In alle Himmelsrichtungen

So dringend brauchte ich den Urlaub in Dubai nach dem unglaublich langen, dunklen, ungemütlichen Winter. Und kaum ist man zurück, geht der Stress grade weiter. Aber ausnahmsweise war es sehr positiver Stress, der mich durch das Frühjahr begleitete. Der neue Geschäftsführer will an unserer Firmenkultur arbeiten und so ging es Ende März auch schon direkt los.

Abendstimmung in Lubmin
Abendstimmung in Lubmin

Eine Gruppe Teamleiter wurde vom CEO eingeladen zu einem zweitägigen Workshop und weil mein neuer Chefchef mich für mein ehrliches Feedback und mein Engagement, die Kommunikation im Team zu verbessern (bzw. überhaupt mal herzustellen), sehr respektiert, hat er mich mit nominiert. Und so durfte ich als einer der fünf Nicht-Teamleiter trotzdem am Workshop teilnehmen. Meinen neuen Mitbewohner TeeJay nahm ich gleich mal mit – allerdings gilt für ihn ein striktes „Ich muss leider draußen warten“, er ist ein Auto und hilft doch wirklich sehr, hier am A… der Welt mal raus zu kommen und flexibler zu sein. Mit drei Kollegen, von denen ich nur einen kannte, düsten wir also an einem Montag Ende März nach Feierabend los gen Nordosten. Vielleicht denkt ihr euch jetzt „Da ist doch gar kein Deutschland mehr noch weiter im Nordosten“ und ihr habt Recht – es ging nach Wolgast und über die schicke blaue Usedom-Brücke rüber auf die Insel, dann entlang der Ostseebäder bis hinter Ahlbeck, wo die Straße immer leerer wird. An einem riesigen Parkplatz gibt es ein Corona-Testzentrum und ein kleines Bistro und dann steht da plötzlich ein Pfosten in schwarz-rot-gold und kurz dahinter ein Pfosten in rot-weiß und schwupps ist man in Polen. Die Straßen sehen ziemlich genauso aus wie bei uns und trotzdem wurde das Autofahren direkt komisch weil man nicht mehr weiß, wie schnell man sein darf und ob Rechts-vor-Links gilt. Aber die drei Kilometer ins Zentrum von Swinemünde habe ich dann doch irgendwie gemeistert.

die eine hübsche Ecke in Stettin
die eine hübsche Ecke in Stettin

Wegen Corona-Einreisebeschränkungen war davor erst ein Ausflug nach Polen möglich: letzten Herbst ging es für ein Wochenende mit Freundin Anne nach Stettin. Es gibt eine Zugverbindung dorthin, also musste das einfach mal sein. So umgehauen hat uns die Stadt nicht, aber das Wetter war auch ziemlich bescheiden, vielleicht lag es daran. Aber unter dem Hauptbahnhof gibt es ein altes Bunkersystem, das heute als Museum offen ist und wo man Stuuunden drin verbringen kann, wenn man keinen Zug zu erwischen hat. Geschichtlich hat Stettin mit Sicherheit einiges zu bieten, uns verschlug es ins Stettiner Schloss, was einen hohen Turm hat, von dem man nach einer Runde Drehwurm eine ganz tolle Aussicht über die Stadt hat. Weil wir genau zum Dunkelwerden dort waren, konnten wir sogar die historischen Kräne am Hafen sehen, die abends bunt leuchten und tagsüber aussehen wie Dinos. Oben war es im Schloss sehr viel spannender als unten, denn da gab es eine kostenlose Ausstellung über Folterinstrumente (der Teil war noch gut), durch die man in eine Ausstellung von moderner Kunst kam, die wir so überhaupt nicht verstehen konnten.
Immerhin das Essen war super und unsere Ferienwohnung war so billig und groß, dass wir gerne noch eine Woche länger geblieben wären und noch mehr erkundet hätten auf der Insel am Bahnhof, wo man ganz hervorragend die Reste von alten Hallen und Speichern sehen kann, die langsam von der Natur zurückerobert werden.

