Tashkent war nur Ort der Ankunft und Abreise für uns, wenigstens ein bisschen was konnten wir zwar sehen, aber wenn man weiß, was da noch so auf einen wartet, will man irgendwie auch recht schnell weg, weil die ehemaligen Hauptstädte Samarkand und Bukhara einfach so viel beeindruckender sind.
Die Entfernungen in Usbekistan sind unglaublich. Man ist immer Stunden unterwegs und wir waren sehr dankbar über unseren großen komfortablen Reisebus – natürlich mit zwei Fahrern, damit sie sich immer pünktlich vor der Polizeikontrolle an der Autobahn abwechseln konnten mit fahren. Im Ausland stören mich lange Autofahrten weniger als zu Hause, da kann man so viel schönes entlang der Straße entdecken. Und wir waren ja auch in netter Gesellschaft, denn unsere Reisegruppe war bunt gemischt, was Alter und Herkunft anging: zwei Engländer, ein irisches Ehepaar, drei Männer aus San Francisco, eine Frau aus Las Vegas, zwei Philippinas und ein Singapurianer aus Australien, eine Australierin aus London und ein Franzose. Der jüngste Anfang 30, der älteste Mitte 70. Verstanden haben wir uns alle ganz hervorragend und Reiseleiter Laziz kam auch mit uns allen gut aus. Also kamen uns die fünf Stunden Fahrt von Tashkent nach Samarkand gar nicht fürchterlich lang vor – und abends wurden wir direkt mit grandioser Architektur belohnt.
Samarkand ist die älteste Stadt des Landes und wurde vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren gegründet. Weil in der Geschichte mal die Araber, mal die Griechen, und mal allerhand andere Völker, von denen noch nie ein Westeuropäer gehört hat (mit Namen wie Achämeniden, Seleukiden und Seldschuken), in der Stadt waren, gibt es allerhand verschiedene Einflüsse in der Architektur. Wegen der strategisch sinnvollen Lage direkt an der Seidenstraße, brachte Samarkand es früh zu großem Reichtum und das kann man sich heute auch noch richtig gut vorstellen. Die Straßen sind breit, die Plätze gigantisch und alle Torbogen sind hoch genug, dass ein berittenes Kamel durchlaufen kann, ohne dass der Reiter sich den Kopf stößt. Dschingis Khan war auch hier und auf seinem Weg zur Herrschaft über ein gigantisch großes Reich machte er auch vor Traumstädten wie Samarkand nicht Halt. Irgendwann im 13. Jahrhundert kam er an und seine Truppen zerstörten alles, was es zu zerstören gab. Das, was danach neu aufgebaut wurde und die Jahrhunderte überlebt hat, kann man heute noch sehen.
Dass es das alles heute noch gibt, ist wohl vor allem Amir Timur zu verdanken, der irgendwie mit Dschingis Khan verwandt war (wie anscheinend auch etwa 16 Millionen der heute auf der Welt lebenden Männer). Er hat ein gigantisches Reich gegründet, das neben Usbekistan auch weite Teile des heutigen Zentralasiens mit eingeschlossen hat, die herrschende Dynastie wurde im Nachgang nach ihm benannt: die Timuriden. Heute wird Amir Timur als Nationalheld verehrt und jede Stadt, die was auf sich hält, hat irgendwo eine Statue zu seinen Ehren stehen. Sein Mausoleum steht in Samarkand und war das erste wirklich beeindruckende Bauwerk, das wir anschauen gingen. Die Timuriden haben Bauweisen perfektioniert, die noch Jahrhunderte später so angewendet wurden, zum Beispiel eine doppelte Kuppel auf dem Dach der Moscheen, um die heiße Luft von draußen nicht ins Innere gelangen zu lassen.
Wo die Außenfassaden voll blau-weißer Kacheln sind, geht der Prunk innendrin grade weiter. Ein gigantisches Gewölbe steht über den Särgen von Timur und seinen engsten Angehörigen, das von innen komplett in blau und gold leuchtet. Wie es im Islam oft üblich ist, hat die Grabstätte einen eckigen Grundriss, aber endet oben in einer runden Kuppel. Der Übergang, um aus eckig rund zu machen, nennt sich Muqarnas- oder Stalaktit-Gewölbe, das sieht immer besonders hübsch aus weil es sehr kleinteilig ist und immer wunderschön bemalt. In Moscheen sieht man das auch oft und in Außenbereichen mit Holzdecke.
Ulug’bek liegt auch bei Amir Timur begraben. Er war Mathematiker und Astronom und gründete eine eigene Madrasah (also höhere Schule) in Samarkand. Berühmt ist er vor allem durch seine
Berechnungen zur Länge eines Jahres, das er auf 365 Tage, 6 Stunden und ein bisschen festlegte – es weicht von der heute gültigen Länge eines Jahres um weniger als eine Minute ab. Er schrieb auch
einen Katalog mit genauen Positionsangaben zu fast 1.000 Sternen, auf dem die Arbeit von vielen Wissenschaftlern nach ihm aufbaute. Wikipedia sagt, es gibt heute einen Mondkrater, der Ulug’beks
Namen trägt.
