandelt. Wo es in Trondheim noch leicht genieselt hatte, begrüßte uns beim Landgang in Bodø eine weiße Schneedecke im Hafen. Statt der “faszinierenden Straßenkunst”, die uns die Hurtigruten-Website versprochen hatte, sahen wir eigentlich gar nichts, denn wir gerieten in einen richtigen Schneesturm und konnten uns nach anderthalb Stunden nur noch mit den Kapuzen bis zum Kinn runtergezogen zum Schiff zurück kämpfen.

Flauscheschnee in Svolvær
Flauscheschnee in Svolvær

Am letzten Tag an Bord gab es dann den ersten Moment, wo wir die volle Bedeutung von Polarnacht” begriffen: um halb 9 morgens beim Frühstück schauten wir aus dem Fenster und draußen herrschte pechschwarze Nacht. Der Mond stand den ganzen Vormittag ganz niedrig am Himmel und erst gegen 10 rum herrschte so etwas wie Morgendämmerung, die dann irgendwann zur Abenddämmerung wurde ohne nennenswerte Unterschiede dazwischen. Und ab frühem Nachmittag war es wieder mehr oder weniger dunkel. Nach einem sehr schaukeligen Tag an Bord legte sich immerhin der Schneesturm wieder genug, dass wir die 70 Minuten Landgang in Svolvær für einen ganz schnellen Spaziergang in die Stadt nutzen konnten, wo so spät abends zwar schon alles geschlossen war, aber der große Marktplatz und sein gigantischer Weihnachtsbaum noch wunderbar beleuchtet waren.

weihnachtliche Stimmung in Bodø
weihnachtliche Stimmung in Bodø

Und dann war es nachts tatsächlich soweit: kurz nachdem wir uns zum Schlafen fertig gemacht hatten, kam die lang ersehnte Durchsage durch das Kabinen-Telefon, wir hüpften im Schlafanzug in die Skihosen und sprinteten aufs Außendeck, wo sich ein klitzekleines bisschen Aurora am Himmel zeigte. Für uns Nordlicht-Erfahrene war es zwar wirklich unspektakulär, wenn man mit bloßem Auge so gar nichts sieht, aber wenigstens auf dem sehr unscharfen Foto kann man ein bisschen grün am Himmel erkennen. Schade, denn starke Nordlichter von See aus hatte ich mir richtig toll vorgestellt, wenn außen rum alles dunkel ist.

 

 

Aber wir waren ja noch nicht am Ende unserer Reise angelangt. Am nächsten Tag legten wir in Tromsø an, mit über 69 Grad nördlicher Breite weit genug über dem Polarkreis, dass wir frohen Mutes waren, hier  doch noch unser Glück mit dem Nachthimmel zu haben.

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Michael aus Fulda (Donnerstag, 06 Februar 2025 18:06)

    In diesem Bericht erwähnst Du die Königskrabbe und schilderst, dass es an Bord ein Königskrabben-Aquarium gibt und sie im Restaurant zum Verzehr angeboten wird.
    Hat man Euch nicht gesagt, dass sie nach Norwegen eingewandert ist? Sie kommt ursprünglich im Nordpazifik von Japan bis Alaska vor und heißt daher auch Kamtschatkakrabbe. Die Sowjets haben sie unter Stalin und Chruschtschow zur Verbesserung der Versorgungslage in der Barentssee nahe Murmansk ausgesetzt, wo sie sich plangemäß stark vermehrte. Bis heute ist sie bis zu den Lofoten (Norwegen) vorgedrungen und wird zuweilen als „Stalinkrabbe“ verunglimpft. Vor einigen Jahren habe ich im hiesigen Feinkostgeschäft ein Glas mit Königskrabbenfleisch gesehen, aber ich habe es nicht probiert und kann nichts über den Geschmack sagen.