wie nett
wie nett

Swinemünde war dann also erst mein zweiter Trip nach Polen, obwohl wir hier so nah an der Grenze sind. Es ist nicht ganz der westlichste Punkt von Polen, aber definitiv der westlichste an der Ostseeküste. Auf Polnisch heißt der Ort Świnoujście, wie auch immer man das aussprechen soll. Nach zwei Stunden Polnisch-Anfängerkurs in der Firma weiß ich immerhin schon, dass es eine Mensch sch-Laute sind, die irgendwie seltsam aneinander gereiht werden. Das ś ist wie unser scharfes sch, das c ist wie unser deutsches z, das j ist wie unser j – klingt doch eigentlich gar nicht soo kompliziert. Naja, Wikipedia sagt zur Aussprache folgendes in der Lautschrift: [ɕfʲinɔˈujɕt͡ɕɛ]. Ganz easy also…
Ich merke immerhin im Polnisch-Kurs, dass eine generelle Sprachbegabung extrem hilfreich ist. Ich habe das Gefühl, dass mir trotz aller Schwierigkeiten manche Dinge doch etwas leichter fallen als den Jungs aus der Produktion. Dass der Kurs angeboten wird, ist eine feine Sache, wie ich finde. Die Bandleiter aus der Produktion haben viele polnische Mitarbeiter und können teilweise kein Wort mit denen reden weil sie kein Polnisch, die kein Deutsch und beide nur gebrochen Englisch können. Also bringt uns eine nette Polin im Deutsch-Masterstudium jetzt alle zwei Wochen die Grundlagen bei. Ich kann immerhin schon sagen „Guten Tag, ich heiße Tanja, wohne in Greifswald und komme aus Deutschland.“ Es wird.

Greifswald-Wieck
Greifswald-Wieck

Etwas besser klappt es beim Spanisch, das mache ich jetzt jede Woche bei der Volkshochschule in Stralsund. Wieso in Stralsund, wo wir doch auch eine Greifswalder VHS haben? Irgendein schlauer Mensch hat sich wohl gedacht, wenn es schon eine Uni bei uns gibt, kann man die Greifswalder Sprachkurse doch eigentlich schön ausquartieren – nach Pasewalk, knapp anderthalb Autostunden von hier. Nein danke, dann doch lieber die 40 Kilometer nach Stralsund jeden Dienstag. Dafür brauche ich allerdings auch eine Dreiviertelstunde mit TeeJay, Greifswald ist wirklich nicht gut angebunden, egal ob an Zug oder Autobahn. Im Spanischkurs kam ich in eine existierende Gruppe von drei Teilnehmern, die alle 50 und älter sind. Die Lehrerin spricht neben Spanisch auch noch fließend Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Polnisch und Japanisch, und ist fortgeschritten in Arabisch – Wahnsinn! Vielleicht überlege ich da doch, es nochmal mit Arabisch zu probieren. Aber die Fahrerei ist schon ein bisschen nervig.

joa, ließ sich aushalten auf Geschäftsreise
joa, ließ sich aushalten auf Geschäftsreise

Aber zurück nach Polen. Swinemünde ist ganz nett. Zwei Nächte im Hotelzimmer mit Balkon und Meerblick und einem der größten und schönsten Hotel-Frühstücksbüffets, die ich jemals gesehen habe, ließ es sich echt aushalten. Es ging beim Workshop darum, in die Abteilungen zu tragen, wie man netter miteinander umgeht, wie man besser miteinander kommuniziert, wie man seine Kollegen wertschätzt und wie man Feedback gibt. Vieles kannte ich schon, aber einige Ansätze waren mir neu und könnten in unserer Abteilung einiges zum Positiven ändern, wenn sie umgesetzt werden. Mein neuer Chefchef war auch dabei und eine Marketing-Kollegin auch, also sind wir jetzt schon drei von zehn, die da Input bekommen haben. Ich hoffe, wir können einige der Workshop-Inhalte in die Abteilung mitnehmen und dort umsetzen. Für mich war allerdings das schönste an den zwei Tagen in Polen, dass ich endlich mal ein paar neue Gesichter zu sehen bekam. Ich bin noch nie vorher ins Gespräch gekommen mit Bandleitern aus der Produktion oder mit Kollegen aus der Entwicklung. Das war schön, einfach mal auf ganz privater Ebene mit denen in Kontakt zu kommen. Abends spazierte ich mit acht Kollegen, von denen ich nur einen vorher kannte, entspannt am Swinemünder Strand entlang und zum Frühstück verabredete ich mich mit einer Kollegin, die zwar im selben Gebäude wie ich arbeitet, die ich aber bisher immer nur gesehen habe, wenn wir beide auf die Mikrowelle gewartet haben. Und mit einem der alten Geschäftsführer, mit dem ich bisher nur eine auf-dem-Gang-nickt-man-sich-zu-Beziehung hatte, verbrachte ich einen ganz herrlich amüsanten Abend im Steakhouse gegenüber des Hotels.