Damit Ulug‘bek das alles so genau berechnen konnte, nutzte er einen riesigen Sextanten, dessen Reste man heute noch anschauen kann. Das Bauwerk geht drei Stockwerke in die Tiefe, aber statt
Zwischendecken ist es einfach ein tiefer steiler Raum mit einem bogenförmigen Boden und einem Loch oben in der Decke, wodurch man den Himmel sehen konnte. Wie genau das funktioniert, verstehen
wissenschaftlich-Begabte bestimmt, ich aber leider nicht wirklich. Beeindruckend war es aber allemal und die handgeschriebenen Sternen-Kataloge im Museum nebenan waren auch sehr hübsch anzusehen.
Was heute in Usbekistan zu sehen ist, wurde weitestgehend restauriert, da das meiste ziemlich verfallen und teilweise unter Sand begraben war. In Samarkand haben sie das ganz wunderbar alles wiederhergestellt und man kann heute erahnen, wieso das mal Hauptstadt war. Neben dem gigantischen Komplex um Amir Timurs Mausoleum ist vor allem der Hauptplatz der Stadt unglaublich beeindruckend. Wenn man sich vorstellt, wie hier die Seidenstraßen-Karawanen durch die Wüste kamen und die Tore dieser beeindruckenden Stadt in der Ferne auftauchten, würde man irgendwie gern in der Zeit zurückreisen und sich das live anschauen.
Karawanen bestanden meist aus mehreren hundert bis über 1.000 Kamelen und ihren Führern, die aber nicht zwingend zusammengehörten. Zur Sicherheit und gegenseitigen Unterstützung tat man sich zusammen, ähnlich wie in Fahrgemeinschaften heute. Manchmal lösten sich Teile der Karawane direkt wieder auf, wenn der Seidenhändler zum Beispiel direkt am Treffpunkt schon seine Seide gegen Silber tauschen und so direkt wieder nach Hause gehen konnte. So reisten die meisten Karawanen nicht den gesamten Weg der Seidenstraße von Ostasien bis ans Mittelmeer, sondern es kamen immer mal wieder Händler dazu und andere blieben auf der Strecke oder drehten um, sobald sie ihren Handel getätigt hatten.
Damit die Karawanen einen Platz zum sicheren Ausruhen und Versorgen der Lastentiere hatten, wurden an strategischen Punkten der Route Karawansereien gebaut. Ich war etwas irritiert, als ich das
englische Wort „caravanserai“ das erste Mal hörte, es klang zu deutsch um korrekt zu sein. Aber es hat tatsächlich nichts mit der üblichen deutschen Endung auf -rei zu tun, sondern ist ein
zusammengesetztes Wort aus „caravan“ und „saray“ oder deutsch „Serail“, was vielleicht noch jemand aus der Schule kennt (war es im Deutsch- oder Musikunterricht?) von Mozarts „Entführung aus dem
Serail“. Saray ist persisch für Palast oder Haus und so ist eine Karawanserei eben ein Haus für die Karawane zum Einkehren. Hier gab es Stallungen für die Kamele, Unterkünfte für die Reisenden,
Lagerhäuser und einen überdachten Markt, an dem Waren angeboten werden konnten.
Heute stehen noch einige Karawansereien, oder das, was davon noch übrig ist. In Khiva steht sogar eine Statue, die einen Karawanenzug zeigt, denn ohne die Seidenstraße und ihre Karawanen hätten
es diese Städte wohl nie zu Reichtum gebracht.
Dafür, dass es sich meist nur um einfache Herbergen handelte, sind die Karawansereien ziemlich imposant. Weil alles extra hoch sein muss, damit alle Kamele und Waren durchpassen, sind das teilweise riesige Hallen und wenn dann die Stallungen und alles weitere mit betrachtet wird, sind das gigantische Komplexe, die entsprechend auch aus weiter Ferne gesehen werden konnten. Die Städte entwickelten sich manchmal um die Karawanserei herum, da sie über eine eigene Wasserversorgung und Brunnen verfügte. Eine davon besuchten wir mitten im Nichts (aber zu Karawanenzeiten sicherlich ein richtiger Hub), das war eine ziemlich unscheinbar wirkende Kuppel, die in der Gegend rum stand. Wenn man ein paar Meter die steilen Stufen runterging, war es total kühl (wegen doppelter Kuppel, wie wir schon gelernt haben) und das Grundwasser stand meterhoch.
Neben den Karawansereien gibt es natürlich noch allerhand sonst zu entdecken. Moscheen gab es damals wie heute gefühlt an jeder Straßenecke, in den großen Städten gab es nebenan die dazu passende
Madrasah, also Koran-Schule, die aber oft auch in anderen Bereichen lehrte, wie Wissenschaft oder Kunst. Und alle wichtigen Menschen bekamen Mausoleen gebaut, die dann wiederum die eigene Moschee
beinhalteten.
