Der Janis-Effekt

Wer an Bord kommt, lernt ziemlich schnell mit allen irgendwie klar zu kommen. Es gibt immer Leute, die man nicht so abkann, aber man arrangiert sich, denn weg kann man ja eh nicht. Arbeit und Zeit und Freundschaft bekommen eine ganz neue Bedeutung auf so einem Schiff.

Marsaxlokk, Malta
Marsaxlokk, Malta

 

Wenn ich an Bord komme, werde ich Teil eines Teams, das im Idealfall aus einer guten Mischung aus alten Hasen und Neulingen besteht. Dann hat man ein paar, die über alles Bescheid wissen, und ein paar, die noch super motiviert sind. Wenn ein Team allzu lang in der gleichen Besetzung zusammen ist, kann es echt anstrengend werden. Komisch, denn an Land ist ein richtig gut eingespieltes Team doch das, was alle gerne wollen. Aber an und an mal frischer Wind ist ja bekanntlich auch da wichtig. Bei uns kommt der frische Wind eben einfach öfters, in einem viermonatigen Einsatz üblicherweise so zehn Mal im eigenen Team. In meinem ersten Einsatz auf der Prima hab ich insgesamt um die 50 Kollegen in meinem 17-köpfigen Team miterlebt. Auf Luna und Bella hatte ich viel Glück, denn ich bin den Großteil beider Einsätze mit je demselben Team gefahren und es war ein sehr „eingefahrenes“ Team. Wir kannten uns und mochten uns, wir konnten uns komplett aufeinander verlassen. Wenn dann jemand neues kommt, ist es erstmal immer komisch und alle finden das blöd. Aber sobald der Neue mal ein paar Tage da ist, kann man sich schon gar nicht mehr vorstellen wie es ohne ihn war. Und es gibt eben immer den Kollegen, der nach drei Monaten keinen Bock mehr hat und bei dem sich dann jeder freut, wenn er endlich geht, damit wieder jemand motiviertes nachrücken kann.

St Peter's Pool, Malta
St Peter's Pool, Malta

Bei uns verändert sich dauernd die Team-Zusammensetzung. Wenn es im eigenen Team keine große Veränderung gibt, dann in den anderen Abteilungen. Man trifft wöchentlich jemand neuen in der Messe oder in der Crewbar und innerhalb von zwei Tagen weiß man schon nicht mehr, wie neu er wirklich ist. Bei den Erstfahrern vergisst man manchmal, dass sie noch nie gefahren sind, bis sie dann mit genau denselben dummen Fragen ankommen, die jeder selbst im ersten Einsatz gestellt hat. Und andersrum geht es natürlich genauso mit den Vielfahrern, die nichts drauf haben, aber irgendwie trotzdem überzeugt sind, dass es der richtige Job für sie ist. Nach zwei bis drei Tagen kann man recht gut abschätzen, wie so ein Neuaufsteiger drauf ist und ob er gut ins Team passt. Wenn ich drüber nachdenke, ist es schwierig zu verstehen, aber manchmal machen genau diese zwei oder drei Tage den Unterschied aus zwischen Kollege und Freund.

Hafen Valletta, Malta
Hafen Valletta, Malta

Weil wir permanent aufeinander hocken, lernen wir unsere Kollegen im eigenen Team ganz anders und intensiver kennen als das früher in der Schule oder im Studium war. Nach spätestens zwei Tagen weiß ich, mit wem ich gerne meine Schalterzeiten teile, wen ich während dem Essen nicht abkann, wer mein erstes Anlaufziel sein wird für Party-boykottieren-und-stattdessen-Kniffeln und wer die neue Lieblingskollegin wird. Nach spätestens zwei Tagen weiß ich auch, ob es eine angenehme Zeit mit der Mitbewohnerin wird oder ob ich vielleicht die unterste Schicht im Koffer lasse, damit ich schneller packen kann, wenn ich bald ausziehen will.
Das Verständnis für Zeit und Tage geht einem völlig verloren. Nach der allerersten Woche an Bord hört man auf, sich für das Datum zu interessieren. Kaum eine Frage kann uns am Schalter so aus dem Konzept bringen wie „Entschuldigung, den wievielten haben wir denn morgen?“ Dann müssen wir erstmal im Buchungssystem nachschauen, denn bei sich wiederholenden Routen wissen wir vielleicht noch den Wochentag, aber das Datum brauchen wir einfach nie. Die Antwort, die uns am leichtesten über die Lippen gehen würde, wäre „Morgen ist Rom.“

Auslaufen aus Valletta
Auslaufen aus Valletta

Im ersten Einsatz ist man noch überzeugt, dass sechs Monate an Bord ewig dauern werden. Wenn man aber kein ganz unsozialer Mensch ist, merkt man eigentlich gar nicht, wie die erste Zeit rumgeht und plötzlich sagt jemand „Wow, jetzt bist du auch schon vier Wochen bei uns“. Im ersten Einsatz ist man auch noch überzeugt, mit ganz vielen in Kontakt zu bleiben, aber tatsächlich ist es nur ein winzig kleiner Teil derer, die man an Bord kannte, die man wirklich nochmal wieder sieht. Von den wenigsten hört man nach der gemeinsamen Zeit an Bord noch regelmäßig, aber mit diesen wenigen ist es dann meist eine sehr enge Freundschaft, die einen verbindet. Und erst wenn man drüber nachdenkt, fällt einem wieder ein „Mensch, eigentlich waren wir nur zwei Wochen zusammen an Bord!“ Aber manchmal reicht eben auch das, um jemanden so richtig ins Herz zu schließen, weil wir das gleiche erleben und einfach nicht anders können, als uns die Rosinen unter den Kollegen rauszupicken. Jeder von uns weiß, dass er eingeht, wenn er nicht offen ist für neue Leute. Und jeder von uns weiß auch, dass man nach dem Abstieg selbst genauso ersetzt werden wird, wie die Kollegen ersetzt wurden, die vor uns gegangen sind. Das hört sich vielleicht nicht sehr nett an, aber egal, wie sehr man sich mit jemandem verstanden hat, meist vergisst man ihn dann doch recht schnell wieder.