Überbleibsel von Sturm Zeynep in Lubmin
Überbleibsel von Sturm Zeynep in Lubmin

Nach zwei Tagen war ich total platt und einerseits glücklich, wieder zu Hause zu sein, andererseits hätte ich das auch noch drei Wochen weitermachen können. So ein Workshop kann erstaunlich emotional sein, das hatte ich nicht gedacht. Aber es kam (nicht nur bei mir) einiges zum Vorschein, was man verdrängt oder einfach noch nicht wahrgenommen hatte. Sehr interessante zwei Tage auf jeden Fall und mit so einem dankbaren Ball im Bauch arbeitete es sich danach gleich viel entspannter und ausgeglichener. Fehlen nur noch die Kollegen, die mitmachen. Aber alles zu seiner Zeit.

Beim Workshop kam ich kurz mit unserem neuen Geschäftsführer (und Workshop-Organisator) ins Gespräch, er fragte, ob ich nach Malle auf die Messe mitkomme. Als ich verneinte und erklärte, dass ich nur in Südfrankreich und Düsseldorf vor Ort geplant bin, fiel ihm die Kinnlade runter und er bestand darauf, dass ich mir sofort Gedanken mache über Messen, die für mich noch interessant wären dieses Jahr. Also darf ich im September direkt im Anschluss an Cannes das südenglische Händler-Team kennenlernen und für ein paar Tage auf der Messe in Southampton vorbeischauen. Im Mai geht es für einen Tag nach Neustadt in Holstein, um mir auch endlich mal eine deutsche Messe in offizieller Funktion anzuschauen. Weil die Messe direkt vor meinem Urlaub ist, hat Chefchef direkt erlaubt, dass ich danach in Hamburg bleibe um noch zwei Tage von dort zu arbeiten und dann direkt zum Flughafen abzudampfen. 

Bernau am Chiemsee
Bernau am Chiemsee

Endlich scheint mal jemand zu verstehen, dass man als Eventmanager unterwegs sein muss, um nicht in Langeweile zu versinken. Also schickte mich Chefchef einfach mal spontan in den Süden letzte Woche. Aus unserem internen Vertrieb wurde vor vielen Jahren eine Tochterfirma, die direkt um die Ecke am Greifswalder Hafen sitzt und die übers Jahr ein Sechstel aller unserer Boote verkauft. Um ein breiteres Kundenspektrum abzudecken, haben sie ein Regionalbüro am Chiemsee aufgemacht und dort eine große Ausstellungshalle gebaut, in der Interessenten vorbeikommen können um sich Boote anzuschauen und im Idealfall direkt einen Vertrag zu unterschreiben. Weil wir in Greifswald auch so einen Showroom bekommen und ich so eine Art Projektmanager dafür sein werde, sollte ich mir die Chiemseer Halle anschauen. Also ging es letzten Dienstag morgens mit Kollege Karsten neun Stunden lang im Auto nach Bernau, vorbei an Orten, von denen ich noch nie gehört habe – zum Beispiel Lederhose in Thüringen, ehrlich wahr!

Zurück ging es nach insgesamt 19 Stunden vor Ort am nächsten Vormittag per Bahn vom äußersten Süd- in den äußersten Nordosten der Republik. Verrückt, aber immerhin kommt man mal raus…

 

 

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Melanie (Mittwoch, 11 Mai 2022 22:30)

    Wie schön sich das alles anhört! Mit dem neuen Chefchef hast du echt das Gewinnerlos gezogen!! Und endlich gehts nach Southampton ;-)

  • #2

    Joachim (Donnerstag, 12 Mai 2022 08:55)

    Liebe Tanja,

    schön, mal wieder von dir zu hören.
    In Stettin sieht man meines Erachtens, wieviel Geld in den deutschen Osten geflossen ist (auch die Ossis zahlen Solidaritätsbeitrag!) und wie schön manche Städte hier geworden sind - da spricht der Wahlleipziger. So ein bisschen einen Eindruck hast du ja bei deinem Kurzbesuch bekommen.
    Schöne Bilder wie immer!
    Aber kein Bild von "TeeJay", also den möchte ich doch mal kennenlernen und ein bisschen mehr Informationen.
    Ist er ein Vollhybrid, ein Plug-In oder ganz elektrisch?

    Lieber Gruß,
    Joachim

  • #3

    Rita aus Fulda (Samstag, 14 Mai 2022 10:47)

    Danke für Deinen ausführlichen Bericht zu den Reiseeindrücken. und beruflichen Aktivitäten.
    Du bist auf dem richtigen Weg !
    Auch weiterhin viel Erfolg und Freude, privat als auch beruflich.