Wenn man sich alte Fotos im Museum (oder im Internet) anschaut, erkennt man schnell, dass diese beeindruckenden Bauten nicht immer so beeindruckend waren. Entweder wurden sie geplündert und
zerstört oder sind mit der Zeit verfallen oder Erdbeben zum Opfer gefallen. Der heutige Tourist schaut sich an, wie es laut Überlieferungen zur Blütezeit ausgesehen haben muss und was man sich
eben aus den Ruinen zusammenreimen konnte. Nur manchmal hängen noch die originalen blau-weißen Kacheln an den Wänden, die meisten wurden rekonstruiert. Davon kann man halten was man will, ich bin
trotzdem froh, dass sie es wiederhergestellt haben, denn wir waren schon echt begeistert, was es da alles zu sehen gab.
Erst am siebten Tag unserer Reise hatte ich das Gefühl, mich langsam sattzusehen an den Kachel-Mustern, die ja doch meist ähnliche Motive und Farben zeigen: blau und weiß und manchmal gold, meist
Blumen- oder Rankenmuster oder Texte in arabischer Kalligraphie. Aber die Muster werden immer so schön unterschiedlich kombiniert, dass es doch immer wieder toll ist, vor der nächsten Moschee zu
stehen oder vor dem nächsten Madrasah-Tor oder im nächsten Innenhof.
Innenhöfe können sie gut in Zentralasien. Selbst private Häuser haben welche und meistens sehen die Häuser von der Straße ziemlich trist aus, meist mit riesigen hübschen Eingangstoren wie ich
schon in anderen muslimischen Ländern gesehen habe. Aber man sieht kaum Fenster zur Straße raus, kaum Gardinen oder sonstige Deko vor den Häusern, und Vorgärten gibt es auch eher nicht.
Stattdessen macht man sich das Innere seiner Häuser schön, indem man im Karree baut um einen begrünten Innenhof, der dann direkt allen Räumen ein bisschen kühlere Luft beschert und einen tollen
schattigen Platz bietet, wo man seine Gäste begrüßt. Die Usbeken lieben es zu feiern und zu Hochzeiten werden laut Reiseleiter Laziz sehr oft mehrere hundert Gäste eingeladen. Die Feierlichkeiten
beginnen meist schon Tage vorher mit der engsten Familie (also nur mehreren Dutzend Gästen) im eigenen Haus.
Vielleicht haben sie sich alle inspirieren lassen von der traditionellen Bauweise der zentralasiatischen Madrasahs, denn die haben üblicherweise ein großes Tor mit Eingangshalle, dann geht es
direkt in einen großen Innenhof, der meist zweistöckig umgeben ist von den Zimmern der Schüler. Die lebten während ihrer Ausbildung dort wie in einem Internat und hatten dann auch direkt die
eigene Moschee angrenzend.
Am zentralen Platz Samarkands stehen gleich drei Madrasahs Ecke an Ecke. Die Ulug’bek-Madrasah von 1420 galt mal als angesehenste Lehranstalt der muslimischen Welt, unter anderem weil Ulug’bek
selbst hier seine Vorlesungen hielt. Nebenan stehen die 200 Jahre jüngeren Sher-Dor- und Tilya-Khori-Madrasahs. Der Baustil hat sich sicherlich in der Zwischenzeit verändert, aber die Teile, die
heute noch stehen, passen ziemlich gut zusammen und vor dem Registan-Platz zu stehen ist schon ein imposantes Erlebnis. Nachts kommen die Touristen wieder, denn da werden die drei Gebäudekomplexe
schön angestrahlt. Wir hatten Glück: an unserem ersten Abend wurde für eine exklusive Reisegruppe eine Lasershow gespielt, die auf der Front der Ulug’bek-Madrasah die Geschichte Usbekistans und
der Seidenstraße zeigte, leider aber nur mit usbekischer Erklärung dazu.
Und grade wenn man denkt „ja, das war schon sehr toll am Registan“, dann fährt man am nächsten Morgen nach Shah-i-Zinda etwas außerhalb von Samarkands Altstadt und kriegt nochmal eine Schippe drauf, was Kacheln, Nischen, Torbögen und allgemeine Beeindruckung angeht. Hier stehen mehr als 20 Gebäude, die zu einem Komplex verwachsen sind und eine der bekanntesten Nekropolen Zentralasiens sind. Diverse Mausoleen reihen sich aneinander, eins schöner als das nächste. Und auch noch ziemlich unterschiedlich im Design, denn sie wurden über 900 Jahre gebaut, erweitert und erneuert. Gemerkt habe ich mir nicht, wer da alles begraben liegt, aber wir waren ja nun mal auch zum Staunen dort und nicht dort zum Gedenken an Menschen, von denen wir noch nie gehört haben.
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