Maltas Stille

Valletta war nicht immer die Hauptstadt Maltas, wobei die Lage schon ziemlich prädestiniert wirkt, mit dem gigantischen Hafen, guter Anbindung ans Mittelmeer, den hohen Klippen, die sich so leicht verteidigen ließen, … Aber früher mal lag die Hauptstadt inmitten der Insel, von wo aus man in alle Richtungen einen Blick an alle Küsten hatte.

Ganz viele verschiedene Baustile am Kathedralenplatz in Mdina
Ganz viele verschiedene Baustile am Kathedralenplatz in Mdina

 

Mdina (sprich Imdina) gibt es noch heute und das kleine Städtchen gilt als eine große Sehenswürdigkeit. Unter Touristen wird sie auch „the silent city“ genannt, denn es fahren kaum Autos und die Stadt wird durch hohe Mauern von allem umliegenden abgeschirmt, sodass man sich wie in einer fremden Welt fühlt, sobald man durch das mächtige Stadttor geht. So richtig schön mittelalterlich sieht es aus, wenn man vom Ort Rabat, der direkt vor dem Tor liegt, über die Grabenbrücke geht. Alles ist natürlich im schönen beigen Kalkstein gebaut und sieht wie immer wie aus einem Guss aus. Die hübschen Gebäude gibt es natürlich nicht schon immer, denn Mdina ist wohl seit der Bronzezeit besiedelt. Das war die Zeit der Phönizier und sie fanden die Lage auf dem Hügel sehr einladend. In der Römerzeit entstand Rabat außenrum (übrigens das arabische Wort für „Vorort“) und die erste Festungsmauer wurde gebaut. Im ersten Jahrtausend nach Christus kamen dann die Araber, benannten den Ort auf dem Hügel um in Mdina (arabisch für „Stadt“…wie einfallsreich) und bauten die Mauern so um, dass sie nur noch um das unmittelbare Stadtzentrum führten.

Stadttor nach Mdina
Stadttor nach Mdina

Später kamen die Johanniter-Ritter, die Mdina als ihre Residenzstadt benannten, auch wegen der praktischen Lage. So kam der Adel auch in die Stadt, denn natürlich wollte man nicht irgendwo leben, sondern da, wo man im Zentrum der Dinge war. Und sie blieben, auch als die Ritter ins heutige Vittoriosa bei Valletta abzogen, da die Insel am Wasser viel leichter zu verteidigen war. So kommt es, dass Mdina heute beherrscht wird von riesigen stuckverzierten Adelshäusern, die die engen Straßen säumen. Die Preise für so ein Haus sind unvorstellbar, es gibt aber trotzdem ewig lange Wartelisten, immer wenn so ein Haus auf den Markt kommt. Das passiert natürlich nicht allzu häufig, denn die meisten werden einfach innerhalb der Familie (oder ist das schon eine Dynastie?) weitergegeben. Gerade wartet man – auch wenn es natürlich keiner so sagt – auf das Ableben oder wenigstens den Auszug eines über-80-Jährigen, der mitten im Zentrum von Mdina sein gigantisches Anwesen hat.

Beaulieu...da war ich doch auch schon mal in England?
Beaulieu...da war ich doch auch schon mal in England?

Neu gebaut werden darf laut meiner Stadtführerin nichts innerhalb der Stadtmauern von Mdina, und wenn wirklich mal etwas abgerissen werden muss, muss ein Neubau alle möglichen Auflagen erfüllen, um das Stadtbild nicht zu zerstören. Eine gute Regelung, wie ich finde, denn das Örtchen ist wirklich wunderschön und würde durch alles neue zerstört werden. Besonders der Kathedralen-Vorplatz zeichnet ein tolles Bild der Geschichte der Stadt, denn jedes Gebäude kommt aus einer anderen Epoche. Dadurch, dass alles aus Kalkstein ist, passt es aber trotzdem alles gleichermaßen ins Gesamtbild.