Kreidefelsen an Maltas Küste
Kreidefelsen an Maltas Küste

Ganz oft sind es tatsächlich die Kollegen, wo der Kontakt sofort aufgehört hat, mit denen man sich dann doch wieder ganz hervorragend versteht, wenn man sich zufällig mal wieder sieht – und zufällig mal wieder sehen passiert bei uns natürlich dauernd. Am Sonntag stand plötzlich Meli in Kiel im Terminal, mit der ich vier Monate auf der Luna war und zwei Monate davon meine Kabine geteilt habe. Ganz spontan war auch noch eine Kabine an Bord frei und sie durfte eine Woche Urlaub bei uns machen. Und obwohl wir seit gut einem Jahr keinen Kontakt mehr hatten, war es, als wären wir grade letzte Woche noch Cabinmates gewesen. Das schöne an unseren ehemaligen Kollegen ist, dass sie ja genau wissen wie es ist, und es nimmt einem auch keiner übel, wenn man sich nie wieder meldet. Umso überraschender ist es ja schließlich auch, wenn man sich zufällig auf dem nächsten Schiff wiedersieht und grade wenn man dachte, man kennt niemanden, taucht plötzlich doch ein bekanntes Gesicht in der Menge auf.

Marsaxlokk, Malta
Marsaxlokk, Malta

Janis ist so einer. Der ist Gastgeber, also das, was man aus den Ferienclubs dieser Welt als Animateur kennt, was aber hier ein bisschen entspannter und weniger aufdringlich ist (seit einigen Jahren ist AIDA ja nicht mehr „das Clubschiff“). Meist ist Janis zuständig für die Kinder und Jugendlichen an Bord und macht immer Faxen mit denen. Janis habe ich bisher auf jedem einzelnen Schiff getroffen und obwohl wir nie Kontakt hatten, wenn der eine oder der andere abgestiegen ist, verstehen wir uns blendend wann immer wir uns sehen. Zu Hause kenne ich sowas nicht. Wenn man sich nach einer losen Freundschaft aus den Augen verliert und irgendwann wieder trifft, fängt der ganze Anfreundungs-Prozess wieder von vorne an und hier an Bord umgehen wir ihn einfach. Wie genau das funktioniert kann ich gar nicht sagen, aber es funktioniert nicht nur mit Janis. Der Janis-Effekt tritt auch ein bei Anna und Jerm vom TV-Team, mit denen ich jetzt das dritte Schiff teile und die Schuld dran sind, dass ich auf jedem neuen Schiff erstmal die TVler kennenlernen will, weil die immer toll sind (oder ich das jedenfalls denke). Und beim Security Ritesh, der sich nach dem vierten gemeinsamen Schiff endlich damit abgefunden hat, dass ich ihn nicht heiraten will, aber der immer weiß, wo ich gerade bin und mich über drei Ecken von sich grüßen lässt. Und so wird es auch sein, wenn ich auf den nächsten beiden Schiffen wieder mit Leonie als Chefin fahren werde, die ich schon von zwei früheren Schiffen kenne.

Malta
Malta

Der Janis-Effekt ist, was es einem möglich macht, sich mit jemandem hervorragend zu verstehen, ohne so genau zu wissen, woher man ihn denn eigentlich kennt. In meiner dritten Woche auf der Bella wurde ich in der Messe an die Schulter getippt und hörte nur „Hey, du auch hier?“ und ein Kollege aus dem Sportbereich stand vor mir und dummerweise hatte er kein Namensschild an der Brust und ich wusste nur „Irgendwie kommt der dir doch bekannt vor“. Aber weil wir alle wissen, wie es ist mit zu vielen Leuten und zu vielen Namen, nimmt es einem auch keiner krumm, wenn man einfach mal frei raus fragt „Du, sorry, wer bist du nochmal?“ Es ergab sich, dass wir gemeinsam auf der Blu waren während meinem Kurzeinsatz dort (wo ich beim besten Willen zu faul war, mir für drei Wochen irgendwelche Namen zu merken) ohne aber wirklich miteinander zu tun zu haben. Aber auf der Bella waren wir plötzlich ganz dicke und wenn der Nacken mal wieder geknarzt hat, durfte ich im Sportbereich vorbeischauen und wurde spontan wieder eingerenkt.
Jetzt bin ich wieder zu Hause und merkte bei der Heimfahrt, dass ich ihm gar nicht Tschüss gesagt habe. Aber er wird es mir nicht übel genommen haben, denn jedem kann und wird es immer wieder so gehen weil keiner sicher ist vor dem Janis-Effekt.

 

 

 


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