Ab in den Norden

Nach einer unglaublich stressigen Woche, die überfüllt war mit sehr viel Packen (wer hätte gedacht, dass sich in so einer kleinen Wohnung SO viel Zeug ansammelt in 5 Jahren?) und Wohnung-Auflösen, ging es Sonntagfrüh in einer ebenso überfüllten Bahn gen Norden.

Alter Hafen mit Nachbars Wohnschiff
Alter Hafen mit Nachbars Wohnschiff

Meine Unterkunft ist – wie könnte es passender auch sein – ein Wohnschiff im Rostocker Alten Hafen, wo ich in einer schnuckeligen Winzkabine schlafe. Immerhin aber noch allein. Voraussichtlich nur geringfügig mehr Platz werde ich mir ab Anfang Mai mit einer Kollegin teilen müssen.
Wo man daheim im Süden schon den Frühling erahnen konnte, ist hier oben der Winter wieder eingekehrt. Am Sonntagnachmittag noch mit einer Grundschulklassenkameradin in der sonnigen Kälte im Café gesessen, hat es abends wieder angefangen zu schneien und am Montag früh war alles weiß und glatt vor lauter Graupel und Eisregen.

Alter Hafen
Alter Hafen

Montag dann also Sicherheitstraining im Schulungszentrum direkt am Hafen. Denn um bei AIDA zu arbeiten, muss man nicht einfach motiviert und geeignet sein – nein, man muss sich vom deutschen Arzt checken lassen, dann muss man sich vom italienischen Arzt checken lassen (offensichtlich vertraut sich da niemand so richtig), dann muss man einen italienischen Pre-Embarkation Check-Up beim zertifizierten Arzt machen lassen, …keiner weiß so wirklich, was man wo wann und wieso eigentlich braucht, Hauptsache man hat zu allem ein entsprechendes Zertifikat.
Das einzige, was alle wissen, ist, dass man in der Basic Safety at Sea unterwiesen werden muss und dafür bin ich in Rostock.

Schifffahrtsschule und Schulungszentrum direkt im Hafen
Schifffahrtsschule und Schulungszentrum direkt im Hafen

Unsere Trainerin ist Birte, eine quirlige End-Zwanzigerin, die selbst zur See gefahren ist, und sich jetzt einen Spaß draus macht, Leute zu veräppeln. Sie hat mit unserem Kurs aber auch ein schönes Publikum. Zwei blonde und zwei nicht-blonde Mädels und ich, und sechs Jungs, davon einer Belgier und ein Ösi – und alle haben so ihre kleinen Macken, die aber unglaublich viel Spaß machen.
So lieben wir alle Belgier Fabian, weil er so niedlich Französisch-Deutsch redet und immer wenn er etwas verstanden hat sagt „Oh. Achso“ und Trainerin Birte lacht wie ein kleines Mädchen.

Co-Referent
Co-Referent

Meist brauche ich mit den Mädels länger zum Warmwerden, deswegen hab ich mich beim Mittagessen lieber zu den Jungs gesetzt und dabei gleich den einzigen aus der Gruppe kennengelernt, der so wie ich ebenfalls für die Nordsee-Route auf die AIDAprima aufsteigen wird. Und wer hätte das gedacht – hab ich natürlich gleich die wichtigste Person an Bord kennengelernt: den Braumeister!
Zum Feierabendbierchen haben wir uns schon verabredet für Juni, wenn wir beide die Einarbeitungsphase rum haben.

 

Der Kurs ist so ziemlich auf Denglisch, denn das Englischlevel ist eher niedrig aber trotzdem sind alle Begriffe natürlich Englisch (ist ja auch Aufstiegsvoraussetzung und so). Und ich bin ja die letzte, die Probleme mit Sätzen wie „Did the agency give you a Bildungsgutschein?“ und „A Heuereinzug might make sense for you“ haben.
Unser Kurs ist bunt durcheinander gewürfelt mit 11 Teilnehmern, alles zukünftige Mitarbeiter von 7 verschiedenen AIDA-Schiffen und aus diversen Abteilungen: Tauchlehrer, Schmuckverkäufer, Frisör, Kinderbetreuer, Physiotherapeut, Barkeeper, Entertainment Manager und eine aus der Maske.
Höchst interessant also, was alle so erzählen. Aber eines haben wir alle gemeinsam: wir alle verstehen nicht wirklich unsere Verträge, haben keine Ahnung wie viel wir denn nun wirklich verdienen werden, wie das mit Freizeit ist und zu wie vielen Ärzten wir denn nun wirklich müssen.

Trainerin Birte demonstriert das Gruppenkuscheln...äh -paddeln
Trainerin Birte demonstriert das Gruppenkuscheln...äh -paddeln

Dienstag war das Thema „Orange“, also Sicherheitsmaßnahmen an Bord, denn alle Rettungswesten, -inseln, -ringe, -boote und diverses anderes Equipment sind knallorange. Mein Sprengstoffzertifikat vom Motorbootschein hat mir einen Vorteil verschafft, weil ich die Notraketen und Rauchdöschen schon kannte, aber auch ohne das bin ich der Streber des Kurses. Im Vokabellernen bin ich gut, und vor allem weil nur einer von den Teilnehmern noch einigermaßen Englisch kann, habe ich den großen Vorteil, diverse Abkürzungen wirklich zu verstehen und nicht nur auswendig lernen zu müssen.
Jetzt heißt es also bei jeder Frage von Birte „Wenn ihr das nicht wisst, fragt Tanja.“ Da wir aber nicht mehr in der Schule sind, ist der Klassenstreber offenbar nicht mehr ein Blödmann, der bestraft werden muss, sondern alle lieben mich weil ich ihre einzige Hoffnung bin, die Hausaufgaben-Tests richtig zu verstehen und beantworten zu können. Als lebendiges Wörterbuch wollen jetzt alle meine Arbeitspartner sein.

