Deutschland-Tour: Ziel Köln

Am Freitag früh radelte ich eine elendslange Straße entlang bis zum Kölner Hauptbahnhof, deponierte Packtaschen und Schlafsack im terrorsicheren unterirdischen Schließfach und traf auf dem Domvorplatz Angehörige der älteren Generation Aussie-Bekanntschaften.

Aussicht
Aussicht

Polly und Cindy, bekannt aus meinem ersten Blog von 2009, kamen extra weil ich da war auf eine lustige Aussie-Reunion für einen Tag nach Köln. Erst ging’s am Rathaus lecker Rührei mit Speck frühstücken, dann wanderten wir über die Rheinbrücke nach Deutz Richtung Messe und fuhren auf Andis Empfehlung hin auf die Panorama-Aussichtsplattform des Turmes, in dem die Kölner Castings für Deutschland-sucht-den-Superstar stattfinden (was uns natürlich relativ wurscht war – wir kamen ja der Aussicht wegen). Da hat man einen tollen Blick auf die Innenstadt und das Kölner Umland – und, wie Andi so schön sagte: „wenn man stattdessen auf den Dom steigt, sieht man ja den Dom nicht.“ Weise Worte und der Weg in die 28. Etage war im superschnellen Aufzug auch sicherlich sehr viel unbeschwerlicher als eine Dombesteigung. Dank strahlendem Sonnenschein und dementsprechend klarer Sicht hat sich der kleine Ausflug auf jeden Fall gelohnt.

mehr und weniger gigantische Grabstätten
mehr und weniger gigantische Grabstätten

Für den Nachmittag hatte uns Cindy was cooles organisiert: Wir sind die Aachener Straße runtergeschlappt, haben uns dort mit einem Original-Kölner namens Manfred am Eingang des Melaten-Friedhofs getroffen und sind dann mit ihm und zwei weiteren interessierten Damen knapp zwei Stunden lang über den gigantischen Friedhof geschlendert während er uns viele, viele Geschichten über berühmte Tote und noch-nicht-ganz-Tote der Stadt erzählte. Der Friedhof an sich ist schon sehr beeindruckend und einfach riiiesig.

Der Name des heutigen Hauptfriedhofs von Köln „Melaten“ kommt vom alten Wort für krank, malad. Im Mittelalter (so um 1500 rum) war auf dem Gelände ein Ort, wo öffentliche Hinrichtungen stattfanden. Ich hab mal gegoogelt und das war wohl wirklich was richtig großes: Es gab eine Art Tribüne, von wo aus das Volk zuschauen konnte; drei Galgen standen auf dem Platz; eine Kuhle im Boden diente für jene, die zum Tod durch Verbrennen verurteilt worden waren; und es gab genügend Platz für Enthauptungen und das Rädern. Die letzte Hinrichtung fand dort erst 1797 statt!

riesige Familiengräber auf dem Melaten-Friedhof
riesige Familiengräber auf dem Melaten-Friedhof

Ebenfalls auf dem Gelände war ab dem 12. Jahrhundert die Kolonie der Leprakranken, wo alle Kranken abgeschottet von der Innenstadt lebten und versorgt wurden. Die durften nur ab und zu mal in die Stadt zum Betteln (arbeiten konnten die ja nicht), dann wurde mit Schellen geklappert, damit sich die Bewohner in ihre Häuser zurückziehen konnten. Sie ließen für die Kranken Essen auf ihren Schwellen stehen, aber wollten natürlich nicht mit ihnen in Kontakt kommen.

Schließlich wurde das Gelände zum Friedhof umfunktioniert. Wieso? Die Städter wollten immer so nah wie möglich an den Kirchen beerdigt werden, damit die Heiligen sie bemerkten, ein gutes Wort beim lieben Gott für sie einlegten und sie so vor dem Fegefeuer schützten. Die Reichen (von denen es in Köln als großem Handelszentrum ja genug gab) zahlten viel Geld, um direkt unter ihrer Kirche beigesetzt zu werden.
Mit den Jahrzehnten wurden das natürlich immer mehr Begrabene und unter den Kirchen wurde es reichlich eng. Die Toten lagen ja dann irgendwann praktisch bis direkt unter den Kirchenboden „gestapelt“. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde beschlossen, dass dem Verwesungsgeruch, der begonnen hatte, durch die Bodenplatten nach oben zu ziehen, ein Ende gesetzt werden musste. Half ja niemandem, dass regelmäßig die Kirchgänger vor Übelkeit umkippten und als nicht mal mehr vermehrter Weihrauch-Einsatz was half, musste eben gehandelt werden. Der Stadt blieb also eigentlich nichts anderes übrig, als die Toten auszulagern.