Die Kuppel von Mosta und Maltas Nordküste
Die Kuppel von Mosta und Maltas Nordküste

Die meisten Touristen kommen nur für einen Tag. Das war für mich Grund genug, eine Nacht in Rabat zu buchen, um auch abends und im Dunkeln noch einmal durch Mdina schlappen zu können. Ganz so silent war es zwar nicht, weil in einem der Hinterhof-Gärten eine Hochzeit gefeiert wurde, aber es war ansonsten wirklich fast menschenleer und wunderschön. Man haut außerdem vom einen Ende Mdinas einen ganz hervorragenden Blick bis an die Küste. Da ich ein paar Tage nach dem großen Sturm und viel Regen dort war, begrüßte mich strahlender Sonnenschein und so klare Luft, dass ich sogar die Spitze des Hochhauses in St Julian in der Ferne ausmachen und auch die größte Kuppel Maltas, die größte Kuppel außerhalb Italiens und die viertgrößte Kuppel der Welt in Mosta sehen konnte.

ein paar niedliche Gassen gibt es auch in Rabat
ein paar niedliche Gassen gibt es auch in Rabat

So viel Zeit braucht man eigentlich wirklich nicht in Mdina, und in Rabat schon gar nicht. Durch Mdina ist man in einer guten Stunde locker durch geschlendert und Rabat hat einfach nicht so viel zu bieten. Weil ich aber ja sowieso ein bisschen Zeit hatte, gönnte ich mir einen Besuch im Mdina Dungeon, einem kleinen süßen Museum, das detailliert über die mittelalterlichen Foltermethoden berichtet, und außerdem in den Katakomben unter Rabat. Katakomben gibt es viele in Malta – vermutlich, weil der weiche Kalkstein sich so leicht bearbeiten ließ und deswegen Gräber einfach direkt in den Fels gehauen werden konnten. Man vermutet viele Katakomben unter den maltesischen Städten, die nie entdeckt wurden. Aber ein paar wurden eben doch gefunden und sind heute für die Öffentlichkeit zugänglich. Die meisten wurden von einer oder mehreren Familien als Grabstätte genutzt, vermutlich spätestens zur Römerzeit und vermutlich von Christen. Was zuerst nur einzelne Gräber waren, wurde mit der Zeit zu riesigen unterirdischen Korridor-Systemen ausgebaut.

Katakomben unter Rabat
Katakomben unter Rabat

Eine der größten Katakomben sind die St Paul’s Catacombs in Rabat, die sich über mehr als einen Quadratkilometer erstrecken und vermutlich mal um die anderthalb tausend Tote beherbergt haben. Pfeile fand ich dazu richtig viele, nur der Eingang wollte sich mir auch nach mehrfachem Nachfragen und Karte-konsultieren offenbar einfach nicht zeigen. Stattdessen fand ich eine kleine Kapelle, die gegen eine kleine Spende den Zugang zu ihren privaten Katakomben ermöglichte. Nach drei Minuten war ich wieder draußen, aber immerhin hab ich einmal sowas gesehen. Auch wenn man heute nicht mehr wirklich viel sieht, ist es schon ganz interessant, zu wissen, dass hier mal Bestattungen stattgefunden haben, und wie besonders ausgebildet und begabt die Leute gewesen sein müssen, die das angelegt und aus dem Fels gehauen haben.

Filfoa Lizard
Filfoa Lizard

Es gibt auch noch andere stille Orte in Malta, die sich mir vor allem beim Wandern eröffnet haben. Wenn nicht grade wild um sich geschossen wird, ist auf dem Land wenig los, das liegt aber vermutlich auch daran, dass während meines Urlaubs die Felder alle unbestellt waren und niemand am säen oder ernten war. Man trifft zwar immer mal wieder anderer Wanderer oder Verrückte, die mit dem Rad die Hügel rauf und runter preschen. Aber üblicherweise ist man fast allein unterwegs, weil wohl doch die meisten Touristen mit geführten Ausflügen oder Mietwagen die Insel erkunden.
So kam es, dass ich kilomeeeterweit entlang der Ta’Cenc-Klippen auf Gozo keiner Menschenseele begegnete, dafür aber ganz vielen neugierigen Echsen, die auf Englisch so einen wunderschönen Namen haben – Filfola lizard – nur um auf Deutsch übersetzt Malta-Eidechse zu heißen, weil sie hier endemisch sind.