auf zur Mondmission
auf zur Mondmission

Rettungsboote und –inseln sind orange, also mussten die natürlich am Dienstag ausprobiert werden. Wir bekamen alle gigantische orangene Neopren-Anzüge, die uns aussehen ließen wie eine Horde Teletubbies, die gerade auf dem Mond gelandet waren. Es gibt nur zwei Größen der Anzüge, sodass meine Neopren-Finger erst 10cm hinter meinen richtigen Fingern anfingen und Kollegin Koko mit ihren 1,54m kaum aus ihrem Anzug-Kopfloch schauen konnte. Birte hat uns eingewurschtelt, weil mit drei superweiten Neoprenfingern (in etwa in Form der Spock-Hand) sowas einfach nicht machbar war, und ab ging es gemeinsam mit dem Nachbarkurs zur Hafenmole.

 

Gruppenkuscheln (damit man sich im Wellengang nicht verliert)
Gruppenkuscheln (damit man sich im Wellengang nicht verliert)

Ein weißer Kasten wurde ins Wasser geworfen und einer der Jungs hat die Leine ruckartig gezerrt und bäm – knallen die Hüllen auf und aus dem Kasten fliegt eine Art oranges Zelt, was sie von alleine aufpustet und aufrichtet: eine Rettungsinsel (Life Raft). Dann durften wir in unseren Anzügen unsere Mondmission starten: erstmal über die Leiter Richtung Wasser, dann in die Insel, einmal durchkrabbeln, dann am anderen Ende raushüpfen. Im Hafenbecken war es erstaunlich warm, denn die Anzüge sind sogenannte Drysuits, da kommt kein Wasser rein, außer man hat dauernd den Kopf unter Wasser und schöpft ein über den Kinngurt. Großes Durcheinander im Wasser, die erste gab auf, weil sie vor lauter Aufregung nicht mehr den Riemen der Insel loslassen konnte. Sie wurde gerettet.

Wettschwimmen ans andere Ufer
Wettschwimmen ans andere Ufer

Drei verschiedene Körperhaltungen ausprobiert, das OK von Birte abgewartet und dann kam die Hafenfeuerwehr mit ihrem kleinen Bötchen und hat ordentlich Wellen gemacht, damit wir lernen wie es ist, auf offenem Meer zueinander zu finden. Die zwei nächsten bekamen Panikattacken und wurden gerettet. Als wir uns gefunden hatten, verknoteten wir uns mit unseren Teams zu je einer langen Schlange und machten uns wild mit den Armen paddelnd auf den Weg zum gegenüberliegenden Ufer.
Drüben angekommen der Schock: ich war fremdgeschwommen und das AIDA-Team hat ganz ohne mich gewonnen. Aber ganz süß: da ich meine Brille nicht auflassen durfte, wussten die AIDA-Kollegen, dass ich sie im Wasser nicht erkenne, und als wir unsere Kette auflösten hörte ich schon ganz verzweifelt Rufe nach „Neeeeiiin, wir haben Tanja verloren!“

jeder hilft jedem - zur Not auch Face-First
jeder hilft jedem - zur Not auch Face-First

Am gegenüberliegenden Ufer wartete dann schon die nächste Rettungsinsel, die wir beklettern mussten. Nummer 4 dachte, sie bekommt keine Luft und wurde mit dem Boot aufgesammelt. Alle an Bord der Insel, extrem eng und mit einem Trainer, der permanent mit der Fluppe im Mundwinkel reinschaut, war die Luft entsprechend eklig und auch denen, die bisher noch nicht an Übelkeit gelitten hatten, wurde schlecht. Einer davon so übel, dass sie gerettet werden musste bevor wir alle in ihrer Soße geschwommen wären.
Ich glaube, mein Tauchschein hat mir geholfen. Wenn man Salzwasser schluckt und seltsam atmet, bekommt man auch nach dem Tauchgang öfters mal Schluckauf oder muss dauernd aufstoßen, ich gehörte also nicht zu denen, die Probleme hatten. Weil ich so schlecht in meinem Anzug hörte, bekam ich nur mit „Alle wieder raus und zurückschwimmen“, aber nicht das drauf folgende „Wenn ihr nicht mehr könnt, bleibt in der Insel und wir schleppen euch ab.“

Gedrängel in der Insel
Gedrängel in der Insel

Ich also wieder raus in die Fluten und ganz gemütlich und konzentriert rücklinks wieder zurückgepaddelt. Bis dahin war auch mein Innenleben trocken geblieben, aber natürlich musste die Feuerwehr fünf Meter vor der Kaimauer nochmal eine Welle über mich werfen und bums – Augen, Mund und Anzug voll Wasser. Noch eine halbe Stunde später hab ich Hafenwasser geheult. Zum Schlucken auch keine gute Idee, denn das ist nicht nur salzig, sondern dreckig, rostig, ölig und fischig zugleich.

 

Aber alles gut überstanden, danach ab ins Trockene und spätestens seit diesem Nachmittag sind wir wirklich ein Team und haben seither unglaublich viel Spaß miteinander.


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