So entstand also 1810 der nun größte Friedhof Kölns, wurde ab 1829 auch für Nicht-Katholiken zugänglich und wir durften ihn besichtigen. Manfred ist ein Privatmensch, der die Führungen selbst organisiert, einfach weil er den Friedhof faszinierend findet und viel drüber weiß. Es gibt keinen Preis für die Führung, man zahlt zum Schluss soviel, wie die Tour einem wert war (wahrscheinlich bekommt er so mehr, als wenn er die Tour gleich für 10 Euro oder mehr anbieten würde). Obwohl wir Mädels zu jung waren, um die meisten der Berühmtheiten, die dort liegen, einordnen zu können, war die Führung trotzdem total toll und höchst interessant. Nach der Hitze und dem brennenden Sonnenschein in der City war es auf dem Friedhof schön kühl, also konnten wir das richtig schön genießen dort.

Auf dem Melatengelände liegen Kölner Berühmtheiten wie beispielsweise die Familie Farina, das sind die Erfinder des originalen Kölnisch Wassers, und die Mutter vom Klosterfrau Melissengeist. Ganz viele Schauspieler liegen auf dem Friedhof begraben, ganz viele hauptsächlich bekannt durch ihre Rollen bei Fernsehserien, für die wir wohl zu jung sind, aber auch manche aus Edgar Wallace-Filmen und einen kannten wir dann doch: Ganz unauffällig unter dem ältesten Baum des Friedhofs liegt unter einem Hollywood-Stern, Blumen und Kuscheltieren Dirk Bach.

Dom
Dom

Manfred erzählte uns also allerhand interessante Geschichten über die ganzen Leute, die hier begraben liegen und außerdem verriet er uns, dass es sogar noch freie Grabplätze gibt. So einen bekommt man, wenn man eine sogenannte Patenschaft für ein Grab übernimmt. Wenn also von einem historisch oder kulturell besonders wertvollen oder sogar denkmalgeschützten Grab bzw. dem, was drauf gebaut ist, das Nutzungsrecht ausläuft, fällt das an die Stadt Köln zurück. Die hat natürlich kein Geld, um sich um uralte Gräber zu kümmern, die immer neu zu bepflanzen, die Statuen und Grabsteine säubern zu lassen, etc. Also kann man eine Patenschaft übernehmen, sich also für ein spezielles Grab nützlich machen und sich drum kümmern, dass das immer schön aussieht und nicht verfällt. Als Dank gibt es dafür eine Urkunde und – viel wichtiger – das Recht, hier beerdigt werden zu können.

Besonders spannend fanden Cindy, Polly und ich allerdings gar nicht die großen Namen, sondern zum Beispiel ein ganz kleines Grab, wo einer liegt, der die meiste Zeit seines Lebens in einer Kneipe am Ort verbrachte und dort immer gern am Ofen saß, dann starb er 1874 weil er zu viel gesoffen hat und weil sein Grab so unauffällig war, hat der Wirt seinen Ofen ausgebaut und auf sein Grab montieren lassen, total niedlich irgendwie. Außerdem sehr faszinierend: Die gigantischen Familiengräber, die teilweise über hundert Jahre zurück gehen und immer noch Neuzugänge in den letzten Jahren bekam – alle mit dem gleichen Namen. Bei der Kölnisch-Wasser-Familie heißt der Gründer Johann Maria Farina und auf der gesamten Grabstätte heißt so ziemlich jeder einzelne der Männer genauso; es gibt da etwa ein Dutzend Grabsteine für jeweils einen anderen J. M. Farina…irgendwie ja auch langweilig.

auch was edles: Familiengruft mit Glasdach und riesigem TV-anmutenden Wandkunstwerk
auch was edles: Familiengruft mit Glasdach und riesigem TV-anmutenden Wandkunstwerk

Weil der Friedhof was ziemlich besonderes ist (immerhin Zentralfriedhof Kölns) liegen hier ziemlich viele reiche Leute und dementsprechend groß und protzig sind die Grabanlagen. Teilweise gibt es eine Art kleine Tempel mit einer Tür, was dann aussieht wie ein Mausoleum; manchmal ist es eher wie ein hübsch angelegter Garten mit Wegen und Grabsteinen und außenrum ein steinerner Zaun mit gusseisernem Tor. Für eine Zigeuner-Königin wurde eine Sondergenehmigung erteilt, weil ihr Grab (für eine einzelne Person) so gigantisch ist. Das sieht aus wie eine kleine Kapelle, komplett mit kirchlich anmutenden Fenstern und Regenrinnen. Manfred zeigte uns was lustiges: Hinter dem Grabgebäude kann man zwischen den Hecken ein Rohr mit lose aufgelegtem Deckel sehen. Das steckt da einfach so im Boden, doch in Wahrheit ist es von sehr großer Bedeutung für die Zigeuner. In deren Kultur wird nämlich geglaubt, dass die Seele eines Toten an Tagen, wo gefeiert wird, mitfeiern will und daher ja einen Ausgang aus dem Grab braucht, auch wenn die Tür zu ist. Daher gibt es wohl in ganz Europa hinter Zigeunergräbern diese „Seelenrohre“.