Mdina
Mdina

Bei einer meiner Wanderungen war ich mal wieder von irgendeinem A zu irgendeinem B unterwegs, verlief mich ein kleines bisschen und kam bei einem wunderschönen Ort raus, der sich nach meiner Recherche als „Wied il-Ghasri“ herausstellte. Es war fast am nördlichsten Punkt der maltesischen Inseln, auch wenn ich es nicht ganz an die Kante geschafft habe. Denn hier schneidet sich eine ganz lange schmale Bucht vom Mittelmeer ins Landesinnere, mit türkisem Wasser unterhalb der schroffen Steilwände. Einfach nur beeindruckend und es waren nur vier andere Leute hier, alle wohl absichtlich. Der Ort hat offenbar keinerlei Bedeutung für den Tourismus, was einerseits aufgrund seiner Schönheit völlig unverständlich ist, andererseits aber doch auch wieder irgendwo klar, wenn man nur hinfindet, wenn man sich verirrt hat…
Meinen Schnorchel und die Badesachen hatte ich nicht dabei, sonst hätte mich nichts vom Wasser ferngehalten, denn angeblich gibt es einen ganz tollen Tauchplatz nicht weit weg und direkt am Land ist der Boden nur 10 Meter tief unten. Ein Foto gibt es nicht von diesem hübschen Ort, weil er auf allen irgendwie öde aussieht, aber in echt ganz toll war.

Tauchen auf Gozo
Tauchen auf Gozo

Und apropos Tauchplatz…das musste natürlich auch sein, wenn man schon mal in Malta ist und endlich nach zweieinhalb Jahren mal wieder das Logbuch aktualisieren kann. Auf Gozo machte ich zwei Tauchgänge mit, auf Malta dann nochmal zwei. Die Sicht war vor allem auf Malta ganz atemberaubend mit 40+ Metern. Wirklich viel Leben gibt es da unten zwar nicht und das finde ich immer sehr schade (vor allem weil ich mich so auf einen Oktopus gefreut hatte, die aber wohl eher bei Nacht-Tauchgängen rauskommen), aber die Landschaften sind unter Wasser sehr vielseitig. Wir schwammen zum Beispiel durch eine Vertiefung, die vermutlich einer der „Cart ruts“ sein könnte, von denen ich beim letzten Mal schon erzählt hatte, denn auf beiden Seiten war viel Seegras und genau in der Vertiefung alles blank. Seegras gibt es sowieso viel, für uns ging es minutenlang über riesige Wiesen, bevor wir zu einem der Highlights kamen: zur Madonna-under-the-sea. Vor mehr als 20 Jahren wurde eine kleine Madonnenstatue hier runter gebracht auf etwa 18 Meter Tiefe und in eine kleine Höhle am Rande des Plateaus gestellt. Hier steht sie seitdem und ist total überwachsen von allem, was sich halt auf Stein unter Wasser ansiedelt. Total hübsch!

Tunneleingang beim Tauchen auf Malta
Tunneleingang beim Tauchen auf Malta

Danach drückte mir der Tauchführer eine Taschenlampe in die Hand und es ging zu meinem ersten kleinen Höhlen-Tauchgang durch einen hohen und breiten Eingang, dann etwa zehn Meter geradeaus nach oben und an die frische Luft! Ja, an die Luft! In eine Höhle, die komplett nach oben hin geschlossen ist, kommt tatsächlich durch den porösen Kalkstein genug Sauerstoff, um eine Luftblase zu füllen, wo man wirklich mal kurz den Atemregler aus dem Mund nehmen kann. Das war echt was besonderes, aber ich war glücklich über die Taschenlampe, denn in so eine Höhle kommt wirklich gar kein natürliches Licht, woran ich vorher irgendwie gar nicht so gedacht hatte.