Manche Gräber sind eher angelegt wie eine große Platte oder eine Wiese, mit Steinmäuerchen begrenzt, aber keine Grabsteine in Sicht. Diese Familien haben Grüfte darunter anlegen lassen. Ziemlich gruselig, wenn man dann da so eine Art Falltür horizontal im Boden sieht und drüber nachdenkt, was dahinter so alles sein mag. Oder noch schlimmer, wenn man die Tür nicht sieht, sondern die Grabeinfassung, aus der sich eine Platte sehr offensichtlich herausnehmen oder wegklappen lässt…

Ein Herr – zufälligerweise genau der, der das lustige Saturn-Fenster im Dom gesponsort hat – hat das Grab für sich und seine Frau schon in den 80ern anlegen lassen, obwohl die beiden sich bis dato noch bester Gesundheit erfreuen. Auch seltsam, aber naja…

Jedenfalls hat der Saturn-Gründer sich einen riesigen Grabplatz gesucht (jedenfalls viel größer als das zwei tote Menschen so viel Platz bräuchten) und hat drunter eine Gruft anlegen lassen. Dadrauf liegt eine dicke Glasplatte, durch die man auf die marmorne „Ausstattung“ des Gruft-Vorraums schauen kann, einen kleinen Altar und superschön verzierte Wände. Dafür, dass es unter der Erde ist, eigentlich ganz nett. Man erzählt sich, dass unter der Glasplatte LEDs angebracht sind, die per Lichtsensor bei Einbruch der Dunkelheit den Raum ausleuchten. Ein gigantisches Mosaik schmückt das Grab oberirdisch. Die Form und das leicht verpixelt wirkende religiöse Bild könnte als riesiger Flachbildfernseher erkannt werden…ob das so gewollt war, sei dahingestellt.

Zwei Stunden mit Manfred auf dem Friedhof vergingen wie im Flug, sodass wir dann mit wehen Füßen nachmittags wieder in die Stadt fuhren. Diesmal mit einer Straßenbahn, die ganz offensichtlich etwas dagegen hatte, dass wir uns Fahrscheine kauften. Erst gab es an der Haltestelle keinen Automaten. Dann wollte der Ladenbesitzer uns für den nur-Münzen-schluckenden Automat in der Bahn kein Geld wechseln. Dann war der Bahn-Automat kaputt. Naja, versucht hatten wir es.
Nach den Kölner Geschichten, der ganzen Kultur und dem bisschen Spuk auf dem Melatenfriedhof ging es also entspannt in die Eisdiele, wo wir den Nachmittag ganz entspannt ausklingen ließen.

Ganz so entspannt ging es für mich leider nicht weiter (wär‘ ja auch zu schön und viel zu untypisch gewesen), denn als ich mir am Bahnhof meine Fahrkarte für den Zug nach Hause kaufen wollte, gab es am Automaten keine Möglichkeit, eine Radkarte zu reservieren. Der Abstecher zum Reisezentrum ergab: „Nö, Fahrradkarten gibt’s nur bis einen Tag vor der Abfahrt.“ Äh…was? Manchmal kommt mir die Bahn schon echt ziemlich dumm vor.
Also kaufte ich eben nur meine eigene Karte und wartete den Zug ab, der mit einer halben Stunde Verspätung in Köln ankam, und entschied spontan, dass wohl noch Platz für mein Radel sein würde. Hat dann auch alles geklappt. Aber schön blöd, die Bahn. Die hätten nochmal schön Geld machen können, wenn ich ne Radkarte hätt‘ kaufen können. So durfte ich jetzt dank dem netten Schaffner, der beschloss, dass niemand meinen Platz brauchen würde und ich umsonst mein Rad da stehen lassen durfte. Glücklicherweise ist ja auf die Bahn Verlass und die S-Bahn in Heidelberg hatte auch genug Verspätung, dass ich den perfekten Anschluss hatte und dann doch glücklich und erschöpft um halb 11 abends zu Hause war.

Uff…die Woche war doch anstrengender als gedacht. Kalter Gegenwind, wenig hilfsbereite Menschen und dösbaddelige Radweg-Konzipierer machen es einem nicht ganz leicht. Obwohl ich mehr Zug gefahren bin als ich wollte, habe ich die 400 Kilometer geschafft, die ich mir vorgenommen hatte und so war es alles in allem doch eine gelungene Radtour. Danke nochmal an alle meine lieben Gastgeber, von denen mich jeder einzelne wie einen VIP behandelt hat!

Tachostand am Ziel: 436km

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