Inland Sea und Tunnel zum Mittelmeer
Inland Sea und Tunnel zum Mittelmeer

Noch mehr Höhlen gab es oberirdisch. Ich hatte eine sehr nette Australierin namens Alex kennengelernt und mit ihr wollte ich eigentlich am nordwestlichen Zipfel Gozos wandern gehen entlang den Klippen von Dwejra Point in der Nähe des „Inland Sea“, also Inlandmeer, einem kleinen See, der durch einen 100 Meter langen Tunnel mit dem Mittelmeer verbunden ist. Gerade als wir ankamen, machte sich eine Gruppe auf den Weg mit ihren Stand-Up Paddleboards (SUPs) und – wie Mama immer so schön sagt „Du bist halt immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ – tauchten zwei der Gruppe nicht auf und Alex und ich durften spontan mit. Drei Stunden ging es mit den SUPs raus durch den Tunnel und dann über das spiegelglatte Mittelmeer entlang der atemberaubenden Küste. Höhlen gibt es hier zuhauf, weil der weiche Kalkstein eben so brüchig ist und deswegen öfters mal irgendwo was abbricht oder sich ein Spalt im Fels erweitert.

Jo. Kann man sich schon dran gewhönen.
Jo. Kann man sich schon dran gewhönen.

Früher kamen richtig viele Touristen hierher, denn eines von Maltas beeindruckendsten natürlichen Highlights war hier zu finden: das „Azure Window“, ein Felsentor, das die Klippen mit einem im Wasser stehenden separaten Felsen verband. 2017 ist das Tor und auch der separate Felsen komplett eingestürzt und seitdem kommen ein bisschen weniger Touris, obwohl die Küste außenrum trotzdem toll ist. Eigentlich muss ich wohl nochmal kommen, denn Schnorcheln und Tauchen hier muss der absolute Wahnsinn sein, wenn das Wasser in den Höhlen und Tunneln schon von der Oberfläche aus so toll aussieht. Denn durch die Höhlen mussten wir natürlich auch, damit sich unsere Ausfahrt so richtig lohnte. Es gibt einige davon, und in einer stand das Wasser so hoch, dass uns die Führer anhielten, uns so flach wie möglich auf unsere Boards zu legen und dann mit den Händen nebendran zu paddeln statt aufrecht stehend oder hockend. Für mich war das ein besonderes Abenteuer, denn natürlich hatte ich die Sonnenbrille auf und meinen Rucksack an Land gelassen. Als es dann so stockdunkel wurde in dem engen Tunnel hatte ich also die Wahl zwischen Brille-ab und verschwommen ein bisschen dunkel sehen oder Brille-auf und scharf aber stockfinster sehen. Ich entschied mich für letzteres und da offenbar keiner wirklich was sehen konnte, verließ ich mich einfach drauf, was sich unter meinen Händen eben so ergab. Man merkt ja, wenn man irgendwo aneckt. An den völlig unerwarteten scharfen Kurven innerhalb des Tunnels hatten sich unsere Führer positioniert und manövrierten uns im Dunkeln ganz gekonnt entlang. Das war mal was!


 

Zurück an der Außenseite des Tunnels zurück zum Inland Sea gab es Snacks und Getränke und wir dümpelten rum, bis die Sonne am wolkenlosen Himmel langsam im Meer versank, bei absoluter Stille und ganz leichtem Geschaukel, was für ein gelungener Nachmittag!

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Joachim (Montag, 22 November 2021 09:42)

    Liebe Tanja,
    dank dir auch für diesen interessanten und informativen Beitrag!
    Wenn du Interesse und ein Herz für Oktopanden hast, dann empfehle ich dir: Sy Montogmery. "Rendezvous mit einem Octopus" (The Soul of an Octopus: A Surprising Exploration into the Wonder of Consciousness, 2015). Zürich: Diogenes, 2019.
    Sehr schönes und lehrreiches Buch. Oktopanden sind kluge Individualisten - was willste mehr.
    Gruß und Dank,
    Joachim